Die Notizbücher des Herrn P.

Parlamentswahl in Tschechien Der sozialdemokratische Premierminister hofft auf eine von der KP tolerierte Minderheitsregierung

Erst vor einem Jahr ist Jiri Paroubek ins Amt des Ministerpräsidenten gelangt, doch hat der beleibte Mittfünfziger seither die von Korruptionsaffären und Flügelkämpfen gebeutelten Sozialdemokraten der CSSD wieder aufgerichtet, nach links ausgerichtet und mit Gewalt geeint. Mirek Topolánek, sein blasser Herausforderer von der rechtsliberalen ODS, nennt ihn "skrupellos" und wirft ihm "Kontakte zu führenden Persönlichkeiten der Prager Unterwelt" vor - doch Effizienz kann Paroubek nicht abgesprochen werden.

Lange ein Mann der zweiten Garnitur, hat er Tschechiens Sozialdemokraten in einem hoffnungslosen Zustand übernommen. Sein jugendlicher Vorgänger Stanislav Gross war über eine Immobilie und die einträgliche Freundschaft seiner Frau mit einer führenden Prager Puffmutter gestolpert (bei den Europawahlen 2004 wurde die CSSD mit kläglichen acht Prozent abgestraft). Jiri Paroubek, der bisher mit der christdemokratischen KDU-CSL als Juniorpartner regiert hat, hofft nach den Wahlen am 3. und 4. Juni auf eine Minderheitsregierung. Und die soll von den mittlerweile durchaus willigen Kommunisten gestützt werden.

Während die politische Szene Europas von der glatten Freundlichkeit marketinggeschulter Leichtgewichte bestimmt wird, sind Typen wie Paroubek selten geworden. Er vergleicht sich mit einem Boxer, der die CSSD "nach einem K.O. wieder auf die Beine gestellt hat", er lächelt nicht und fertigt seinen Gegenspieler Topolánek gern als "psychisch labil" ab. Er lässt sich auf Plakaten, die ihn im Eilschritt mit Tony Blair zeigen, als "modernen Sozialdemokraten" affichieren und schämt sich nicht im geringsten, seinen Machtwillen zu zeigen. In einem von vier Fernsehduellen vor der Wahl saß er Topolánek mit einem riesigen, dickleibigen Notizbuch gegenüber und trug dessen Aussagen mit finsterer Miene ein. Nicht zuletzt aufgrund seines unerbittlich gepressten Tonfalls erinnerte er dabei an Bürokratenfiguren aus Franz Kafkas Romanen.

Trotz einer alles in allem recht unappetitlichen Wahlkampagne können sich die Tschechen glücklich schätzen, dass sie an diesem Wochenende zwischen zwei programmatisch klar umrissenen Alternativen wählen können. Paroubek kündigt den Erhalt des in Rudimenten vorhandenen Sozialstaats an, will das progressive Steuersystem bewahren und verspricht mehr sozialen Transfer für Familien.

Im schroffen Gegensatz zum Trend beinahe aller Reformstaaten Mittelosteuropas hat die CSSD für Tschechien ein verschärftes Arbeitsrecht durchgesetzt, gegen die Stimmen der bürgerlichen Parteien, aber mit denen der Kommunisten. Ein Kündigungsschutz wurde eingeführt, und Arbeitgeber sahen sich verpflichtet, ihren Mitarbeitern zwei Wochen lang Krankengeld zu zahlen. Paroubek setzt darauf, dass im alten Industrieland Tschechien eine linke Mehrheit erreichbar ist, und schließt eine direkte Koalition mit den Kommunisten nur solange aus, solange die an Forderungen wie einer Auflösung der NATO festhalten.

Die bürgerliche ODS, die sich gelegentlich euroskeptisch und nationalistisch, immer jedoch wirtschaftsliberal gibt, tritt mit einem Gegenentwurf an, der in vielem dem wirtschaftsliberalen Radikalprogramm ähnelt, das die Rechtsregierung der Slowakei seit einigen Jahren durchzieht. Kernpunkt ist eine Flat-Tax von 15 Prozent, die mit einer ebenfalls auf 15 Prozent erhöhten Mehrwertsteuer kompensiert werden soll. Das Konzept, die Arbeit geringer und den Verbrauch höher zu besteuern, würde wie in der Slowakei zu einer Benachteiligung jener Bevölkerungsschichten führen, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Da der freundliche Herr Topolánek das weiß, verspricht er den Rentnern, die aber ohnehin eher links wählen, eine Rentenerhöhung.

Dieses Wahlprogramm nennt Premier Paroubek "ein Experiment an den Menschen" und kann auf ein Wirtschaftswachstum verweisen, das zumindest 2005 so hoch wie beim kleinen slowakischen Bruder war - sechs Prozent. Die Regierung hat mit großzügigen Förderungen Autohersteller ins Land gelockt, und die Investitionen auch vieler deutscher Mittelständler haben nach dem EU-Beitritt noch einmal angezogen.

Jede Umfrage hat der ODS über Jahre hinweg den Sieg prophezeit, auch die letzte vor der Wahl veröffentlichte verspricht den Rechtsliberalen einen Vorsprung von sieben Prozent (ODS: 31, CSSD: 24 Prozent). Jiri Paroubek hat eine erstaunliche Aufholjagd hingelegt hat, oft scheint er vor Kraft kaum laufen zu können.

Außer den Kommunisten, die zwischen 12 und 17 Prozent liegen, werden vermutlich noch zwei weitere Parteien ins Parlament einziehen: Paroubeks bisheriger Koalitionär, die KDU-CSL, die auf sechs Prozent zurückgefallen ist, sowie die Grünen, denen unter ihrem neuen mediengewandten Chef Martin Bursík um die acht Prozent zugetraut werden. Beide Parteien, die der CSSD als Regierungspartner dienen könnten, hat Paroubek mit schroffen Aussagen brüskiert. Der KDU-CSL wünschte er lauthals den Fall unter die Fünf-Prozent-Hürde, und Grünen-Chef Bursík lehnt er ab, solange der die Quellen seines Reichtums nicht offenlegt - Bursík ist vermutlich durch Restitution von Familienvermögen zu Wohlstand gelangt.

Sollte Paroubeks Kalkül einer von den Kommunisten gestützten Minderheitsregierung nicht aufgehen, erscheint daher ein von Topolánek geführtes Koalitionskabinett aus ODS, KDU-CSL und Grünen am wahrscheinlichsten. Die Grünen geben sich inzwischen als bürgerlich-liberale Schönwetterpartei, die zwar statt einer Flat-Tax höhere Energiesteuern fordert, grundsätzlich aber keine Einwände gegen eine Machtteilhabe unter Topolánek hegt. Als Grünen-Wähler hat sich zuletzt Ex-Präsident Vaclav Havel geoutet, was viele als böses Omen deuten: Alle Parteien des dissidentischen Spektrums, denen Havels Sympathie galt, sind nach kurzer Zeit untergegangen.


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