der Freitag: Herr Begrich, vor knapp zwei Wochen hat Thomas Haldenwang, der Präsident des Verfassungsschutzes, die AfD zum Prüffall und zwei Teilorganisationen der Partei zum Verdachtsfall erklärt. Haldenwang zitierte dabei Artikel 1 des Grundgesetzes. Welche Rolle spielt die Missachtung der Menschenwürde im Gutachten des Verfassungsschutzes zur AfD, auf dessen Grundlage die Entscheidung getroffen wurde?
David Begrich: Offenbar spielt dies eine zentrale Rolle. Gerade im Hinblick auf Aussagen, die von AfD-Vertretern im Hinblick auf gesellschaftliche Minderheiten getroffen werden. Die eigentliche Frage ist allerdings eine andere: Nämlich die, ob es eines Gutachtens des Verfassungsschutzes bedarf, um zu erkennen, dass die AfD eine völkisch-nationalistisch Partei ist. Anders gesagt: Politisch informierte Zeitgenossen brauchen kein Gutachten des Verfassungsschutzes, um sich über den Charakter der AfD im Klaren zu sein.
David Begrich ist Mitarbeiter der Arbeitsstelle Rechtsextremismus bei Miteinander e.V. in Magdeburg
Neben dem Parteinachwuchs zählt auch der „Flügel“ zum Verdachtsfall. Wie wird er im Gutachten beschrieben?
Nach meinem Eindruck wird der Flügel als jene Strömung in der Partei beschrieben, die den scharfen Rechtskurs der AfD seit langem vorangetrieben hat. Dies trifft ja auch zu. Dass die strategischen Überlegungen einiger Akteure des "Flügels" weit über die Ausgestaltung des Parteilebens der AfD hinausgehen und auf eine fundamentale Verschiebung der politischen Kultur der Bundesrepublik zielen, wird zwar benannt, aber nicht analytisch unterfüttert.
Wo liegen denn aus Ihrer Sicht die blinden Flecken des Gutachtens?
Vieles ist eine Frage der inhaltlichen Gewichtung. Zahlreich sind im Text die Verweise auf die politische Interaktion von AfD-Akteuren mit dem rechtsextremen Milieu. In diesem Milieu sieht man die AfD als große Chance, als Forum für offen rechtsextreme Inhalte und fürchtet zugleich, die Partei könne alsbald einen Anpassungskurs an den politischen Mainstream fahren. Wichtig ist also zu prüfen, wo die personelle Interaktion zwischen rechtsextremen Milieu und Akteuren aus der AfD in eine Gesinnungsgemeinschaft übergeht. Es gibt in und außerhalb der AfD Personen, die die Partei als Baustein einer breiten rechten oder, wie sie selbst sagen würden, "patriotischen" Bewegung begreifen. Ihnen geht es nicht um den einen oder anderen Gesetzentwurf im Parlament, sondern um eine langfristige gesellschaftliche Hegemoniearbeit.
Gilt die Aufmerksamkeit vor allem den ostdeutschen Bundesländern, in denen der „Flügel“ besonders einflussreich ist? Wie sieht es mit den AfD-Landesverbänden und dem Parteinachwuchs in den westdeutschen Ländern aus?
Ich kann eine unterschiedliche Ost-West Gewichtung nicht erkennen. Mein Eindruck ist aber, dass die rechten Töne in der ostdeutschen AfD seit langem besonders laut sind. Aber Lautstärke ist ja kein Messinstrument politischer Einstellungen.
Wieviel Aufmerksamkeit widmet der Verfassungsschutz Björn Höcke?
Viel. Aber auch im Falle Höcke habe ich den Eindruck, dass die umfangreichen Zitate nur unzureichend in den ideengeschichtlichen Kontext gestellt werden, aus dem Höcke offenbar schöpft: die Ideenwelt der völkischen und der präfaschistischen "Konservativen Revolution". Aber dem Verfassungsschutz geht es natürlich nicht in erster Linie um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung.
Wie groß ist der Einfluss des „Flügels“ auf die politische Ausrichtung der Gesamtpartei?
Er ist jedenfalls seit der Veröffentlichung der sogenannten Erfurter Resolution so stetig gewachsen, dass die Parteiführung sich zu dieser Strömung bekennt.
Sie arbeiten in Sachsen-Anhalt, der Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider ist Gründer der „Patriotischen Plattform“. Welche Schnittmengen zum rechtsextremen Milieu beobachten Sie?
Die Schnittmengen sind vorhanden. So unterhielt Hans-Thomas Tillschneider ein Büro im Haus der Identitären in Halle. Im Dreieck zwischen dem Institut für Staatspolitik, den Identitären und der AfD sind die Wege offenbar kurz.
André Poggenburg hat kürzlich verkündet, eine Partei rechts von der AfD zu gründen. Wie groß ist das Potenzial inzwischen für rechtsextreme Parteien?
Die Parteiengeschichte der alten Bundesrepublik lehrt, dass Abspaltungen von rechten Parteien chancenlos sind. Das ist keine Garantie, dass dies so bleibt. Die Rahmenbedingungen für das Agieren rechter Parteien und Bewegungen haben sich in den letzten drei Jahren völlig verändert und dynamisiert. Ich denke, Poggenburg sieht hier seine Chance.
Die AfD will Klage gegen den Verfassungsschutz einreichen. Kann man schon weitere Reaktionen in den Reihen der Partei und unter ihren Anhängern auf die Entscheidung, nun ein Prüf- bzw. Verdachtsfall zu sein, beobachten?
Offenkundig löst die Ankündigung des Verfassungsschutzes, die AfD zum Prüffall zu machen, in der Partei Nervosität aus. Es wird das Bemühen erkennbar, sich im Ton zu mäßigen. Dass dies eine Wirkung auf die politischen Inhalte der Partei hat, sehe ich nicht.
Thomas Haldenwang hat angekündigt, beim Thema Rechtsextremismus andere Akzente setzen zu wollen als Hans-Georg Maaßen. Macht sich das im Gutachten bemerkbar?
Das Gutachten wird im öffentlichen Diskurs meiner Ansicht nach überschätzt. Welche Akzente der Verfassungsschutz künftig im Bereich Rechtsextremismus setzt, bleibt abzuwarten.
Es gab das V-Leute Desaster im Umfeld des NSU und beim ersten NPD-Verbotsverfahren. Wieviel Vertrauen haben Sie, wenn der Verfassungsschutz die rechtsextreme Szene ins Visier nimmt?
Ich vertraue vor allem der Fähigkeit einer informierten, für Menschenfeindlichkeit sensiblen, offenen Gesellschaft und ihrer Bürger und Bürgerinnen, sich politisch mit Rechtsextremismus auseinander zu setzen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.