Wieso darf man hier nicht rauchen?

Ritual der Woche Für die meisten Menschen ist der 18. Geburtstag die Initiation ins echte Leben. Nicht für Skandal-Wunder-Autorin Helene Hegemann. Fußnoten zu einer Feier der anderen Art

Wer feiert eigentlich seinen 18. Geburtstag mit dem Lehrerkollegium? Also mit den Leuten, die einem Noten geben und die eigene Versetzung gefährden, weil man abgeschrieben hat. Mit Leuten, die keine Geschenke mitbringen und dann noch nicht mal zuhören, wenn man einen Schwank aus seiner Jugend erzählen möchte, weil sie sich lieber selber sprechen hören?

Helene Hegemann. Die Präsentation ihres Debütromans "Axolotl Roadkill" wurde nämlich vom Ullstein-Verlag auf ihren 18. Geburtstag und in den „Tresor“ in Berlin-Mitte gelegt. Und die Lehrer aus dem Feuilleton- und Kulturbetrieb haben erst mal ganz schön fußkalt aus der Wäsche geschaut, als sie ewig auf Einlass warten mussten, während die unterproportional schlanken, besten Freundinnen von Hegemann schon mal die überdimensionierte Geburtstagstorte aus dem Miet-Transporter heraus und an ihnen vorbei in den „Tresor“ wuchteten. Noch blöder als die Lehrer schauten nur die vereinzelten JUNGEN1 Menschen, die zum 18. Geburtstag wollten, als sich ein Greis an allen vorbei zur Startposition an die Eingangstür drängelte, um auch noch erfolgreich als erster vorgelassen zu werden. Es gibt keine Generationengerechtigkeit2.

Über das Hineinkommen haben die Lehrer nach dem Geburtstag alle irgendwie3 geschrieben, und darüber, dass sie drin waren – und dass es dann drin aber irgendwie4 auch nicht o.k. war. An einem richtig ernst gemeinten Türsteher, so im richtigen Leben, wären hier einige echt5 nicht vorbei gekommen wegen der Gesichtskontrolle. Also die, die dann erst mal im Internet nachschauen müssen, was da so los ist im legendären Berliner Nachtleben, bevor sie darüber in gedruckter Form nachdenken.6

Insgesamt war das zuviel

Wirklich gratulieren konnte man der Jubilarin auch nicht, weil sie zwecks Lesung und Inszenierung in einem DJ-Käfig saß und trotz mehrfach ausgesprochenem „absoluten Fotografierverbots“ ständig von einem Rudel Fotografen umlagert war, das versuchte, hinter Hegemanns schon legendären Gesichtsvorhang aus Haupthaar zu dringen, hinter den sie sich zurückzuziehen pflegt, wenn es ihr zu viel wird.

Es war insgesamt zu viel an diesem 18. Geburtstag, doch von einigem war es dann wieder zu wenig. Die beiden Bars mit den geradezu jugendgefährdend preiswerten Wodka-Mixgetränken (2,50 Euro) waren überlastet. Die Sound-Anlage für die Lesung der Bestsellerin und ihres Sidekicks war so schwächlich, dass sich die Schar der Geburtstags-Rezensenten im Anschluss teilte. Und zwar in jene, die etwas gehört hatten und in jene, die nichts gehört hatten.

Der Roman-Satz „Wieso darf man denn hier nicht rauchen?“7 war allgemein verständlich, da schreiend vorgetragen. Doch auch er war nur Teil des Grundrauschens, ein Geräusch unter vielen – zwischen zwei Zigaretten, was ja heute schon Underground ist. Im Vordergrund standen eher Gäste-Gespräche wie diese: „Wir leben in einer Fernbeziehung zwischen Stuttgart und Köln“ sagt ein Paar. Fragt der Adressat: „Also ihr pendelt jedes Wochenende zwischen Berlin und Hamburg?!“. Oder auch: „Ihr beide kennt Euch, von der Ateliereröffnung im Dezember,“ sagt der gemeinsame Bekannte. Sagt die eine: „Du, sorry, ich bin so schlecht mit Gedächtnis“. Fragt der andere den gemeinsamen Bekannten: „Woher soll ich die kennen?“.8

Wo bleibt Giovanni?

Giovanni di Lorenzo, so hieß es im Gespräch neben dem womöglich ironisch gemeinten Zuckerwatte-Stand, wolle wohl auch noch kommen. Aber in einem so abgefahrenen Club wie dem „Tresor“ ist es entsprechend dunkel, keiner kann so genau wissen, ob er vielleicht schon da war. Sicher ist, dass der Greis von vor der Tür9 irgendwann im Stroboskop-Licht eines langen Tunnels auftauchte, der eigentlich verschiedene Club-Ebenen verbindet, an diesem Abend aber zur Geisterbahn wurde.
Überall alte Menschen. Auch solche, die so wirkten, als hätten sie ihre Kinder damit erpresst, dass diese zum 18. Geburtstag kein Auto bekommen, wenn sie nicht einmal mit dürfen ins Berghain – das für die Buchpräsentation wohl nicht zur Verfügung gestanden hatte. Und nun standen sie bloß im „Neuen Tresor“, also gar nicht wirklich in dem Tresor. Und das war auch tragisch auf eine Art.

Wie von einem Vampir bedrängt antwortete eines der ganz, ganz wenigen Teenagermädchen auf die Frage, wie es denn nun den Roman von der Helene so fände: „Also, ich finde die ja schon ziemlich cool. Aber ich denke mir dann auch: Jetzt finden die alle ganz toll und es wird ein Riesenwirbel um sie gemacht, weil sie noch so jung ist. Aber sie hat doch gar keine Ausbildung. Was macht sie denn mal, wenn sie älter ist? Kann sie dann davon leben, das sie Bücher schreibt?“.10

Aber es ist nicht so, dass überhaupt nicht Geburtstag gefeiert wurde. Neben der Zuckerwatte gab es nämlich auch viele, viele mit Helium gefüllte rote Luftballons. Und in einer Ecke abseits der Meute hatten ein paar Schwule einem kleinen, defensiv wirkenden Pulk von Teenie-Mädchen gezeigt, wie das geht mit dem jung sein: Wenn man das Helium einatmet und dann mit hoher, quäkender Helium-Stimme spricht, ist das irre lustig. Und turnt sogar ein bisschen, wenn auch nicht ganz so doll wie Ketamin. Wenn das alle an dem Abend gemacht hätten, wäre das ein wirklich schöner 18. Geburtstag gewesen11.


1 Bret Easton Ellis, American Psycho (Versalien-Technik)
2 Frank Schirrmacher, Methusalem-Komplott
3 J.D. Salinger, Der Fänger im Roggen
4 ebd.
5 Stand so bestimmt schon mal in irgendeinem Blog
6 Helene Hegemann, Axolotl Roadkill; Gustav Seibt, „Anything Ghost“, SZ vom 22.02.2010
7 (unklar, ob von Hegemann oder ihrem Sidekick vorgetragen)
8 Bret Easton Ellis, American Psycho (Städtenamen eingedeutscht); auch: Hegemann Axolotl Roadkill
9 Martin Reichert, „Der 18. Geburtstag“, Der Freitag vom 25.02.2010
10 Dieser Satz stammt von einer sechzehnjährigen Schülerpraktikantin, die für zwei Wochen bei einer deutschen Tageszeitung hospitierte und gar nicht bei Helene Hegemanns Geburtstag war
11 Wirklich wahr

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