Tanya Page ist auf das Brighton Hospital in ihrer südenglischen Heimat nicht gut zu sprechen. "Alles was ich weiß, ist: als ich hinein gegangen bin, war ich nicht krank, sondern schwanger. Dann habe ich MRSA bekommen", erzählt die 31-Jährige. Vor fünf Jahren infizierte sie sich nach einer Kaiserschnittgeburt mit Bakterien, gegen die herkömmliche Antibiotika nichts ausrichten. Daraufhin lag sie ein halbes Jahr im Koma, die Ärzte kämpften um ihr Überleben. Geblieben von den Behandlungen sind unzählige Narben und die Knochenkrankheit Osteoporose. Nun verklagt sie das Krankenhaus, Teil des staatlichen Gesundheitssystems, auf Schmerzensgeld.
"Killer Bugs" im britischen Wahlkampf
Die britischen Zeitungen haben den Fall Tanya Page begierig aufgegriffen, und insbesondere die Verteidigungsstrategie des Krankenhauses sorgt für Empörung. Deren Anwälte lehnen nämlich die Verantwortung für die Infektion Pages mit der Begründung ab, solche sekundären Infektionen gehörten zum normalen Risiko eines Patienten in Großbritannien. In einer Presseerklärung schrieben sie: "MRSA-Keime sind in britischen Krankenhäusern sehr häufig. Daher gibt es ein unvermeidliches Ansteckungsrisiko für jeden Patienten, jede Pflegekraft und jeden Besucher." In keinem anderen europäischen Land hat die Gefahr durch die antibiotikaresistenten Keime eine ähnliche politische Brisanz entwickelt. Im letzten Wahlkampf spielte der Kampf gegen die so genannten killer bugs ("Mörderkeime") eine herausragende Rolle. "Es kann doch nicht so schwierig sein, Krankenhäuser sauber zu halten!", lautete da ein anklagendes Plakat der oppositionellen Konservativen.
Multiresistente Staphylokokkus-Bakterien traten zuerst in den sechziger Jahren auf. Die mit MRSA abgekürzten Keime verbreiteten sich seither vor allem in den westlichen Industriestaaten. Gerade dort, wo häufig Antibiotika eingesetzt werden, überleben und vermehren sich besonders die widerstandsfähigen Keime, während weniger überlebensfähige abgetötet werden - ideale Bedingungen für eine weitere Verbreitung. Bei Patienten, die älter oder nach Operationen geschwächt sind, lösen MRSA Lungenentzündungen, Wundinfektionen und Blutvergiftungen aus. Dann sind aufwändige Hygienemaßnahmen nötig, um weitere Ansteckungen zu verhindern, beispielsweise sollten befallene Patienten in Einzelzimmern isoliert werden. Bei alten Menschen, Krebskranken und Patienten auf den Intensivstationen kann die Infektion tödlich verlaufen.
"Weltweit stellen MRSA-Infektionen ein eskalierendes Problem in stationären Einrichtungen dar", heißt es in einer aktuellen Empfehlung des Robert-Koch-Instituts (RKI). In Ländern wie England oder den USA sei die Situation "kaum noch beherrschbar", während in den Niederlanden und den skandinavischen Ländern eine "strikte Präventionsstrategie" Erfolge zeige. Die amerikanische Fachzeitschrift Emerging Infectious Diseases berichtete im März, dass in Großbritannien bei 41,5 Prozent der Blutvergiftungen Methicilin, das gängigste Antibiotikum, nicht mehr wirkt. In den Niederlanden dagegen ist das nur bei 0,6 Prozent der Fall. Die größten Probleme bereiten MRSA nach dieser Statistik in Griechenland (44,4 Prozent).
In Deutschland werden etwa 35.000 Menschen jährlich in Krankenhäusern infiziert, laut Schätzungen sterben von ihnen 1.500 an den Folgen. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich noch im Mittelfeld. In südöstlichen Ländern Europas wie Spanien oder Griechenland, wo Antibiotika sehr häufig verabreicht werden und viele Krankenhäuser schlecht ausgestattet sind, ist schon über die Hälfte aller Staphylokokken resistent geworden. In der Bundesrepublik liegt der Prozentsatz zwischen 20 und 30 Prozent. Aber die Tendenz ist besorgniserregend: "Deutschland und Österreich verzeichnen aktuell den stärksten Anstieg der Resistenzen", berichtet Christian Brandt vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin an der Berliner Charité. "In Großbritannien ist die Situation ja so, dass sie eigentlich nicht mehr schlimmer werden kann."
Folge der Sparmaßnahmen
Überall wird nicht nur um die richtige Strategie gegen MRSA, sondern auch über die Ursachen gestritten. Während in Großbritannien die Regierung das Problem mit mehr Schulungen für das Pflegepersonal lösen will, halten die Gewerkschaften die rapide Ausbreitung von MRSA für eine direkte Folge der Gesundheitsreform mit ihren rigiden Sparmaßnahmen. Seit den achtziger Jahren haben viele Krankenhäuser die Reinigung und teilweise auch einfache Pflegeaufgaben an Fremdfirmen vergeben. Die Zahl der Reinigungskräfte hat sich seitdem fast halbiert, von 100.000 auf 55.000 im Jahr 2004. Karen Jennings, die Geschäftsführerin der englischen Dienstleistungsgewerkschaft UNISON, glaubt: "Es kann kein Zufall sein, dass sich MRSA immer weiter verbreitet, während die Zahl der Reinigungskräfte im Gesundheitssystem immer weiter abnimmt."
Der Zusammenhang zwischen Einsparungen im Gesundheitssystem und MRSA existiert tatsächlich, aber in einem komplexen Wechselspiel: Zwar entwickeln sich die Resistenzen dort besonders bedrohlich, wo Antibiotika nicht zielgerichtet und nachlässig eingesetzt werden. Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) beispielsweise schätzt, dass etwa ein Drittel der in Krankenhäusern eingesetzten Antibiotika überflüssig sind. Haben sich aber die resistenten Keime erst einmal in Krankenhäusern verbreitet, sind penible - und kostenintensive - Maßnahmen notwendig, die oft an der Situation auf den Stationen scheitern.
So sollen betroffene Patienten eigentlich isoliert werden, was in vielen Kliniken schon mangels Räumen nicht möglich ist. MRSA wird meist über die Hände des Personals übertragen, deshalb müssen diese immer wieder gründlich gereinigt werden. Auch die Schürze sollte beim Betreten des Zimmers gewechselt, alle Flächen, mit denen der Patient in Berührung kommt, desinfiziert werden. Eine Krankenschwester aus einem städtischen Klinikum in Baden-Württemberg erzählt aus dem Alltag in ihrem Krankenhaus: "Heute ist der Durchlauf von Patienten viel größer, gleichzeitig ist einfach weniger Zeit da. Da fällt schon das Umziehen ins Gewicht. Wenn den Kollegen dann noch das Bewusstsein für die Problematik fehlt, kriegen wir MRSA nicht in den Griff."
Weniger Antibiotika, mehr Hygiene
Auch andere sinnvolle Maßnahmen scheitern an zu wenig Personal, wie beispielsweise Peter Neumann, Betriebsratsvorsitzender im Klinikum Kaiserslautern, berichtet. Dort wollten die Ärzte die Mitarbeiter, die Träger von MRSA sind, solange von der Arbeit freistellen, bis sie medikamentös behandelt wurden, was üblicherweise acht Tage dauert. "Das ist bei uns nur eine Illusion. Wir arbeiten schon an der untersten Besetzungsgrenze", sagt Neumann.
Seit Jahren fordert die DGKH mehr Investitionen in die Krankenhaushygiene und eine Task Force zur Bekämpfung von MRSA. Ihr Sprecher Klaus-Dieter Zastrow sieht dringenden Handlungsbedarf. "In bestimmten Bundesländern werden die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts immer noch nicht umgesetzt." Den Zusammenhang zwischen Sparmaßnahmen und MRSA hält er für "auch wichtig": "Die Krankenhäuser brauchen auch die nötigen Personalressourcen. Besonders in den Nachtdiensten, wenn eine Pflegekraft 40 Patienten betreuen muss, ist das ein Problem, sobald MRSA auftritt." Für Christian Brandt von der Charité aber greift die Forderung nach mehr Geld zu kurz: "Natürlich existiert ein massiver Kostendruck, aber das kann kein Grund sein, nicht auch unter den gegebenen Bedingungen alles gegen MRSA zu tun." Auch an Gesetzen fehle es nicht, das Personal und auch die Ärzte müssten besser aufgeklärt werden.
Braucht die Bundesrepublik eine nationale Strategie gegen MRSA, wie sie in Dänemark schon vor einigen Jahren eingeführt wurde? Hier gelang es, die Ausbreitung entscheidend zurückzudrängen, der Prozentsatz der resistenten Keime sank von 18 auf unter ein Prozent. Der dänische Ansatz war ein doppelter: einerseits sollten weniger Antibiotika verschrieben werden. Neben einer intensiven Aufklärungskampagne mussten die Arztpraxen ihren Antibiotika-Verbrauch (unter anderem im Internet) veröffentlichen.
Der andere, ebenso wichtige Teil der Strategie waren rigide Vorschriften über Isolierung und Hygiene in den Krankenhäusern. Ähnliches wird in Deutschland aber nur möglich sein, wenn die Krankenhäuser genug Personal und ausreichend Platz zur Verfügung haben. Ansonsten werden Verhältnisse wie in Großbritannien auch hierzulande üblich werden. Dort hat sich zwischen 2000 und 2004 (laut den Sterbeurkunden) die Zahl der Todesfälle durch MRSA verdoppelt. Wolfgang Witte, Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Staphylokkoken am RKI, jedenfalls warnt: "Wenn es uns nicht gelingt, die Verbreitung einzudämmen, haben wir hier bald so schlimme Verhältnisse wie in Großbritannien."
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.