Wer hat Angst vor der Polizei?

Kriminalpolitik Telefone abhören, bespitzeln und einsperren ohne konkreten Verdacht: Bayern ist der Schrittmacher, wenn es um die Ausweitung der Gefahrenzone geht
Freunde und Helfer?
Freunde und Helfer?

Foto: Lennart Preiss/Bongarts/Getty Images

Wenn die FDP und die DKP gemeinsam demonstrieren gehen, dann weiß man, die Lage ist ernst. Über Wochen formierte sich in Bayern der Widerstand gegen das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG), das Juristen als das härteste seit 1945 bezeichnen. Für den Himmelfahrtstag hatte das Bündnis „No PAG“ zur Großkundgebung auf dem Münchner Marienplatz aufgerufen, mehr als 30.000 Menschen kamen. Unbeeindruckt davon boxte die CSU-Regierung das Gesetz fünf Tage später durch den Landtag, mit 89 zu 67 Stimmen gegen die Opposition. Das PAG weitet die Befugnisse der Polizeibehörden massiv aus, damit einher gehen tiefgreifende Grundrechtseinschränkungen für die Bürgerinnen und Bürger. Ohne konkreten Verdacht wird die Polizei Personen durchsuchen können, ihre Telefone abhören oder verdeckte Ermittler gegen sie einsetzen. Möglich wird das durch die Kategorie der „drohenden Gefahr“. Bisher musste die Polizei eine konkrete Gefahr begründen, bevor sie jemanden überwacht oder festnimmt. Dabei galt Bayerns vorheriges Polizeigesetz schon als das schärfste im bundesweiten Vergleich, wie CSU-Politiker immer wieder stolz betonten. Unter dem Motto „Sicherheit durch Stärke“ treibt die Partei im Freistaat den Ausbau der Polizei seit zwei Jahren voran. Bereits im vorigen Sommer wurde dort das „Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen“ beschlossen. Es ermöglicht, terroristische Gefährder theoretisch unbegrenzt in Haft zu nehmen. Heribert Prantl sprach in der Süddeutschen Zeitung von einer „Schande für den Rechtsstaat“. Auch weil das Gesetz damals ziemlich geräuschlos durch den Landtag ging, obwohl es auf Menschen zielt, die noch keine Straftat begangenen haben, denen die Polizei aber zutraut, dass sie in näherer Zukunft eine begehen könnten. Ebenfalls dort fiel schon das Stichwort „drohende Gefahr“. Inzwischen haben Bayerns Grüne gegen das Gesetz von 2017 Klage eingereicht.

Jeder ist verdächtig

Bei der Gesetzesnovelle, die nun verabschiedet wurde, wird die Polizei nicht nur früher eingreifen können, sondern auch Informationen aus DNA-Spuren zur Fahndung verwenden, die auf Geschlecht, Haar-, Haut- und Augenfarbe schließen lassen, was Befürchtungen im Hinblick auf Racial Profiling aufkommen lässt. Außerdem darf sie Handgranaten und andere Explosivstoffe einsetzen. Das sind Kriegswaffen, für die Gefahrenabwehr wurden sie nicht geschaffen. Dass der öffentliche Aufschrei gegen das CSU-Vorhaben im Vergleich zum Vorjahr wesentlich lauter ausfällt, dürfte mehrere Ursachen haben. Bayerns Landesregierung beschränkt die Maßnahmen nicht auf die Bekämpfung von Terrorismus. Bisher hatten viele beim Begriff des Gefährders, für den es übrigens keine Rechtsdefinition gibt, vor allem einen terrorverdächtigen Islamisten vor Augen – nun kann es jeden treffen. „Was haben ein Cellist der Münchner Philharmoniker und eine medizinische Fachangestellte aus Rosenheim miteinander zu tun“, fragte ein Beitrag des ARD-Magazins Monitor zum bayerischen Polizeigesetz. Beide Protagonisten waren ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten, ohne dass sie irgendetwas verbrochen hatten. Der Münchner Strafrechtler Hartmut Wächtler hat im Gesetzentwurf „zahlreiche existenzvernichtende Maßnahmen“ gefunden, wie er als Sachverständiger bei einer Expertenanhörung im Landtag schilderte. Dabei geht es nicht nur um die Präventivhaft, die ohne das Vorliegen einer Straftat verhängt werden kann, sondern auch um den drohenden Wohnungsverlust, wenn Mietzahlungen nach einer Sperrung der Bankkonten nicht mehr geleistet werden können. Oder um das Risiko, den Job zu verlieren, wenn Pendlern untersagt wird, ihren Landkreis zu verlassen. Das neue Gesetz sieht nämlich ebenfalls vor, dass die Polizei für sogenannte Gefährder Aufenthaltsverbote und -gebote verhängen kann. Ein anderer Grund für die Aufmerksamkeit ist dem Umstand geschuldet, dass Horst Seehofer, unter dessen Ägide als Ministerpräsident das Gesetz erarbeitet wurde, inzwischen Bundesinnenminister ist. Seehofer hat nun ein neues Musterpolizeigesetz nach bayerischem Vorbild angekündigt. Das wäre zwar rechtlich nicht bindend, weil die Polizei Ländersache ist, aber der politische Druck wird dadurch erhöht. Drohen bald überall bayerische Verhältnisse? Wirft man einen Blick auf andere Bundesländer, die zurzeit die Befugnisse ihrer Polizei neu regeln, ist diese Sorge nicht allzu weit hergeholt.

Bayern ist nur der Anfang

In den Bundesländern, in denen die CDU an der Regierung beteiligt ist, scheint ein regelrechter Überbietungswettbewerb zu grassieren, wenn es um die Verschärfung der Sicherheitsgesetze geht. Freiheitsentzug, Überwachung und eine militärisch-technische Ausstattung – das ist der aktuelle Dreiklang der Repression. In Niedersachsen plant die rot-schwarze Landesregierung, sogenannte Gefährder für 74 Tage präventiv in Haft zu nehmen. SPD-Innenminister Boris Pistorius für den Seehofers Amtsvorgänger Thomas de Maizière (CDU) stets lobende Worte fand, präsentierte Pläne für Fußfesseln, Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchungen. In Nordrhein-Westfalen will Schwarz-Gelb Fußfesseln und Elektroschockpistolen einführen. Der sogenannte Unterbindungsgewahrsam für terroristische Gefährder soll von derzeit 48 Stunden auf einen Monat ausgedehnt werden. Ansonsten setzt man auf die Videoüberwachung im innerstädtischen Bereich und ebenfalls auf eine verstärkte Telefon- und Internetüberwachung, wozu auch der polizeiliche Zugriff auf Messenger-Dienste wie WhatsApp gehört. Aus Rücksicht auf den Koalitionspartner FDP spricht man in NRW nicht von Schleierfahndung, sondern einigte sich auf den Begriff der „Strategischen Fahndung“. Die Schleierfahndung ist übrigens auch eine bayerische Erfindung, allerdings älteren Jahrgangs. CSU-Innenminister Günther Beckstein verewigte sie 1995 im Polizeiaufgabengesetz des Landes. Auch in Nordrhein-Westfalen beschränkt man sich bei den aktuellen Plänen zur Verschärfung des Polizeirechts – ähnlich wie in Bayern – nicht auf die Terrorismusbekämpfung. Im Entwurf ist von Hooligans, und grenzüberschreitender Kriminalität die Rede. Der Trend zur Verschärfung der Sicherheitsgesetze zeigt sich auch in Sachsen. Dort will die schwarz-rote Landesregierung Spezialeineinheiten der Polizei künftig mit Maschinengewehren und Handgranaten aufrüsten, darüber hinaus ist die Einführung der automatisierten Erfassung von Autokennzeichen im Grenzgebiet zu Tschechien und Polen geplant und natürlich weitreichende Befugnisse zur Überwachung.

Prognosen und Gefühle

Die Verschärfungen werden ausgerechnet in einer Zeit debattiert, in der sich die Innenminister angesichts der Kriminalitätsentwicklung eigentlich zufrieden zurücklehnen könnten. Anfang Mai präsentierte Horst Seehofer die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2017, die zehn Prozent weniger Straftaten als im Vorjahr aufweist und damit einen Rückgang verzeichnet, wie es ihn zuletzt vor 25 Jahren gegeben hat. Die Aussagekraft der Statistik wird gerne angezweifelt, wenn es um Diebstähle und Gewaltdelikte geht, ist sie aber sehr zuverlässig, denn die werden in der regel zur Anzeige gebracht. Sinkende Kriminalität scheint inzwischen allerdings ohnehin kein relevanter Faktor in der Ausgestaltung der Kriminalpolitik zu sein. Es hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Im Zentrum stehen nicht mehr konkrete Straftaten und mutmaßliche oder verurteilte Straftäter, sondern Gefahren und Gefährder. Es geht um Potentiale, Prognosen und Profile. Das passt zum Predictive Policing – der vorhersehenden Polizeiarbeit – bei der die Grenze zwischen Polizei und Geheimdienst verwischt und es darum geht, so viele Daten wie möglich zu sammeln, um Verbrechen, die zukünftig geschehen könnten, schon im Vorfeld zu verhindern. Dazu passt, dass die Anhänger von Law and Order in Medien und Politik fast nur noch die Sicherheitsgefühle und -bedürfnisse der Bevölkerung ins Spiel bringen. Anders ließe sich der Trend zur Repression schließlich kaum begründen. Wie sich das Sicherheitsempfinden steigern soll, wenn die Polizei mit Handgranaten hantiert, das SEK mit Maschinengewehren anrückt und sich der „Freund und Helfer“ als Stalker entpuppt, dürfte ihr Geheimnis bleiben.

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