Gesunde Solidarität

Umverteilung Was die avisierte Gesundheitsreform den Generationen (noch) schuldet

Begonnen hatte die Diskussion um die Reform der Gesundheitsversorgung bereits im letzten Jahr; die SPD hatte das Thema sogar zu einem wichtigen Teil ihres Programms zur Bundestagswahl gemacht. Verschärft wurde die Debatte jedoch, als in diesem Sommer zunächst einige Wissenschaftler, später der Vorsitzende der Jungen Union die finanziellen Folgen des demographischen Wandels bzw. das Thema der "Generationengerechtigkeit" mit der Reform in Verbindung brachten und eine Altersgrenze für medizinische Leistungen forderten. In der Öffentlichkeit ist diese Idee - die ökonomisch begründete Verweigerung medizinischer Leistungen für Ältere - aber schnell und zu Recht auf breite Kritik gestoßen. Einer solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung kommt schließlich die Aufgabe zu, im Krankheitsfall unabhängig vom individuellen Risiko (also auch vom Alter) die erforderlichen medizinischen Leistungen zur Verfügung zu stellen. Soll die GKV diesen solidarischen Charakter bewahren, darf es zur Lösung ihrer kritischen finanziellen Lage keine Altersdiskriminierung beim Leistungsbezug geben.

Dennoch hat die Diskussion über Leistungsbegrenzungen für Ältere einen Ernst zu nehmenden Hintergrund: Mit der wachsenden Zahl älterer Menschen und dem Zuwachs an Lebenserwartung werden zunehmend Gesundheitsleistungen beansprucht. Eine neue Studie des WISO-Instituts beziffert den Anteil der Leistungsausgaben für Rentner an den gesamten Leistungsausgaben der Krankenkassen auf mittlerweile circa 45 Prozent, bis 2020 wird sich diese Quote auf 56 Prozent erhöhen. Die Gesundheitsausgaben der Rentner müssen deshalb immer stärker von den Erwerbstätigen "subventioniert" werden: Weil die Einnahmen aus Beiträgen der Ruheständler im Jahr 2000 nur noch rund 40 Prozent ihrer Ausgaben deckten, mussten die Erwerbstätigen rund 32 Milliarden Euro für die Krankenversicherung der Rentner zuschießen.

Wenn sich an dieser Tendenz nichts ändert, werden die Erwerbstätigen - und die Arbeitgeber - einen immer größeren Anteil an der Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung zugunsten der Rentner beisteuern. Im Unterschied zur Rentenversicherung basiert die gesetzliche Krankenversorgung allerdings nicht auf einem Generationenvertrag, sondern zielt auf die Umverteilung der Lasten zwischen Gesunden und Kranken ab. Werden die aktiv Beschäftigten allerdings immer stärker belastet, steht zu befürchten, dass dieser solidarische Ausgleich zunehmend nicht mehr akzeptiert wird. Die Gesundheitsversorgung muss daher von der demographischen Entwicklung unabhängiger gemacht und die Rentner an der Finanzierung beteiligt werden. Ungerecht wäre dies auch deshalb nicht, weil viele Ruheständler mittlerweile neben ihrer Rente über weitere Alterseinkünfte verfügen - für die sie jedoch bislang keine Krankenversicherungsbeiträge zahlen müssen.

Die Rürup-Kommission hat zwei alternative Modelle zur Neuordnung der GKV-Finanzierung vorgeschlagen: Bürgerversicherung oder Gesundheitsprämie. Die erste Alternative sieht eine Ausweitung des Versichertenkreises auf alle Bürger vor; Beiträge müssten dann zudem auf alle Einkünfte bis zur Gesamtgrenze von 5.100 Euro bezahlt werden. Bei der zweiten Alternative handelt es sich um ein Prämienmodell, das die gesamte Bevölkerung einbeziehen könnte und ebenfalls vom individuellen Risiko, von Geschlecht und Alter unabhängige Leistungen vorsieht. Den einkommensbezogenen sozialen Ausgleich allerdings würde der staatlichen Steuerpolitik überlassen bleiben. Zuschüsse für Geringverdienende wären eine Möglichkeit, Beitragsungerechtigkeiten zu mildern.

Unstrittig ist unter Experten, dass beide Modelle der derzeitigen Finanzierungsweise vorzuziehen sind. Denn beide führen im Ergebnis dazu, dass die Belastung von Arbeitgebern und Erwerbstätigen reduziert wird. Demgegenüber würden Rentner stärker als bislang an ihren Gesundheitskosten beteiligt, weil ihre Beiträge nicht mehr ausschließlich auf ihre gesetzliche Rente erhoben würden. Beide Modelle weisen aber auch Probleme auf. So dürfte es schwierig werden, im Falle einer Bürgerversicherung alle Einkünfte der Versicherten aus Vermögen korrekt zu erfassen. Beim Gesundheitsprämienmodell wiederum sind die Zuschüsse für Niedrigverdiener von der Situation des Bundeshaushalts abhängig - gerade in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation könnte dies den Finanzminister zu Kürzungen auf Kosten der Armen verleiten.

Dennoch gilt: Für eines der beiden Modelle muss sich die Politik entscheiden, will sie die Gesetzliche Krankenversicherung fit für die Folgen der Alterung machen. Das größte Defizit der aktuellen Gesundheitsreform ist, dass sie auf das zentrale Problem - eben die Sicherstellung der langfristigen Finanzierung der GKV - gar nicht eingeht. Soll die Balance zwischen den Generationen gewahrt bleiben, muss die Politik hier aber bald aktiv werden, sonst steigen die Beitragssätze trotz Gesundheitsreform weiter. Und dann taucht auch sicher die Forderung wieder auf, medizinische Leistungen für ältere Menschen zu beschränken.

Dr. Martin Schölkopf ist Referent für Grundsatzfragen der Gesundheits- und Krankenhauspolitik bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft

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