Das waren noch Zeiten, als der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger mit einer Truppe von 60 Neonazis die Wagrien-Kaserne im schleswig-holsteinischen Putlos besuchen durfte. Auf dem Truppenübungsplatz lieferte man sich ein Wettrennen mit den Jeeps der Bundeswehr, danach traf man sich zum Kräftemessen an der Waffe. "Es gab ein Wettschießen mit fünf Bundeswehrsoldaten", berichtete Riegers einstiger Gefährte, der Neonazi-Aussteiger Ingo Hasselbach, "und einer von uns gewann". Anschließend schenkten die Soldaten der Bundeswehr ihren Gästen in SS-Uniform Freibier aus, das war 1991.
Die Zeiten sind vorbei. Wehrsport in der rechten Szene gebe es nicht mehr, sagt Anwalt Rieger, Treffen mit der Bundeswehr erst recht nicht, und Schuld daran sei der Verfassungssc
fassungsschutz. "Wissen Sie, von den 8000 Verfassungsschützern arbeiten mittlerweile 6000 für die Beobachtung von rechten Gruppen. Bei 30.000 aktiven Leuten der rechten Szene können Sie davon ausgehen, dass jeder Fünfte vom Verfassungsschutz ist. Sobald man eine Uniform anlegt, muss man also gleich mit einer Festnahme rechnen. Und Wehrsport in Jeans und T-Shirt, das geht doch nicht."Keine Uniform, kein Wehrsport. Die Vorbereitung auf die erhoffte nationale Revolution kommt heute offenbar ohne den Drill an der Waffe aus. Der Bundesverfassungsschutz bestätigt Riegers Aussagen. "Es gibt solche Gruppierungen nicht mehr", sagt eine Sprecherin. "Die heutigen Skinheads lassen sich nicht so einfach in Reih und Glied bringen." Paramilitärische Strukturen seien nicht bekannt. Auch die Verfassungsschützer aus den Ländern geben Entwarnung. "Seit dem Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann ist bei uns Ruhe", sagt ein Mitarbeiter des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz. In Rheinland-Pfalz waren zuletzt 1983 Wehrsportgruppen namens "Wolfspack/ Sturm 12" und "Totila" aktenkundig, sie wurden verboten. Der Sprecher aus Brandenburg vermeldet, es gebe "vereinzelte Hinweise", dass in Brandenburgs Wäldern wehrsportähnliche Übungen abgehalten würden. Häufig seien das aber "unpolitische Gotcha- und Paintballgruppen". In Sachsen-Anhalt registrierten die Verfassungsschützer "Orientierungsläufe und Geländespielchen" bei den Pfingstlagern der freien Kameradschaften oder der Jungen Nationaldemokraten (JN), "alles harmlos, alles ohne Waffen".Noch vor einigen Jahren war die paramilitärische Ausbildung unter den Rechten weit verbreitet. Vor allem die Anti-Antifa, jene Suborganisation, die für "Schwarze Listen" und Briefbomben verantwortlich war, schulte ihre Mitglieder für den körperlichen Kampf gegen den politischen Feind. In den neunziger Jahren fanden nach Angaben des Buchautors Javier Rojas Sprengkurse in Österreich und in Brandenburg statt. Auch Peter Binder, der Hauptangeklagte der österreichischen Briefbombenserie, hatte laut Rojas daran teilgenommen. Bei einem Wehrsportlager in Berlin 1990 standen Schulungen zum Bau von Briefbomben im Mittelpunkt.Im Frühjahr 1992 versammelte ein Unteroffizier der Bundeswehr bei Prenzlau mehrere rechtsextremistische Jugendliche um sich und hielt mit ihnen militärische Übungen ab. Sie hätten sich auf den "Tag X" vorbereitet, berichtete der Verfassungsschutz. Im Herbst 1996 hob die Polizei im vogtländischen Klingenthal eine rechtsextreme Wehrsportgruppe aus. Dabei wurde ein Waffenlager beschlagnahmt. 1998 entdeckte die Polizei in Jena die Bombenwerkstatt dreier junger Männer, Mitglieder des "Thüringer Heimatschutz".Waffenfunde werden auch heute immer wieder gemeldet, doch von straff organisierten Wehrsportgruppen sprechen die Ermittler nicht mehr. Lediglich in der kleinen Gemeinde Jork bei Stade in Niedersachsen versammeln sich immer wieder Männer in Uniform und führen nach Informationen des Bundeskriminalamtes "Märsche und militärische Veranstaltungen" durch. Im sogenannten Franz-Seldte-Haus residiert Günter Drückhammer (63), Bundesführer des "Stahlhelm e.V. - Kampfbund für Europa." Den Eingang des unscheinbaren Anwesens in Jork ziert ein eindeutiger Hinweis: "Zutritt nur mit Sondererlaubnis." Anwohner beobachten regelmäßig "Ortsappelle", "Führerbesprechungen" und Wehrsportübungen: Nach bestandener Prüfung wird den Teilnehmern das "Stahlhelm-Wehrsportkreuz" überreicht. Bundesweit hat der Stahlhelm etwa 100 Mitglieder im Alter zwischen 19 und 63 Jahren. Nach einem Anschlag auf einen türkischen Imbiss vor zwei Jahren fand die Polizei bei vier Stahlhelm-Kameraden ein größeres Waffenlager. Aktuellen Presseberichten zufolge plant der Stahlhelm in Deutschland seine Auflösung und will seine Wehrsportübungen nach Belgien verlagern. Bundesführer Drückhammer dementiert nebulös: "Was in den Zeitungen steht, stimmt auch nicht immer."Ist der "Stahlhelm" nur eine von mehreren militanten Gruppen? Bauen braune Terrorgruppen ihr Netz im Untergrund aus? Verfassungsschützer und Politiker verneinen. Die Täter agierten als Einzelpersonen oder in Kleingruppen, doch damit ist ihre Agitation nicht minder gefährlich: Das Gewaltpotential unter militanten Rechten wächst. Dem Bundesverfassungsschutz sind derzeit 9000 gewaltbereite Personen mit rechter Gesinnung bekannt. Die Zahl sei in den letzten Jahren "kontinuierlich gestiegen", sagt eine Sprecherin. 1999 wurden bundesweit 602 Körperverletzungen und 36 Sprengstoff- oder Brandanschläge registriert. In diesem Jahr wird die Zahl vermutlich deutlich höher liegen. Die Gewaltakte der letzten Wochen sprechen für sich: Eine Bombe am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn, ein Bombenattentat auf einen Dönerstand in Eisenach, Angriffe mit Schlagstöcken an der KZ-Gedenkstätte Kemna bei Wuppertal, ein Brandanschlag in Wismar und zuletzt die Ermordung eines Obdachlosen in Schleswig-Holstein."Eine Bombe zu basteln, ist wie ein Mythos unter rechten Jugendlichen", sagt die Sprecherin vom Bundesverfassungsschutz. "Wer das macht, zählt was in der Gruppe." Woher aber weiß ein 16-Jähriger, wie der mutmaßliche Bombenleger aus Eisenach, wie man eine Bombe baut? "Dazu brauchen Sie heute keine Wehrsportgruppe mehr", sagt ein Verfassungschützer. "Das bekommen Sie aus dem Internet."