Zum Kuckuck

Antikriegsmärchen In der russischen Komödie "Kukushka - Der Kuckuck" begegnen sich ein Finne, ein Russe und eine Lappländerin und üben die Verständigung durch Missverstehen

Weil der Kuckuck seine Eier in die Nester fremder Vögel legt und ihnen die Aufzucht seines Nachwuchs überlässt, bezeichnet die Zoologie ihn als Brutschmarotzer. Nicht gerade ein Ehrentitel für eine Spezies, der zudem in vielen Sprichwörtern eine Verwandtschaft mit dem Teufel höchstpersönlich nachgesagt wird. Kukushka - Der Kuckuck, der neue Film des russischen Regisseurs Aleksandr Rogozhkin, scheint diese üble Reputation freilich etwas aufbessern zu wollen. Der Regisseur entführt uns ins Jahr 1944; in die Einöde des finnischen Lappland. Dort lebt die ebenso hübsche wie resolute Landfrau Anni (Anni-Kristiina Juuso), die für Hof und Herde ganz allein verantwortlich ist, seit ihr Mann in den Krieg zog und niemals zurückkehrte. Er habe sie immer Kuckuck genannt, wird sie später einmal verraten. Zu diesem Zeitpunkt hat Annie jedoch längst ein ausgesprochen untypisches Kuckucksverhalten an den Tag gelegt, und sich rührend um die beiden komischen Vögel gekümmert, die sich in den Wirren der letzten Kriegstage in ihr kleines Bauernnest verirren.

Erst findet Anni den russischen Offizier Ivan (Viktor Brychtov) halbtot auf der Straße und muss ihn unter Einsatz ihrer schamanischer Heilkunst wieder aufpäppeln. Wenig später steht dann der junge Finne Veiko (Ville Haapasalo) vor ihrer Hütte, der eine schwere Kette mit sich herumschleppt: Deutsche Soldaten hatten ihn in einen SS-Mantel gesteckt und dann als lebende Zielscheibe an einen Felsen gekettet, bevor sie vor den herannahenden Sowjets flohen. Am Ende wird auch dieser Mann Anni sein Leben verdanken. Dass Bett der jungen Frau bleibt beiden nicht verwehrt.

Nachdem sich Rogozhkin einige Zeit nahm, seine drei Hauptfiguren gesondert voneinander einzuführen, beobachtet er ruhig und konzentriert und unter Verzicht auf allen ornamentalen Schnickschnack, wie die drei so unterschiedlichen Charaktere miteinander auskommen. Während Anni sich ihren Gästen liebevolle, und durchaus auch mit erotischem Interesse nähert, erweisen sich die beiden Männer untereinander als erbitterte Streithähne. Dass sie um Anni konkurrieren, ist noch nicht alles. Auch ihre Uniformen vertiefen die Feindschaft. "Faschist" zischt Ivan, als er die SS-Abzeichen auf Veikos Mantel sieht. Der hebt daraufhin zu einer leidenschaftlichen Verteidigung an: Dass er das Kleidungsstück nicht freiwillig trägt, dass er eigentlich ein Mann des Wortes sei, in Stockholm Literatur studiert hat und die großen russischen Schriftsteller bewundert. Ivan, selbst Dichter und Veiko damit ähnlicher als er ahnt, versteht freilich kein Wort. Er kann kein Finnisch, so wie Veiko umgekehrt kein Russisch kann. Anni, die nur Samisch, die Sprache der Ureinwohner Lapplands spricht, versteht alle beide nicht.

Kukushka ist damit auch ein sehr komischer Film. Zumindest für das Publikum, das dank der Untertitel in diesem original gesprochenen Film mitbekommt, wie groß die Konfusion dadurch wird. In endlosen Monologen reden alle Drei abwechselnd aufeinander ein, als biete allein die schiere Masse der Worte schon eine Gewähr, dass beim Gegenüber auch das richtige ankommt. Erstaunlicherweise sprechen sie dabei tatsächlich oft über ähnliche Dinge, die sie gleichwohl bar aller via Sprache ausgehandelten Kompromissmöglichkeiten zu gegensätzlichem Handeln veranlassen. Kaum hat Annie Veiko erklärt, sie halte häufiges Waschen für ungesund, bemerkt der auch schon, er müsse sich dringend mal wieder gründlich säubern und baut unter ihren entsetzen Augen eine Sauna auf. Es ist ein bisschen, als würde man drei Leuten beim Blindekuhspiel zuschauen, die sich zu fassen bekommen versuchen - und im letzten Moment doch wieder haarscharf aneinander vorbei rennen.

Die Hauptattraktion dieser exzellent beobachteten Sprachverwirrung bleibt die junge Schauspielerin Anni-Kristiina Juuso; eine Samin, die sich neben der Schauspielausbildung tatsächlich eine eigene Rentier-Herde in Lappland hält. Mit großer Glaubwürdigkeit stellt sie die bodenständige Bauersfrau ohne falsche Scham und Zierde dar - und sendet dabei ein irritierendes Strahlen aus, als gäbe es keinen größeren Glamour. Ihrem Charme ist der Regisseur in der einen oder anderen Szene vielleicht ein wenig zu sehr verfallen: Wenn die Kamera auf Annis verträumten Augen oder ihren vollen Lippen ruht, um im nächsten Moment wieder verträumt in die Landschaft zu schwenken, entsteht eine etwas geschmäcklerische Postkartensinnlichkeit. Vielleicht präsentiert Rogozhkin seine Hauptdarstellerin auch nur deswegen so stolz, weil er den größtmöglichen Kontrast zwischen seinen Figuren sucht, der auch dann bestehen bleibt, als sie sich im Laufe der Zeit ohne Sprache zu verstehen beginnen. Anni verkörpert das "weibliche" Prinzip Leben und Lust; während Veiko und Ivan für das "männliche" Prinzip Krieg stehen - von dem sie auch dann nicht lassen wollen oder können, als längst wieder Frieden zwischen ihren Ländern herrscht. Am Ende aber hört Anni auf, die großzügige Wirtin für diese beiden komischen Käuze zu sein und schickt sie zum Kuckuck.


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