Dass es kein guter Sonntag für die SPD werden würde, hatte sich abgezeichnet. Er wurde dann noch düsterer als prognostiziert. Die Partei hat nicht einmal 21 Prozent erreicht und damit das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Eine halbe Stunde nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen trat die Parteiführung vor die Presse und Martin Schulz verkündete den Gang in die Opposition. Was anderes bleibt der SPD auch kaum übrig, der Parteivorsitzende hatte im Wahlkampf zugesichert, dass über mögliche Koalitionsverhandlungen mit der Union per Mitgliederbefragung entschieden würde. Angesichts dieses Wahlergebnisses dürfte der Basis eine weitere Saison als Juniorpartner in einer Großen Koalition schlicht nicht mehr vermittelbar sei
elbar sein.Trotz des desaströsen Resultats legten die SPD-Politiker am Wahlabend einen überraschend souveränen Auftritt hin. Bei den Vertretern von Union, Grünen und der FDP sorgte der Erfolgsdruck, unter dem die Koalitionsverhandlungen für Jamaika nach der Absage der SPD stehen, für offensichtliches Unbehagen. Schulz und Manuela Schwesig quittierten sämtliche Appelle, sich allein aus staatstragenden Motiven der Sondierung nicht zu verweigern, kühl mit dem Hinweis, es sei durchaus verantwortungsvoll und demokratiefördernd, anstelle der AfD als Oppositionsführerin anzutreten. Dabei punkteten beide mit den Erfahrungen, die sie bereits im Europa-Parlament oder dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern mit Rechtspopulisten gemacht haben. Angela Merkel verkündete am Tag nach der Wahl dennoch unverdrossen, dass sie das Gespräch mit der SPD suchen werde. Angesichts der Strapazen, die ihr bei Koalitionsverhandlungen über Jamaika mit einem ungehaltenen Horst Seehofer, der das Debakel seiner CSU vor allem der Flüchtlingspolitik der Schwesterpartei anlastet, mit einem machtbewussten Christian Lindner, der das Finanzministerium für die FDP beansprucht, und mit Grünen, die Probleme haben dürften, ihrer Basis ein solches Bündnis schmackhaft zu machen, scheint die Predigerin der Alternativlosigkeit gerade auf der verzweifelten Suche nach einer Alternative. Die SPD kann sich nach der proklamierten Absage an die Große Koalition nicht darauf einlassen, alles andere wäre ein Gesichtsverlust.Spannend wird, wie sich die Genossen nach dieser Wahl personell aufstellen und wie sich ihr Verhältnis zur Linkspartei entwickelt. Die SPD kann nur mit der Linken gemeinsam die Oppositionsarbeit bestreiten und beiden Parteien fällt dabei auch noch die undankbare Aufgabe zu, die AfD in Schach zu halten. Die Linkspartei hat zwar nach 2009 das zweitbeste Ergebnis ihrer Geschichte erreicht, aber ihr Ziel, Oppositionsführerin zu bleiben, klar verfehlt. Mit dieser Bundestagswahl hat sich der Rechtsruck der Republik auch parlamentarisch endgültig vollzogen, mit der AfD wird eine rassistische, frauenfeindliche und geschichtsrevisionistische Partei als drittstärkste Kraft im Bundestag vertreten sein. Wenn sich SPD und Linkspartei mit ihr die Oppositionsbänke teilen, sollten beide darauf verzichten, ihre Zerstrittenheit weiterhin so dermaßen zu pflegen, wie es in den vergangenen Wochen der Fall war, denn sonst wird das nichts mit einer schlagkräftigen, linken Opposition. Für die SPD gilt ohnehin, dass sie als Oppositionsführerin links werden muss.Keine OptionWie schwer ihr das fallen dürfte, konnte man bei der Debatte nach dem G20-Gipfel beobachten, bei der Union und FDP vor den Gefahren des Linksextremismus warnten und die SPD nichts besseres zu tun hatte, als ihnen im vorauseilenden Gehorsam lautstark beizuspringen. Was angesichts von mehr als 3.500 rechtsextremen Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte im Vorjahr und der Tatsache, dass man bereits im Juli mit dem Einzug der AfD in den Bundestag rechnen musste, absurd anmutete. Der linke Protest formierte sich in den vergangenen Jahren übrigens vor allem bei Demonstrationen gegen Nazi-Aufmärsche. Union und FDP agierten im Wahlkampf frei nach dem Motto, wenn sich die Bevölkerung nach rechts dreht, muss der Feind links stehen. An dieser Devise werden sie auch nach der Wahl festhalten, für die SPD ist das keine Option. Schon beim Auftritt der Parteiführung am Wahlabend wurde über eine personelle Neuausrichtung spekuliert. Martin Schulz stand dort umgeben von Politikerinnen seiner Partei, nur bei genauerem Hinschauen konnte man auf den hinteren Plätzen Hubertus Heil und Sigmar Gabriel erspähen. Die SPD wird weiblicher, war die Botschaft dieses Gruppenbilds. Am Tag nach der Wahl teilte Schulz mit, dass Andrea Nahles, die dem linken Flügel zugerechnet wird, Thomas Oppermann als Fraktionsvorsitzende beerben soll. Heil dürfte ohnehin in den kommenden Monaten damit beschäftigt sein, den verkorksten Wahlkampf, den er als Generalsekretär managte, aufzuarbeiten, ob sich Martin Schulz nach dieser Niederlage als Parteivorsitzender etablieren kann, ist noch nicht ausgemacht. Fest steht, mit den konservativen Herren vom Seeheimer Kreis, einem Olaf Scholz, der sich gerne als Vertreter von Law-and-Order inszeniert wird die SPD wohl kaum die Weichen für einen glaubwürdigen Neuanfang stellen können. Abgesehen davon würde SPD-Personal, das allzu sehr mit der Agenda 2010 verwoben ist, den Dialog mit der Linkspartei nicht unbedingt befördern. Die SPD wird in der Opposition auf die Linkspartei angewiesen sein, umgekehrt ist das allerdings ebenso der Fall. Nicht nur im Hinblick auf die AfD, sondern auch, um gegen die Regierung zu agieren. Die Unionsparteien werden sich beim Thema Flüchtlingspolitik noch stärker als bisher von den Rechtspopulisten antreiben lassen, das haben Angela Merkel und Horst Seehofer bereits am Wahlabend deutlich gemacht. Spätestens jetzt sollte den Vertretern von SPD und Linken, die im Wahlkampf nationalistische Töne angeschlagen haben, dämmern, dass eine solche Agitation bei Oppositionsparteien, die der AfD den Kampf angesagt haben, deplatziert ist. Dafür sind Horst Seehofer, Jens Spahn, Alice Weidel und Alexander Gauland zuständig. Die AfD ist marktradikal, die FDP neoliberal und die Unionsparteien sind wirtschaftsfreundlich. Darauf, dass die Sozialpolitik in einer Jamaika-Koalition eine sehr untergeordnete Rolle spielen dürfte, wies ausgerechnet Cem Özdemir von den Grünen am Wahlabend hin, als er über die Herausforderung der Digitalisierung und die Angst der Erwerbstätigen vor Arbeitslosigkeit sprach. Sozialpolitisch wird seine Partei bei den Koalitionsverhandlungen als kleinste Fraktion im Bundestag kaum etwas durchsetzen können. Die beiden Spitzenkandidaten der Grünen warben ohnehin erst auf den letzten Metern ihres Wahlkampfs mit den entsprechenden Forderungen aus ihrem Programm, sie setzten vor allem auf die Profilierung als Ökopartei. Und eines sind die Grünen gewiss nicht: gewerkschaftsnah. Die schwierigste Aufgabe von SPD und Linkspartei wird in der nächsten Legislaturperiode sein, die Regierung in der Sozialpolitik herauszufordern.
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