Vor 25 Jahren verübten Rechtsextreme einen Brandanschlag auf das Haus der türkischen Familie Genc in Solingen. Fünf Frauen und Mädchen starben, 14 Menschen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Solingen, Mölln, Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda – diese Orte sind untrennbar verbunden mit der Asyldebatte der frühen neunziger Jahre. Begleitet wurde sie von einer beispiellosen politischen Hetzkampagne gegen Asylbewerber, die von Medien wie Bild, Welt und Spiegel befeuert wurde.
Drei Tage vor dem Mordanschlag von Solingen schaffte der Bundestag in Bonn mit einer Zweidrittelmehrheit das Grundrecht auf Asyl faktisch ab. Man wolle dem Rechtsextremismus das Wasser abgraben, hörte man damals oft zur Begründung des sogenannten Asylkompromisses. W
zur Begründung des sogenannten Asylkompromisses. Was man in den neunziger Jahren schürte, war der „Extremismus der Mitte“, darüber waren sich die Soziologen schon vor einem Vierteljahrhundert einig.In diesem Jahr findet das Gedenken an die Toten von Solingen in einer Zeit statt, in der die AfD als drittstärkste Kraft im Bundestag sitzt, die Orbanisierung der CSU voranschreitet und das Thema Abschiebung die innenpolitische Debatte dominiert. Déjà-vu-Momente und Assoziationen mit der Asyldebatte der neunziger Jahre gibt es schon lange, nicht erst erst seit der letzten Bundestagswahl. „Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren – bis zur letzten Patrone." Das sagte Horst Seehofer als CSU-Ministerpräsident von Bayern 2011, bis zur Gründung der AfD dauerte es da noch zwei Jahre. Seehofer wählte diese martialische Äußerung wenige Monate vor dem 20. Jahrestag des Pogroms von Hoyerswerda. Im gleichen Jahr enttarnte sich der NSU, ein Jahr zuvor war Thilo Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ erschienen.Reaktivierte ArgumentationsmusterFür die Wiederbelebung des Rechtspopulismus braucht die CSU keine AfD, das stellt sie in den letzten Monaten fast täglich unter Beweis. Sobald die Zahl der Asylbewerber steigt, scheinen die vertrauten Argumentationsmuster der Asyldebatte der neunziger Jahre reaktivierbar. Da werden gezielt Ressentiments geschürt, die man mit Rechtsverschärfungen wieder einhegen will. Keine Geldleistungen für Asylbewerber, das Klagen über eine „Anti-Abschiebe-Industrie“, die Pläne, Asylsuchende wie Straftäter zu behandeln – CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Heimatminister Seehofer schöpfen dabei aus dem Fundus der Anti-Asyl-Politik ihrer Partei.„Angst hat die Deutschen gepackt, Angst vor den Fremden, Angst um den Arbeitsplatz und vor hohen Mieten“, so beginnt 1992 ein Artikel des Spiegel. Damals wie heute scheint die soziale Frage auf der großen politischen Bühne nur noch im Zusammenhang mit der Migration verhandelt zu werden, in nationalistischer Manier werden Arme gegen Ärmere ausgespielt. Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen ist für diese Verknüpfung beispielhaft, man zeigte Verständnis für die Täter und bis heute kaum Empathie für deren Opfer. Ausgerechnet an dem Tag, an dem die SPD ihre asylpolitische Neuausrichtung beschloss, flogen in Rostock-Lichtenhagen die ersten Steine auf die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber.Maßgeblich eingeleitet wurde die „Petersberger Wende“ der SPD vom damaligen Parteichef Björn Engholm und Oskar Lafontaine, der schon 1990 als Kanzlerkandidat das Grundrecht auf Asyl zur Disposition gestellt hatte. Am 6. Dezember 1992 einigten sich die Spitzen von Union, FDP und SPD auf ihren sogenannten Asylkompromiss. Politisch Verfolgte haben seit der Grundgesetzänderung vor 25 Jahren hierzulande nur noch Anspruch auf Asyl, wenn sie nicht über einen „sicheren Drittstaat“ einreisen oder aus einem „sicheren Herkunftsland“ kommen. Die Konsequenzen dieser Entscheidung, die zum Vorbild für Europa wurde, tragen Italien und Griechenland. Auf das Einwanderungsgesetz, das als Teil des Kompromisses in Aussicht gestellt wurde, warten wir bis heute.Als wichtigen Schritt zum „inneren Frieden“ werteten die Spitzen von Union, FDP und SPD den Asylkompromiss damals. Zur aktuellen Debatte über die Einstufung der Maghreb-Staaten als „sichere Herkunftsländer“ twitterte der SPD-Politiker Karl Lauterbach voriges Wochenende: „Die Akzeptanz der Flüchtlinge sinkt derzeit stark in der Bevölkerung. Unter diesen Bedingungen ist Integration nur bedingt möglich. Auch das ist Demokratie.“ Warum die Akzeptanz sinkt, scheint eine Frage zu sein, mit der sich die Vertreter von CDU, FDP, SPD und Teilen der Linkspartei anscheinend gerade nicht beschäftigen möchten. Dabei legt der Mordanschlag von Solingen eine Erkenntnis sehr nahe: Ein Rechtsruck lässt sich nicht von rechts bekämpfen.