Coming Out

EKLAT Kohl und Gysi verletzen Dienstvorschriften des Kalten Krieges

Die alten Kämpfer an der unsichtbaren Front müssen sich düpiert fühlen: Wie mag wohl Pfarrer Peter Hintze jetzt in seinem schwarzen Herzen grollen? Wie geht es dem hochschäumenden Arnold Vaatz - CDU-intern wegen seines antisozialistischen Enthauptungsvokabulars auch »das Messer« genannt? Beißt Vera Lengsfeld ins Kissen?

Ihrer aller Übervater - wurde jetzt auf bohrende Nachfrage der Presse bekannt - trifft sich seit geraumer Zeit zu vertraulichen Gesprächen mit dem roten (Beelze-)Buben Gregor Gysi. Nicht beiläufig und zufällig in der Kantine oder auf dem Herrenklo oder in der VIP-Zone irgend eines Flughafens. Nein, man macht Termine, lässt vorbereiten, präzisiert Themenstellungen, stellt Kekse und Kaffee hin und begegnet sich sozusagen »in gleicher Augenhöhe«, wenn das schiefe Bild erlaubt ist. Staatsmännisches Flair haben die Treffen freilich nicht - dazu ist es in Kohls Büro jetzt zu eng. Doch man sah - solch ein Bürohaus hat Augen und Ohren - Gregor Gysi fröhlich kommen und heiterer gehen.

Die Herren unterlaufen die Regeln des Kalten Krieges, insbesondere des Kapitels »Verhalten bei Feindberührung«. Da sie sich schon des öfteren trafen - Spekulationen unterstellen ihnen bis zu fünf ausführliche Rendezvous »aus beiderseitigem Antrieb«, wie der PDS-Fraktionssprecher mit Bedacht formulierte - muss man davon ausgehen, dass sie sich was zu sagen haben. Und wenn der Trieb sie treibt, ist ohnehin nichts aufzuhalten.

Gysi hat sich dazu sicherlich nicht überwinden müssen. Sein politischer Stil war ja all die Jahre über nichts anderes als das - mal spielerische, mal ernsthaftere - Ad-Absurdum-Führen der Dienstvorschriften des Kalten Krieges. Damit stand er schon am Beginn der neunziger Jahre »jenseits des Mittelmaßes« der verbissen feindbildabhängigen Politikerkaste, zu der auch reichlich aggressive Hohltöner in der SPD und bei den Grünen gehören. Gysi hat sich auch nie dazu herabgelassen, Kohl zu beschimpfen oder zu karikieren. Im Gegenteil: Wenn er sich im Bundestag vom Pult aus ein wenig nach rechts wandte, so stets mit gewissem Respekt - von dem Kohl allerdings nie genau wissen konnte, wie viel Ironie er enthielt. Jetzt, nach seinem angekündigten Abschied, macht Gysi ohnehin, was er will. Sein Apparat ist auf alles gefasst. Und selbst im Neuen Deutschland blieben nach Bekanntwerden der Plauderstunden mit Kohl, der für viele Mitglieder sicherlich als Totengräber des Ostens und Liquidator ihrer Biografien gilt, die Protest-Leserbriefe aus.

Scherereien macht das Coming Out Helmut Kohls allein der CDU; sie ist - im Unterschied zur SED/PDS - die alte geblieben: eine Staatspartei mit zentralistischem Führungsanspruch und schwer auf ihr lastendem ideologischen Überbau. Der wird von einigen dünneren Säulen - Westbindung, NATO, christliches Abendland - gestützt. Die dickste, die tragende Säule aber ist der Antikommunismus. Erst vor wenigen Tagen hat man dem verdienten Mitglied Blüm mit Steinigung gedroht, als durchsickerte, er wolle mit PDS-Holter in Schwerin über Zukunft plaudern. Blüm sah sich genötigt, öffentlich zu erklären, dass Holter sein »Feind« sei - fühlte sich dann aber falsch zitiert und nannte ihn seinen »Gegner«.

Um die Säule Antikommunismus herum vereint sich seit Jahrzehnten die CDU-Stammwählerschaft und fasst sich zum gemeinsamen Stoßgebet gegen das historisch Böse bei den Händen. Der Nachweis, sie würde das »demokratische« Kontaktverbot zu Kommunisten unterlaufen, war stets auch die schärfste ideologische Waffe der CDU gegen die SPD. Wenn diese Säule bricht, fällt auf den Verein einiges hernieder.

Dass die Partei in dieser alten Verfassung ist, hat sie zuvörderst Helmut Kohl zu verdanken. Der hat - auch wenn er selbst nicht Gift und Galle spie, sondern das arbeitsteilig Gestalten wie Hintze, Glos, Stoiber, Blüm, Eggert, Eppelmann, Heitmann, dem unglücklichen Tierarzt Bernd Seite undsoweiter überließ - den Zusammenbruch des Staatssozialismus immer in der Logik des Antikommunismus gesehen (und sieht ihn gewiss heute noch so). Deshalb ist aus der deutschen Einheit unter dem Staatsmann Kohl nichts anderes als ein »Weiter so, Deutschland!« geworden.

Aber früher oder später muss sich die CDU was Neues einfallen lassen. Da kommt noch viel Leid auf sie zu - Landowsky in Berlin ahnt das schon. In den ostdeutschen Kommunen und Ländern ist die PDS schon jetzt nicht mehr mit dem antikommunistischen Klischee deckungsgleich zu kriegen. Es fehlt echt an Feinden. Dass Kohl nun aber vorprescht und behagliche Männergespräche mit Gysi sucht! Ist das eine Machtdemonstration? Will er der Merkel, die nicht mal das Kreuz hatte, ihn als Redner zu den Einheitsdankfeiern in Dresden zu protegieren, das letzte bisschen Freude an ihrem Job vergällen?

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