Man schaut in ein aufgedunsenes Gesicht. Doppelkinn, strähnige Haare, die Augen abgespannt und entschlossen zugleich. Ein breiter Gang, ein schwergewichtiger Körper. Es ist derjenige von Charlize Theron. 14 Kilo Speck hat sie sich angefressen, um in Monster mit zuspielen, dem Debütfilm der amerikanischen Regisseurin Patty Jenkins, der auf einer wahren Geschichte beruht. Es geht um die sechsfache Mörderin Aileen Wuornos, die 2002 in Florida hingerichtet wurde. Im Presseheft findet sich die Kopie einer Seite aus dem amerikanischen Magazin Globe. Dort sind Fotos von der echten Wuornos zu sehen: Die Ähnlichkeit zwischen ihr und Theron in diesem Film ist beinahe erschreckend! Und natürlich gibt es da auch ein Bild der Schauspielerin vor den Dreharbeiten: im Abendkleid, elegant, gertenschlank.
Nahezu alles, was bislang über Monster geredet und geschrieben wurde, dreht sich zunächst einmal um diese Verwandlung. Großes Erstaunen: Das ehemalige Model Theron galt durch Hochglanzfilme wie F. Gary Grays The Italian Job als nettes Hübschchen, das sich gut an der Seite der männlichen Stars machte, ohne dabei groß aufzufallen. Nun legt sie mit der Schönheit auch die vermeintliche Harmlosigkeit ab - und Bingo! Schon in Berlin, wo Monster im Wettbewerb lief, war allen klar, dass Theron für ihre Rolle den Oscar bekommen würde. Schon damals war die Aufmerksamkeit immens. Zum Kinostart des Films ist Theron und ihr Vorher-Nachher-Gesicht wieder überall präsent.
Freilich ist die Begeisterung nicht ungeteilt. Manche finden es schizophren, wie sehr Hollywood jugendliche, schöne, unversehrte Körper bewundert - erst recht aber jene verehrt, die sich von allen Idealmaßen bereitwillig trennen, wenn die Rolle es verlangt. Was wird hier eigentlich gewürdigt? Der beeindruckende Wille, seinen Körper ohne Rücksicht auf den gesundheitsschädigenden Effekt durch enormen Gewichtszuwachs (oder Verlust) zu verändern? Das technische Geschick der Masken- und Prothesenbildner? Oder doch die schauspielerische Leistung? Mag sein, dass bei Robert De Niros legendärer Darstellung des Boxers Jake La Motta in Wie ein wilder Stier all diese Faktoren zusammengingen. In anderen Fällen aber sind Zweifel durchaus angebracht. Nicole Kidman scheint ihren Oscar für The Hours wirklich nur der albernen Nasenprothese zu verdanken, die sie wie Virginia Woolf aussehen lassen sollte. Die bessere schauspielerische Leistung von Selma Hayek in Frida wurde jedenfalls übergangen.
Bei Monster verhält sich die Sache dann aber doch etwas anders. Zunächst einmal, weil Theron nicht nur der Star des Films ist. Zum ersten Mal in ihrer Karriere war sie auch als Produzentin tätig. Sie hat das Drehbuch gelesen und es gemocht; sie hat der Autorin Patty Jenkins auch die Regie zugetraut. Sie wollte diesen Film, und sie wollte ihn so, wie er ist: Als Independentproduktion mit kleinem Budget und großer künstlerischer Freiheit. Aber sie versteht offenbar auch einiges von Marketingmechanismen. Denn erst ihre Mitwirkung als Monster beschert dem Filme jene Aufmerksamkeit, die ihm sonst niemals zuteil geworden wäre.
Dass ist umso wichtiger, als Monster nicht an die üblichen Skandale und Sensationen des Serialkiller-Genres anschließt, das seinen ganz großen Höhepunkt schon wieder hinter sich hat. Weder findet eine genialische Überhöhung des Serienmörders statt, wie es etwa bei dem Star-Kannibalen Hannibal Lecter der Fall ist. Noch wird die Täterin Wournos hier als krankhaft und sexualpathologisch dämonisiert.
Denn die Geschichte der Aileen Wuornos ist viel banaler. Jenkins erzählt von einer Frau, die mit acht Jahren sexuell missbraucht und mit dreizehn Jahren auf den Strich geschickt wurde und seitdem ein Wrack ist. Die eigentlich nur in einer Bar das letzte Geld versaufen und ihrem Leben dann ein Ende setzen will. Doch trifft Aileen Wuornos an diesem Abend Selby (Christina Ricci). Auf das, was folgt, muss man nicht unbedingt das Etikett "lesbische Liebe" kleben. Es ist einfach so, dass Wuornos von diesem jungen Mädchen zum ersten Mal Zuneigung und Geborgenheit bekommt. Die Beziehung zu Selby hält sie am Leben. Die Beziehung zu Selby ist es aber auch, die sie zurück auf den Strich treibt, weil das die einzige Möglichkeit ist, Geld zu verdienen. Dort tötet Wuornos einen Freier - aus Notwehr. Später tötet sie zur Rache und aus Wut über all das, was ihr selber jemals angetan wurde. Irgendwann ist es nur noch Raubmord.
In den USA haben sich Angehörige der Opfer von Aileen Wuornos über Monster beklagt. Die Mörderin komme zu gut weg und werde hier selbst als Opfer dargestellt. Das stimmt - und gleichzeitig stimmt es nicht. Im Kontrast zum gewählten Titel bemüht sich Patty Jenkins in ihrem gründlich recherchierten Film tatsächlich darum, Wuornos nicht als Monster hinzustellen. Es werden etwa ihre Zweifel und Skrupel geschildert, wenn sie einen Mord begangen hat. Man sieht auch die vertrackte Beziehung zu Selby, die einerseits liebenswert und andererseits ein verzogenes Gör ist, dessen unersättliche Forderungen Wuornos mit ihren Raubmorden zu befriedigen versucht. Doch auch wenn damit ihre Motive nachvollziehbar werden, ist die Mörderin von der Regisseurin noch keineswegs entschuldet. Der Film lässt keinen Zweifel daran, dass sie bewusst tötet und damit vom Opfer zum Täter wird: Nicht jede sexuell missbrauchte Frau bringt später jemanden um; erst recht nicht jede und jeder, der in einer vertrackten Beziehung feststeckt. Doch gerade durch diese sachliche Darstellung wird Monster zu einem Ereignis, das sich dann auch keineswegs nur der äußerlichen Ähnlichkeit Therons mit der von ihr gespielten Frau erschöpft - in der Sensation von Gewichtszuwachs und brillantem Make-Up. Es ist ein schauspielerisches Verdienst; Therons berührende Fähigkeit, die rohen Seiten von Aileen Wuornos darzustellen, ohne ihre weichen jemals zu verschütten. Und diese Balance zu halten. Damit führt die Zuschauer näher an die Wirklichkeit als jede Überhöhung oder Dämonisierung dieser Frau es könnte.
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