Macher ohne Fortune

Porträt Alexander Dobrindt war einst ein Polterer. Seit der Abgasaffäre entdeckt er seine stille Seite
Ausgabe 29/2017
Geboren 1970 in Peißenberg wurde der Diplom-Soziologe zur schärfsten Waffe der CSU
Geboren 1970 in Peißenberg wurde der Diplom-Soziologe zur schärfsten Waffe der CSU

Foto: Michele Tanussi/Getty Images

Er hat Talente, die im politischen Betrieb das Überleben sichern können. Alexander Dobrindt, 47 Jahre, Diplom-Soziologe, beherrscht die lauten und die leisen Töne. Seit er Bundesverkehrsminister ist, setzt er eher auf Letztere. Die Zeiten, in denen ihn der Ruf des provokanten Polterers begleitete, sind vorbei. Als CSU-Generalsekretär beleidigte er die politische Konkurrenz in einem Stil, dessen Brachialität selbst bei einigen seiner CSU-Parteifreunde für Unbehagen sorgte. In der Rolle des Bundesverkehrsministers erscheint Dobrindt hingegen als Mensch, der mit der Öffentlichkeit kann: sympathisch bescheiden im Auftritt, souverän im Umgang mit Medienvertretern. Für diesen Posten hat er sich eigens ein neues Outfit mit Hornbrille zugelegt, das den Abschied von der Wutrede in bayerischen Bierzelten markierte. Daneben kultiviert er sein Image als „Macher“ und täuscht damit über die magere Bilanz seiner Amtszeit hinweg.

Dass Dobrindt immer noch auf dem Posten des Bundesverkehrsministers sitzt, hat er vor allem seinem rhetorischen Talent zu verdanken. Skandale, die für eine Entlassung gereicht hätten, gab es genug. Im Fall der manipulierten Abgaswerte bei verschiedenen deutschen Automarken gibt Dobrindt verbal den harten Aufklärer. Als vorige Woche öffentlich wurde, dass nicht nur VW und Audi konsequent betrogen haben, sondern auch Daimler, bestellte er die Manager des Konzerns schleunigst zum Rapport nach Berlin ein. Der Minister weiß, wann er in die Offensive gehen muss, um nicht als Getriebener zu wirken. Das Ausmaß der Manipulationsvorwürfe, die die Staatsanwaltschaft gegen Daimler erhebt, ist immens: Bei mehr als einer Million Fahrzeuge könnten demnach Motoren mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung für Abgastests eingebaut sein. Dobrindts Botschaft ist klar: Wir schauen nicht weg und gehen den Vorwürfen mit allem notwendigen Druck nach – und das obwohl Daimler die Vorwürfe bestreitet.

Die Manipulationen sind politisch tatsächlich brisant. Deutschland droht ein Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU, eine Verwarnung wurde bereits ausgesprochen. Der Grund sind anhaltende Überschreitungen der Schadstoffhöchstgrenzen in deutschen Großstädten, allen voran in der Daimler-Stadt Stuttgart. Es könnte Fahrverbote geben und das will Dobrindt kurz vor der Bundestagswahl mit aller Macht verhindern. Im August sollen Autohersteller deshalb bei einem Gipfel in Berlin Lösungen zur Nachrüstung für Diesel präsentieren, um im Schulterschluss mit Dobrindt Fahrverbote abzuwenden.

Wenig Angriffslust bei der Aufarbeitung des Abgas-Skandals

So aktionistisch sich Dobrindt zurzeit präsentiert, so durchschaubar ist seine Strategie. Möglichkeiten, früher zu handeln, hatte der Minister reichlich. Schon vor vier Jahren, lange vor dem Bekanntwerden des VW-Skandals, wies die Deutsche Umwelthilfe auf die Manipulation der Verbrauchswerte hin und forderte schärfere Kontrollen. Passiert ist damals nichts. Zu sehr gefiel sich Dobrindt in der Rolle des Schutzpatrons der Autoindustrie, zu sehr hängt die deutsche Wirtschaft am Tropf der großen Konzerne. Auch damals wurden schon die Abschalteinrichtungen, die die Schadstoffwerte der Autos fälschlich verringerten, kritisiert. Dobrindt reagierte erst, als die zuständige US-Behörde im September 2015 bekanntgab, dass die von VW im Katalog angegebenen Abgaswerte nichts mit der Realität zu tun hatten. Weil die Meldung aus den USA überall Wellen schlug, konnte der Bundesverkehrsminister die Sache nicht länger ignorieren. Dobrindt wachte auf, als politisches Handeln nicht länger aufzuschieben war. Von allgemeiner Schläfrigkeit kann man im Fall des Bundesverkehrsministers allerdings nicht ausgehen, dafür setzte er als Generalsekretär dann doch zu schnell und zu enthusiastisch auf die Attacke. Dass er dieses Metier immer noch beherrscht, zeigte er kurz nach dem G20-Gipfel. Da forderte er die Schließung der Roten Flora und sagte, bei Teilen linksgrüner Politik gehöre die Staatsverachtung zum ideologischen Gencode. Bei der Aufarbeitung des Abgas-Skandals zeigte er von dieser Angriffslust allerdings nichts.

Der Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“, den Dobrindt 2015 lancierte, ist ein entpolitisiertes Werk, das heute wie ein Schlafmittel wirkt. Laut Bericht waren nur einige VW-Modelle von der Manipulation betroffen, anderen Autofirmen sei kein Betrug anzulasten. Die Vorwürfe, die sich jetzt gegen Daimler richten, belegen das Gegenteil. Allerdings könnte die ganze Affäre um manipulierte Werte längst Geschichte sein. Der eigentliche Skandal sitzt an der Spitze des Bundesverkehrsministeriums. Auf effektive Abgastests und Sanktionen gegen Hersteller will Dobrindt offensichtlich verzichten. Überraschend ist das nicht, in den Tiefen des Berichts der Untersuchungskommisssion findet sich der Passus, dass die Abschalteinrichtung zum „Schutz des Autos“ nicht verboten werden soll. Dobrindt beharrt also auf jene Schlupflöcher, die der Industrie seit Jahren gefällig geboten werden. Der Schutz der getäuschten Autobesitzer scheint ihn hingegen nicht zu interessieren. Dobrindt griff persönlich ein, um eine Musterfeststellungsklage für Verbraucher zu blockieren. Damit machte er eine Sammelklage gegen VW in Deutschland unmöglich. Später wurde bekannt, dass die Industrie am Bericht der Untersuchungskommission kräftig mitgeschrieben haben soll. Vom Verkehrsminister hört man zum Thema Lobbyismus: „Wer glaubt, dass die Partnerschaft zwischen Wirtschaft und Politik nah an der Kumpanei ist, hat die soziale Marktwirtschaft nicht verstanden.“

Es wird gemunkelt, dass Dobrindt nach der Bundestagswahl in die Wirtschaft wechselt. Die Bausteine für eine erfolgreiche Karriere hat er bereits gelegt.

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