Als nach Scharons Besuch auf dem Tempelberg in den besetzten Gebieten blutige Unruhen ausbrachen, und sich die Gewaltspirale danach immer weiter drehte, schien das für viele jüdische Israelis beinahe wie der normale Lauf der Dinge. Ein Grund mehr, irgendwann doch einen Palästinenserstaat zuzulassen, um endlich eine klare Grenze zwischen sich und dem Nachbarvolk zu ziehen. Als dann jedoch auch im eigenen Staatsgebiet Molotowcocktails und Steine gegen Polizei und Zivilisten flogen, tat sich für die Mehrheit ein Abgrund auf: der Feind steht im eigenen Land, die arabischen Israelis - bisher durchaus loyale Staatsbürger - revoltieren gegen den gemeinsamen Staat, ein Schock.
Gleiches widerfährt der anderen Seite. Nicht nur, dass die Polizei mit großer Härte auf die gewaltsamen Proteste reagiert - über zehn arabische Israelis werden erschossen. Rechtsgerichtete jüdische Israelis beginnen, systematisch arabische Geschäfte und Häuser zu zerstören. Wie tief der Graben ist, zeigen die Parolen der Angreifer: "Tod den Juden!" skandiert die Menge auf der einen Seite, "Tod den Arabern!" auf der anderen.
Seitdem ist Israel nicht mehr das gleiche Land. Nicht nur die Politiker haben die Gewalt und den Hass kaum vorhergesehen, auch Wissenschaftler, die sich mit der arabischen Minderheit in Israel beschäftigen, sind von den Ereignissen überrascht worden. Sie allerdings wissen um das grundsätzliche Problem, das von den meisten Israelis ausgeblendet wird, weil es sie nicht betrifft: Israel ist eine "ethnische" Demokratie, die einen Teil der Staatsbürger strukturell und systematisch diskriminiert. Arabischen Israelis, die sich selbst seit einigen Jahren verstärkt als palästinensische Israelis bezeichnen, bleiben außen vor.
Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung Israels ist heute in etwa der gleiche wie nach der Gründung des Staates: rund 18 Prozent. 1948 standen knapp 700.000 Juden 156.000 Araber gegenüber, zur Zeit beträgt das Verhältnis etwa fünf Millionen zu einer Million.
Die Zahlen belegen ein Mehrheitsverhältnis, nicht aber den Geburtsfehler des Staates, unter den gegebenen Umständen zugleich jüdisch und demokratisch sein zu wollen. Im Kampf gegen die arabische Umwelt entstanden, hat Israel die arabische Minderheit, die im Unabhängigkeitskrieg nicht geflohen war oder vertrieben wurde, als Staatsbürger aufgenommen - ohne sie zu gleichwertigen Bürgern zu machen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die arabischen Israelis haben zwar einen israelischen Pass, aber keine israelische Nationalität. Die gibt es nicht, sondern nur "Juden", "Araber" oder "Drusen" - und das ist in der Politik Israels die entscheidende Kategorie.
Um den jüdischen Charakter des Staates zu festigen, wurde der größte Anteil von Ländereien, die sich in arabischem Besitz befanden, in den vergangenen fünf Jahrzehnten enteignet und verstaatlicht - heute befinden sich über 90 Prozent des israelischen Territoriums in Staatsbesitz. Die Verpachtung dieses Staatslandes an Nichtjuden ist durch ein Abkommen zwischen dem Jewish National Fund und der Israel Land Administration untersagt. Eine der Konsequenzen: Baugenehmigungen zur Vergrößerung ihrer Dörfer oder Städte werden arabischen Israelis mit der gleichen Regelmäßigkeit vorenthalten wie sich jüdische Siedlungen in unmittelbarer Nachbarschaft erweitern dürfen.
Eine ähnliche "ethnisch"-demographische Funktion erfüllt auch das 1951 von der Knesset erlassene Rückkehrgesetz, nach dem jeder Jude sofort die israelische Staatsbürgerschaft erhalten kann. Einst eine Konsequenz aus der bitteren Erfahrung, dass während des Nationalsozialismus kaum ein Land fliehende Juden aufnahm, wird es in Israel noch heute als Instrument der BevölkerungsPolitik genutzt, um die höhere Geburtenrate der arabischen Minderheit auszugleichen. So siedelte man die eingewanderten russischen Juden (rund eine Million seit 1990) gezielt im Norden Israels an, um die dortige arabische Bevölkerungsmehrheit zu brechen. Mit Erfolg, wie der Vorsitzende der Jewish Agency im Dezember 1992 verkündete.
Auch auf anderen Politikfeldern ist die Ungleichbehandlung offensichtlich: Araber sind nicht nur aus der Armee - einer für die Karriere in Israel zentralen Institution - ausgeschlossen, sondern auch aus anderen Sicherheitsbereichen. Im Bildungsministerium wird für ein arabisches Kind nur halb so viel ausgegeben wie für ein jüdisches.
Besonders deutlich wurde die Diskriminierung der arabischen Minderheit 1985, als die Knesset ein Grundgesetz für Parlamentswahlen verabschiedete. Das verbietet alle Kandidatenlisten, die Israel als Staat des jüdischen Volkes explizit oder implizit negieren. Arabische Abgeordnete plädierten seitdem dafür, nur von der Existenz Israels zu sprechen oder neben dem jüdischen Volk auch die arabischen Staatsbürger zu erwähnen - bisher erfolglos.
Diskriminierung und Ausschluss sind jedoch nur eine Seite der arabischen Erfahrung als Minderheit in einer "ethnischen" Demokratie. Daneben stehen begrenzte Möglichkeiten der politischen Partizipation. War sie bis 1967 noch eine klientelistische - arabische Clanchefs unterstützten die Institutionen der regierenden Arbeiterpartei und erhielten im Austausch dafür Hilfe bei der Elektrifizierung eines Dorfes oder der Einreise von Verwandten, die in einem Flüchtlingscamp lebten -, so änderte sich das nach dem Sechs-Tage-Krieg.
Die arabische Minderheit erkannte Israel als Faktum an und versuchte, sich kulturell und ökonomisch zu integrieren. Mit der Verbesserung ihrer sozialen Situation Anfang der siebziger Jahre und dem Aufkommen einer palästinensischen Nationalbewegung auf beiden Seiten der Grünen Grenze wuchs auch das politische Selbstbewusstsein. Dabei wurden den arabischen Israelis allerdings immer wieder die Grenzen ihrer Gleichberechtigung vor Augen geführt. Ihr Protest gegen die anhaltende Diskriminierung speist sich paradoxerweise auch aus dem israelischen Selbstverständnis, nicht nur Staat der Juden, sondern gleichzeitig eine liberale Demokratie und damit ein Staat aller Staatsbürger sein zu wollen. Die arabischen Israelis fordern die Einlösung genau dieses Anspruches.
Seit Oslo kam eine weitere Enttäuschung hinzu. Der arabische Bevölkerungsteil unterstützte die gegenseitige Anerkennung Israels und der PLO sowie die Gründung eines palästinensischen Staates. Seine eigene Lage aber wurde in den Friedensgesprächen nicht thematisiert. Für viele steht dahinter die unausgesprochene Aufforderung: Wem es hier nicht passt, der kann ja nach Palästina ziehen! Genau das aber ist nicht das Interesse der arabischen Israelis. In Um-el-Fahm, einer der größten arabischen Städte Israels, die nur rund einen Kilometer von der Grünen Grenze entfernt liegt, wurde vor wenigen Wochen eine Befragung durchgeführt, ob die Bewohner im Fall eines Gebietsaustausches mit jüdischen Siedlungen einem palästinensischen Staat angegliedert werden wollten. Über 80 Prozent zogen es vor, weiter zu Israel zu gehören.
Mit der neuerlichen Intifada steht Israel vor einem Scheideweg Die Mehrheit wird sich entscheiden müssen, ob sie die arabische Minderheit weiter als fünfte Kolonne oder als gleichwertige Staatsbürger behandelt.
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