Schuld und Sühne

Opferlamm Warum musste Jesus sterben? Was hat es mit der "Selbstoffenbarung" Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist auf sich? Die moderne Theologie zweifelt an alten Dogmen

Noch singen die Protestanten sonntags in der Kirche: „Christe, du Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt, erbarm dich unser“ – anno 1526 so von Martin Luther übersetzt. Und die Katholiken dürfen sogar wieder auf Lateinisch Jesus Christus als das Agnus Dei anbeten. Doch im theologischen Untergrund rumort es. Immer deutlicher und immer genauer begründet wird das alte Bild von Jesus als Opferlamm als grundsätzlich falsch bezeichnet. Dabei ergänzen sich die Erkenntnisse der Naturwissenschaftler, die erklären, warum wir uns Bilder machen, mit den Ergebnissen historisch-kritischer theologischer Forschung.

Seit einigen Jahren verlangt der protestantische Theologe Klaus-Peter Jörns „notwendige Abschiede“ von alten Vorstellungen, insbesondere der, Jesus sei am Kreuz für die Sünden der Menschheit gestorben, wie das der Apostel Paulus interpretiert hat. Der Schweizer katholische Theologe Othmar Keel kritisiert ebenfalls das Verständnis des Todes Jesu als „Sühneopfer, das der Vater seiner eigenen beleidigten Majestät darbringt, um sie mit der Menschheit wieder zu versöhnen“. Was lange nur ein innertheologischer Disput war, hat mittlerweile die Kirchen erreicht. Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, sagte jüngst, Gott brauche kein Sühneopfer, „denn es muss ja nicht sein Zorn durch unschuldiges Leiden besänftigt werden“ (Evangelischer Pressedienst vom 23. März 2009).

Allerdings gibt es dagegen auch Protest. Die alten Bilder haben sich tief ins kollek­tive Gedächtnis der Christen eingegraben. Jahrhundertealte Lieder bis hin zur Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach, auf die niemand verzichten will, sind von der Opfervorstellung geprägt. Der Widerstand der Frommen gegen wissenschaftliche Erkenntnis ist nichts Neues. Die Kritiker moderner Forschungsergebnisse haben freilich als einziges Argument, diese widersprächen dem traditionellen Bekenntnis.

Grundsätzlich jeder Diskussion entzogen

Der Kirchenhistoriker Adolf von Harnack, Begründer und erster Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, der Vorgängerin der Max-Planck-Gesellschaft, nannte bereits Ende des 19. Jahrhunderts das Dogma der Trinität Gottes ein „Produkt des griechischen Geistes auf dem Boden des Evangeliums“. Mit seiner Deutung der Dogmen als historisch provozierte er 1892 die protestantische Generalsynode dazu, ein „Irrlehregesetz“ zu verabschieden, ein „Kirchengesetz, betreffend das Verfahren bei Beanstandung der Lehre von Geistlichen“. Es diente nicht eben der Förderung theologischer Forschung.

Noch anno 2009 behaupten protestantische Theologen, wie die Nachrichtenagentur der Evangelikalen, idea, am 27. Januar zu berichten weiß, die „Selbstoffenbarung“ Gottes als Vater, Sohn und Heiliger Geist sei „grundsätzlich jeder Diskussion entzogen“, so die Professoren Manfred Seitz und Walter Sparn von der Universität Erlangen sowie Professor Hans Schwarz von der Universität Regensburg. Die Herren Theologen kritisierten damit ihre eigene bayerische Landeskirche, die dies nicht mehr ganz so sieht. Nicht der Diskussion entzogen ist damit das Wissenschaftsverständnis dieser Professoren.

Die Erkenntnis der modernen Hirnforschung ist, dass unsere geistigen Leistungen die Folge von neuronalen Prozessen sind. Die Erkenntnis des Naturgesetzes, dass jede Kommunikation mit dem Austausch von Energie verbunden ist, widerspricht der Vorstellung eines „Heiligen Geistes“ als immaterieller Entität, die von außen mit dem menschlichen Gehirn kommunizieren könne. Insofern sind die durch die Kirchengeschichte präsenten Bilder zu schlicht, wonach das Wirken des Heiligen Geistes die Entscheidungen von Kirchenfunktionären und Kirchenversammlungen bestimme.

Aus diesem Wissen heraus muss auch das Bild von der „Offenbarung“ Gottes neu gedeutet werden. Der Theologe Othmar Keel formuliert es so: „Psychologisch kann man die entscheidenden Momente als intuitiv kreative Akte, religiös als Offenbarungen verstehen.“ So gedeutet können das auch Naturwissenschaftler akzeptieren.

Konstrukt aus alten Tagen

Naturwissenschaftler wissen, dass der Mensch gezwungen ist, sich Bilder von der Welt zu machen. Evolutionär primitivere Lebewesen sehen und hören, was ihre Augen und Ohren wahrnehmen. Das menschliche Gehirn dagegen nimmt auf, was seine relativ schwachen Sinnesorgane ihm melden, und bearbeitet es zunächst, bevor wir dann das Konstrukt als die Wirklichkeit zu erkennen glauben. Optische Täuschungen – Voraussetzung für jedes Bühnenbild – oder akus­tische Täuschungen – Voraussetzung für das Komprimieren von digital gespeicherter Musik – sind die Folge. Unser Weltbild ist immer das Ergebnis von Vorstellungen, oft archaischen Ursprungs. Die Dreieinigkeit Gottes zum Beispiel ist eine his­torisch gut erklärbare, aber aus heutiger Sicht überflüssige und vor allem unverständliche Konstruktion.

Die Vergöttlichung Jesu ist nach antiker Vorstellung unter anderem analog zur Vergöttlichung römischer Kaiser zu sehen. Sie ist mit unserem historischen und religions­geschichtlichen Wissen zu erklären, aber nicht zu vereinbaren. Kaiser Domitian, der zu jener Zeit das römische Reich regierte, als die ersten Evangelien aufgezeichnet wurden, erhob den Anspruch, als dominus et deus noster, „Unser Herr und Gott“, verehrt zu werden. Der katholische Theologe Hans-Josef Klauck und der evangelische Theo­loge Gerd Theißen haben dies genau erforscht und beschrieben.

Der Vorschlag des evangelischen Kirchentagspräsidenten anno 2001, Martin Dolde, das allen Konfessionen gemeinsame nicäische Glaubensbekenntnis von 325 den neuen Erkenntnissen entsprechend zu modifizieren, fand damals noch kein positives Echo. Der EKD-Ratsvorsitzende, Bischof Wolfgang Huber, beharrt bis heute auf der Vorstellung vom Opfertod Jesu. Doch seine Amtszeit nähert sich dem Ende. Vielleicht wird seine mutmaßliche Nachfolgerin, die Bischöfin Margot Käßmann, den Erkenntnissen der Theologen offener gegenüber stehen. Sie rüttelt seit Langem am altehrwürdigen patriarchalischen Gottesbild.

Von Martin Urban wird diesen Sommer das Buch Die Bibel Eine Biographie im Verlag Galiani Berlin erscheinen

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