Die Gesetze der Sippe

Vereitelter Königsmord In Kreuth haben Stoibers Lakaien die Ehre des Patriarchen wieder hergestellt. Aber ist er wirklich gerettet?

Ein berufsmäßiges Parteimitglied, jung genug, um noch zu hoffen, hat eine Gelegenheit genutzt, sich auf Kosten des angeschlagenen (die Umfragen!) und vom Altersmalus (Generation 50 plus) gezeichneten Berufsvorsitzenden zu profilieren. Das berufsmäßige Parteimitglied hatte nicht vor, dabei ein Risiko einzugehen, nicht das geringste. Die Hauptarbeit sollten die Medien leisten. Das hat auf ganzer Linie funktioniert.

Eine Frau Pauli aus Fürth, die bisher namenloser war als ein beliebiger der in diesen Breiten zahlreich vorkommenden Mundartkabarettisten, ist zu einer Marke geworden. Die Marke wird beschrieben mit "frech" und "unerschrocken", "jung", "raffiniert" und "sexy". So ungefähr, wie Dieter Bohlen eine Mädchenband kreieren würde und eine Abfüllanlage das dazugehörige Soft-Getränk. Aber muss so eine fränkische Landrätin sein?

Die Attacke hat berechenbar geendet. Glaube bitte keiner, Frau Pauli habe dieses Ende nicht gekannt, als sie zur Attacke schritt. Aufgewachsen in der "Familie", die mit absoluter Mehrheit ein Land beherrscht, kennt sie deren Gesetz. Das Ende sieht so aus: Die engsten Führungskreise der in Rede stehenden Partei ziehen sich zur Klausur zurück. Kreuth - ein Name, aus dem uns der Atem der Vorhölle entgegenweht. Dort treffen sich einmal im Jahr all die akkumulierten Parteifreunde, von denen jeder die Leiche im Keller des anderen kennt, und schlagen einander auf die Schultern. Der desavouierte Berufsvorsitzende trägt einen bitteren Zug um die eiskalten dünnen Lippen: Nein, das alles hat er, der Bayern von der Alm geholt hat, nicht verdient! Jetzt beginnt die Zeremonie. Einer nach dem anderen der Herren, denen man nachsagt, sie hätten Ambitionen, versichert seine unverbrüchliche Treue, ja Liebe zum großen Vorsitzenden. "Du bist die Blume an unserem Weg und das Wasser in unseren Augen", ruft einer aus, und ein anderer "Dein Aftershave ist Bayern, und Bayern das bist Du!" usw. usf. Besonders der eine - Horst Seehofer, so genannter CSU-Rebell - windet sich in einer selbst ausgelegten Schleimspur. Von ihm wird man, wenn es nach den Gesetzen der Loge zugeht, noch hören; er wird dereinst der Tyrannenmörder sein!

Den gesamten Vorgang kennen wir als beliebige Turbulenz in hermetischen, sich selbst genügenden Systemen. In einer demokratischen Partei wäre er nicht denkbar. Der Personenkult ist nicht nur geschmacklos, sondern wesentliches Indiz für das Geflecht der Alleinherrschaft - für persönliche Abhängigkeiten, Denunziation, Karrierismus, Erpressung und Erpressbarkeit. Stoiber hat mit der Methode der üblen öffentlichen Nachrede vor Jahren Theo Waigel als möglichen Nachfolger Max Streibels aus dem Weg geräumt (natürlich war er´s nachher nicht gewesen). Strauß-Tochter Hohlmeier drohte in hoher Not ihren Gegnern mit Notizen, die sie über sie habe anlegen lassen. Jeder Bayer kann von der CSU-Funktionärskaste in seinem Landkreis Ähnliches erzählen. Und erwachsenen Ossis fällt die SED ein.

Wie zur Alleinherrschaft der "Familie" der Personenkult gehört, so gehört zum Personenkult die rasche Gekränktheit, die Ehrpussligkeit. In Kreuth am Montag haben Stoibers Lakaien die Ehre des Patriarchen wieder hergestellt. Das Gesetz der Ehre hat uns Zuschauern bereits würdelose Vorgänge beschert: Wie die Macht zwischen Stoiber und Merkel dereinst beim Wolfratshausener Frühstück ausgekungelt wurde, während "Muschi" Stoiber Kaffee ausschenkte, das war einem freien Gemeinwesen unwürdig. Seitdem ist Stoiber in der Metamorphose begriffen: von einem - wenn auch menschlich unangenehmen, humorlosen, übereifrigen, überängstlichen und andererseits irrwitzig spontanen - ernsthaften Politiker zu einer lächerlichen Figur.

Schon wie er als Kandidat am Wahlabend 1998 seinen vermeintlichen Sieg herauspresste - und dann war er Neese. Und wie er als "Superminister" im Namen der Ehre aufbrach, die bayerischen Interessen zu vertreten und die Republik im Kabinett Merkel zu retten und dann plötzlich einige Tage verschwunden war, weil er zu Hause ins Kissen weinte! Und wie er danach litt "wie ein Hund"! Und wie er immer sorgfältiger seinem stockenden Gedankenfluss hinterher formulierte, so dass lediglich ein einziger Selbstzweifel in Erinnerung bleibt (letzter Höhepunkt: Der Problembär!). Und wie er wöchentlich den "Mister Njet" gibt! Dass es so weit mit ihm kommen konnte, daran sind allein die Bayern schuld. Warum wählen sie absolute Mehrheiten. Und warum Stoiber so regelmäßig, dass auch der gesündeste Tribun zu glauben beginnen muss, es ginge nicht ohne ihn.

Frau Pauli aber hatte ein Phänomen wunderbar sicher erspürt: Den schreienden, ja komischen Gegensatz zwischen der Wahrnehmung des Stoiber bei normalen Leuten und in der "Familie" - und natürlich seiner selbst. Für die Bayern ist Stoiber erledigt, in der "Familie" ist er tabu. Aus dieser Komik zog sie ihre "Frechheit". Der Kaiser - zumindest der Bayernkönig - ist von Fürth aus gesehen nackt, nur in der Staatskanzlei hat er seinen Anzug an. Und in Kreuth natürlich. Es war grob fahrlässig von Frau Pauli, ihn zu konfrontieren - er hätte zum Amokläufer werden können, wäre der gute Ramsauer nicht davor gewesen.

Aber worum ging es eigentlich? Ging es Frau Pauli darum, den Apparat aufzubrechen, ihm seine Privilegien und Lehen zu entreißen, Bayern zu einer Räterepublik zu transformieren? Der Anlass ist typisch für eine Loge: Frau Pauli fühlte sich ausgeforscht, auf höchste Weisung, wie sie meinte. Ein harmloser Vorwurf. In allen gut funktionierenden Gemeinschaften will man voneinander wissen, wer mit wem, wie viel, wie oft, wohin, auf welche Weise usw. Bei den Grünen ist das nicht anders als bei der Volksolidarität, der katholischen Kirche oder dem Hundezüchterverband. In einem Clan aber geht er ans Eingemachte. Die Kontrolle der Kader (s. Parteikontrollkommission der SED!) ist das wichtigste Machtinstrument. Es darf nicht gefährdet werden, indem es bloßgestellt wird.

Doch in dieser Geschichte gibt es noch eine Absonderlichkeit. Logisch wäre doch gewesen, die bespitzelte Landrätin wäre mit der Forderung aufgetreten (am besten natürlich intern), diese und jede andere Bespitzelung in der CSU stante pede einzustellen und fortan zu unterlassen. Pauli jedoch forderte, den nächsten CSU-Ministerpräsidentenkandidaten vom Parteivolk wählen zu lassen. Anders gesagt: Sie forderte von Stoiber, recht bald aus München in seinen Wolfratshausener Lesesessel heimzukehren. Natürlich will sie selbst nichts werden. Darüber gibt es, wie verlautet, zwischen dem alten Mann und der Funktionärin, die noch zu jung ist, um nicht zu hoffen, baldigst ein Gespräch.

Ohne die freien Medien hätten wir diese Geschichte nie erfahren - sie wäre gar nicht geschehen. Es ist eine Mediengeschichte. Frau Pauli hat sich als sexuelles Wesen ins Spiel gebracht. Sie sah sorgfältig hübsch aus. Man traut ihr das zu, das mit den Männern. Sie war "als Frau" bei Frau Christiansen. Sie fährt Motorrad. Stoiber wird gefahren. Und - das ist die Essenz: "Stoiber kann nicht mit Frauen". Er ist verloren.


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