Das Theater Basel raschelt derzeit laut in den Blättern der deutschsprachigen Zeitungen. Michael Schindhelm, der Intendant des Hauses, hat eine Stasi-Vergangenheit. Moralinsauer und abgeklärt wird über den Fall geschrieben. Er bietet der Schweizer Intelligenz die Möglichkeit sich zur Geschichte zu äußern. Auf dem Spielplan des Theaters steht seit vergangener Woche ein Stück, das ebenfalls zentral, an anderer Stelle, in der deutsche Geschichte ist und war. Das Nationalepos (oder das dazu gemachte) Die Nibelungen. Das Ensemble des Basler Stadttheaters zeigt mit dieser Arbeit, dass es einiges mehr zu bieten hat als bloß Skandale.
Fünf wilde Germanen, in Fellen und Birkenstockschuhen bekleidet, schleppen einen Amboss auf die Bühne. Zunächst
;hne. Zunächst benutzt diesen der Held des Stückes, um mit einer Mücke zu sprechen. (Später versucht Siegfried hier sein Schwert zu schmieden, hier trifft er sich mit Kriemhild und hier wird er ermordet - der Amboss ist in Basel sein Schicksalsort.) Siegfried ist es in seiner heldenhaften Naivität (Klaus Brömelmeier) nicht bewusst, dass er, während er mit der Mücke spottet, bereits seine eigene Geschichte erzählt - sie beide tragen ihr Schwert im Gesicht. Albert Ostermaier hat für die Basler Fassung diese poetischen Betrachtung geschrieben. Sie weist den Weg durch die Inszenierung der Nibelungen von Lars-Ole Walburg: Die Heldenzeit ist vorbei, das Lindenblatt der menschlichen Verletzlichkeit hat gesiegt.Weitgehend folgt die Inszenierung der Handlung des Riesenepos. Lars-Ole Walburg und Judith Gerstenberg benutzen eine Collage aus Texten der Nibelungenrezeption, führend dabei ist Friedrich Hebbels Trauerspiel in drei Abteilungen. Allerdings verzichteten sie auf eine zeitliche Festlegung - durch die Verwendung der verschiedenartigen Nibelungentexte bekommt die Inszenierung eine zeitlose, eine aktuelle Komponente. Das Bühnenbild von Ricarda Beilharz unterstützt dies. Die Treppenarchitektur, die mit einfachen Mitteln überraschende Wandlungen erfährt, gibt dem Drama einen festen, geradezu statischen Raum - die Nibelungen verlieren das Heldenhafte, unterstützt wird die erzählerische Komponente. Die Kostüme, gestaltet von Annabelle Witt, lenken auf ihre Weise die Blicke: z. B. tritt Siegfried zunächst im Blaumann gekleidet auf, anschließend trägt er Lederhosen und T-Shirt. Letzteres dient, indem es um den Kopf gewickelt wird, als die berühmte Nebelkappe. Dass es gelingt, solche Details in Erzählbilder zu verwandeln, ist die Stärke der Inszenierung.Am desolaten Hof der Burgunder beginnt die Geschichte und sie endet in Etzels Gemetzelhalle. Nach diesem Theaterabend stellt sich die Frage, wie es denn kam, dass gerade das Nibelungenlied sich zu einem germanischen Nationalepos mauserte? Die Inszenierung legt ihre Finger in die Wunden der Heldenmaschine; ihre Leitmotive sind zum einen Kriemhilds Traum, zum anderen Hagen von Tronjes Heldenspruch "Und Drachen schlägt man tot." Schnittpunkt beider ist die Figur der Kriemhild (Katharina Schmalenberg), sie zeigt die Ambivalenz des Epos, sie lebt in ihrer Liebe und Sorge zu Siegfried und gleichzeitig in heldenhaften Rachegelüsten.Kriemhild träumt, wie sie einen Falken zähmt, der dann von einem schwarzen Adler erschlagen wird. Wie ein Falke kreischt und klagt Katharina Schmalenberg bei diesem Auftritt. Dabei sammelt sie vom Boden Federn auf, und ist doch selbst dieser geschlagene Vogel geworden. Auch bei dem ersten Treffen von Kriemhild und Siegfried verwandeln sich die Figuren zu Vögeln: Zuerst unterhalten sie sich mit der Hilfe von Pfeifen, ja sie turteln geradezu, dann fliegen sie gemeinsam als großes verliebtes Flügelwesen über die Bühne. Und endlich bei Kriemhilds Klage über ihren ermordeten Helden wird sie wieder ganz zum Falken, ihr Schreien lässt sie selbst zu einem Totenvogel werden. Dieses Vogelwerden macht aus dem Liebespaar ein Menschenpaar - es nimmt ihnen ihren Heldenstatus, in diesen Situationen wirken sie am verletzlichsten. Hier geben die menschlichen Gefühle den Ton an.Das zweite Motiv, Hagens (Wolfgang Pegler) Begründung für Siegfrieds Mord am Brunnen, ist ein lakonisch dahergeredeter Satz. Und doch liegt in ihm die ganze Irrwitzigkeit des Heldendaseins: Weil Siegfried den Drachen erschlagen hat, wurde er selbst zum Drachen und muss wiederum erschlagen werden. Doch das Spiel geht weiter, Kriemhild wiederholt den Spruch (auf die gleiche Art wie Hagen), wenn sie den Tod ihres Mannes an den Nibelungen rächt, und auch sie wird schließlich an diesem Satz gerichtet. Dies ist die Logik, mit der Helden fabriziert und Kriege geführt werden. Dass hier wiederum Kriemhild die zentrale Rolle spielt, zeigt nur, wie unerbittlich die Logik sein kann (und wie besonders grausam, wenn sie mit Gefühlen vermischt wird). Die Folgen der Nibelungentreue sind bekannt - dass sich auf der Basler Bühne Kriemhild selbst tötet, ist eine krasser Ausdruck dessen.Mit den Positionen von Held sein und/oder Mensch sein spielt die Inszenierung. Dabei werden die heroischen Personen nie zu Witzfiguren, obwohl sie in ihrer pathetischen Naivität nah an die Lächerlichkeit geraten. Die Momente des Umschwungs, in denen aus Helden Menschen werden, die einfach ihre Geschichte erzählen, gehören zu den stärksten des Abends.In Schlussbild erheben sich die fünf ermordeten Herren vom Burgundischen Königshof wieder. In ihren Badewannen hatte sie Kriemhild hingerichtet (wissen wir doch seit Davids Marat-Bild, welch gefährlicher Ort die Badewanne ist, speziell für Herren, die von rachedürstige Frauen verfolgt werden). Es sind die selben fünf Schauspieler wie zu Beginn. Damals waren sie noch unzivilisierte Germanen. Jetzt tragen sie wieder Fell, nur diesmal zu Mänteln vernäht. Im Kleid der Helden scheinen sie doch Wilde geblieben zu sein. Nach erlittenem Meuchelmord stehen sie wieder auf als Gespenster. Sie sprechen eine Passage aus Heiner Müllers Nibelungenverarbeitung und bringen sich erneut um. Das Spiel geht weiter ...