Im Wahlkampf geht es bekanntlich um die Macht. Aber es geht auch ein bisschen ums Geschäft und nicht wenig darum, irgendwie Recht zu behalten. An die Macht wollen wir, die Freitags dieser Republik - darf ich ungefragt und probehalber dieses verräterische, belastete, vereinnahmende Wir benutzen? - nicht. Nicht schon wieder, noch nicht, niemals oder niemals mehr, nicht einzeln und nicht zusammen. Dennoch ist es uns natürlich nicht egal, wer am Sonntag obsiegt. Es ist uns aus höchst verschiedenen Gründen nicht egal. Und meistens haben diese Gründe nichts mit dem Irak, dem Eingangssteuersatz oder dem Nachtarbeiterzuschlag zu tun, sondern wären ein Auftrag für Sigmund Freud. Ich zum Beispiel (Verzeihung, ich muss gelegentlich von mir reden) verspüre beim Anblick von Beckstein Penetrationsängste und habe mich deshalb schon vor Wochen in meiner Wahlentscheidung festgelegt.
Nein, es ist uns nicht egal, wer obsiegt. Obwohl - dem Freitag geht es unter jeder Regierung schlecht, selbst oder gerade dann, wenn sie versprechen sollte, dass es keinem schlechter geht. Damit ist auch klar, dass es sich bei uns nicht ums Geschäft dreht, denn für uns ist praktisch keins zu machen. Da sind wir in einer anderen Lage als die Financial Times Deutschland. Bei der steht das Geschäft ja schon im Zeitungskopf, und es wäre schon einer Insolvenzerklärung gleichgekommen, hätte die Redaktion ihre Wahlempfehlung für eine Partei abgegeben, die große Vermögen wieder und Spekulationsgewinne exorbitant besteuern will. Wir sind auch nicht RTL oder SAT1. Wären wir sie, würden wir uns bemühen, den Freitag von allzu raumgreifendem, unfrohem linken Geschwurbel freizuhalten, weil das die alphabetisierten Massen davor zurückschrecken lässt, ein Abo zu zeichnen, was wiederum potente Kunden verhindert, unsere Annoncenflächen zu füllen. Und wir sind auch nicht SuperIllu, die jede Woche mit ihrer penetrant in Interviews verstauten redaktionellen Wahlaufforderung einer anderen Gruppierung ihrer ostdeutschen Leserschaft hinterher hechelt und in dieser Woche wahrscheinlich zur Befriedigung ihrer altstalinistischen Klientel zur Wahl der KPD aufruft. Nein, das alles sind wir nicht (und nicht immer froh darüber).
Weil uns also weder Macht, noch Geldgier treiben, könnten wir - wie das neuerdings Usus zu werden scheint - als aufrechte, nur um "die Sache" bemühte Demokraten eine Wahlempfehlung abgeben. Wir könnten - und da träfe sich unsere Systemkritik auf wundersame Weise mit dem Chefredakteur der Financial Times Deutschland - sagen, die journalistische Pluralität im Wahlkampf sei ohnehin geheuchelt, ein politisches Bekenntnis habe der Leser unbedingt verdient. Das könnten wir! Wenn da nicht die Gier wäre, Recht zu haben, zu behalten oder zu kriegen! Denn dieselbe haben wir, da sind wir wie Bild! Weil wir Recht haben oder haben wollen, sind wir deutsche Alt-Linke, Linksliberale, linke Christ(Inn)en, Ökosozialist(Inn)en, Feminist(Inn)en, Gewerkschafter(Innen), Radikalfeminist(Inn)en und Unternehmer(Innen) geworden. Und weil wir das geworden sind, wollen wir Recht haben. Diese Leidenschaft macht uns verletzlich, nicht selten lächerlich. Wir haben es gern, wenn die Welt sich so bewegt, wie wir vorausgesagt haben, auch wenn es ihr hinterher verdammt noch eins schlechter gehen sollte.
Allerdings tragen wir unsere "Essentials" nicht so rechthaberisch vor uns her wie die Bild-Zeitung. Bei uns darf auch schreiben, wer Komisches, Abstoßendes und Widerwärtiges an der Deutschen Einheit findet und behauptet, dass die USA aufgrund der dort grassierenden Fettsucht früher oder später - wenn alle gerechten Kriege geführt sind - aus der Weltgeschichte ausscheiden werden. Wir müssen uns nicht selbst beweisen, dass wir eine Regierung herbeischreiben, eine Regierung "machen" können - wir könnten es uns auch nicht beweisen. Aber Bild kann es auch nicht. Trotzdem: Eine Wahlempfehlung vom Freitag an alle Freitags dieser Republik müsste - sozusagen als Zeichen dafür, dass die Linke aus ihren Fehlern gelernt hat - vollkommen unideologisch sein. Wertfrei und pragmatisch. Also schröderisch. Wollen wir das? Antwortet!
Vielleicht. Aber könnten wir wirklich? Früher, als es noch keine E-mail gab, saßen wir Autoren oft in der Redaktion herum und tranken Kaffee und schwatzten mit den Redakteuren und Sekretärinnen über unsere Frauen, Kinder und Haustiere. Manchmal hagelte es Ideen, aber nur manchmal. Heute wäre vieles zu bedenken, um eine gemeinsame Wahlempfehlung zu formulieren. Wir müssten einen Kongress einberufen, mindestens zweitägig. Dazu müsste ein Organisationsbüro gegründet werden, das Quartiere akquiriert. Dieses Org.-Büro dürfte nicht nur aus Grünen, aber auch nicht nur aus ehemaligen SEW-Mitgliedern bestehen. Und dann würde unsere Redaktionskommission ein Abschlussdokument formulieren, das dann wieder durch die Gremien müsste. Das letzte wäre die Gleichstellungskommission.
Natürlich dürften wir keine Parteienpräferenz aussprechen, denn wir Freitags dieser Republik sind eine pluralistische Linke. Wenn wir beispielsweise auffordern, nur eine Partei zu wählen, die Deutschland nicht an einem Krieg der USA gegen den Irak beteiligt, ginge des Theater schon los. Denn einige von uns (ich auch) würden dazu schreiben wollen, dass sie Schröder und Fischer in diesem Punkt aus Erfahrung nicht über den Weg trauen. Zum Schluss bliebe vielleicht nur ein Satz: "Liebe Freitags dieser Republik! Wählt klug - und lest den Freitag!"
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