Das Damoklesschwert Berlusconi

Italien Der abgewählte Premierminister will eine Regierung Prodi destabilisieren, bevor sie überhaupt gebildet ist

Das unwürdige Schauspiel, mit dem der scheidende Regierungschef und sein Minister Calderoli den knappen Wahlsieg des Herausforderers Romani Prodi begleitet haben, ist nicht nur der letzte Akt einer finsteren Ära der europäischen Demokratie, sondern zugleich Präludium für die neue Legislaturperiode: das siegreiche Wahlbündnis Unione muss sich nicht nur im Plenarsaal des römischen Abgeordnetenhauses auf eine aggressive Opposition einstellen. Auch als Oppositionsführer wird Berlusconi seine Medien- und Finanzmacht in die Waagschale werfen, um dem Amtsnachfolger das Regieren zu erschweren und dessen Kabinett zu destabilisieren, bevor es überhaupt existiert.

Dabei könnte Prodi freilich auch von den Attacken des Ex-Premiers und seiner Alliierten profitieren, denn die koalierenden Linksdemokraten (Democratici di Sinistra/DC), Sozialdemokraten, Christdemokraten, Liberalen (Margherita), Grünen (Verdi) und Kommunisten (PRC und PDCI) eint nichts so sehr wie der Wunsch nach einem demokratischen Neubeginn post berlusconem. Und solange das Damoklesschwert Berlusconi über Italien schwebt, wird niemand leichtfertig einen Bruch der Mitte-Links-Allianz riskieren wollen. Doch allein aus technischer Sicht steht Prodi eine anstrengende Amtszeit bevor: zwar hat die Unione im Parlament eine satte Mehrheit von rund 60 Abgeordneten, im Senat hingegen stellt sie lediglich zwei Vertreter mehr als Berlusconis Casa delle Libertà (158:156) und muss auf die Sympathien der sieben Ehrensenatoren und eines parteilosen Repräsentanten der Auslandsitaliener vertrauen.

Ohnehin herrscht an potenziellen Stolpersteinen kein Mangel, zumal das rechtspopulistische Haus der Freiheiten ein desaströses Erbe hinterlässt: zu den drängenden Problemen zählen neben ruinierten Staatsfinanzen, einer stagnierenden Wirtschaft, dem angeschlagenen Sozialsystem und hoher Jugendarbeitslosigkeit auch die lange überfälligen Tarifverträge im Öffentlichen Dienst, die von der Rechtsregierung über Jahre auf Eis gelegt worden sind. Außerdem hat der in der Öffentlichkeit bis zuletzt siegessicher auftretende, insgeheim offenbar eher pessimistische Berlusconi im Stillen das Terrain künftiger Regierungspolitik bereits nach Kräften vermint. Die prekäre Haushaltslage etwa dürfte sich durch eine seiner letzten Amtshandlungen bald weiter verschlechtern: Kurz vor den Wahlen sind den an infrastrukturellen Großprojekten (Brücke nach Sizilien oder TGV-Trasse Italien-Frankreich) beteiligten Privatunternehmen vertraglich milliardenschwere "Entschädigungen" durch den Fiskus zugesichert worden, sollte sich der Baubeginn - wie absehbar - verzögern. Vor allem gilt es jedoch, die von fünf Jahren Populismus und Demagogie provozierte geistige Zerklüftung des Landes zu überwinden. Nur wenn es Prodi gelingt, die im Wahlkampf beschworene nationale Versöhnung ins Werk zu setzen, wird seine Regierung Bestand haben.

Nicht zu unterschätzen sind dabei die ideologischen Differenzen innerhalb von Mitte-Links: Die von Romano Prodi vorgegebene Marschroute zur ökonomischen Sanierung durch Privatisierung und Liberalisierung stößt bei seinen Koalitionären aus dem linken Spektrum auf wenig Beifall. Fausto Bertinottis deutlich gestärkte Rifondazione Comunista (PRC) etwa wird die Basis kaum mit "gemäßigter" neoliberaler Politik entzücken. Von daher könnte das 2002 erlassene "Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit", welches - ähnlich dem in Frankreich inzwischen gescheiterten Gesetz über den Erstanstellungsvertrag CPE - die Arbeitnehmerrechte neu Eingestellter drastisch faktisch beschränkt, zur ersten Bewährungsprobe werden: Unione hatte sich bisher auf eine Überwindung des so genannten Biagi-Gesetzes verständigt. Wie dies geschehen sollte, blieb allerdings bisher umstritten. Der landesgrößte Gewerkschaftsverband CGIL und die autonome Arbeitnehmervertretung COBAS haben eine ersatzlose Streichung gefordert, was der linke Unione-Flügel umgehend begrüßte. Prodis moderate Partner Margherita und Democratici di Sinistra hingegen plädieren, genau wie Arbeitgebervertreter und die katholische Gewerkschaft CISL, für eine Gesetzesreform. So steht dem designierten Regierungschef gleich eine erste Gratwanderung zwischen Reformliberalismus und sozialer Gerechtigkeit bevor.


Wahlresultat der führenden Parteien


(in Prozent/ in Klammern Ergebnis 2001)

Casa delle libertà

Forza Italia24,0(29,4)

Alleanza Nazionale12,4(12,0)

Lega Nord4,5(3,9)

UDC (Christdemokraten)6,8(3,2)

Unione

Democratici di Sinistra17,5(16,6)

Margherita10,7(14,5)

Rifondazione Comunista7,4(5,0)

Di Pietro / Italia dei Valori2,9(3,9)

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