Logis und Kosten

Eng Steigende Mieten, Wohnungsknappheit: Wie steuert man da gegen?
Ausgabe 26/2018

Es scheint paradox: Die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr, die Zahl der Erwerbstätigen so hoch wie noch nie. Die verfügbare Wohnfläche pro Einwohner liegt um 11,3 Quadratmeter höher als der Wert des Jahres 1991. Trotzdem wird es für immer mehr Menschen – vor allem in den Ballungsräumen – immer schwieriger, bezahlbare Wohnungen zu finden.

Das liegt erst mal daran, dass Wohnungsmärkte Bestandsmärkte und die Angebote ortsgebunden sind. So stellten die 285.000 im Jahr 2017 neu gebauten Wohnungen zwar den höchsten Fertigstellungswert seit 2004 dar. Unterm Strich waren das jedoch nur 0,68 Prozent des Wohnungsbestandes. Lediglich zehn Prozent der Neueinzüge pro Jahr betreffen Wohnungen in Neubauten. Weil es Zeit braucht, neue Angebote zu schaffen, und weil Wohnungen langlebige Konsumgüter sind, tendieren Wohnungsmärkte zu Ungleichgewichten. Auf kurzfristige, etwa wanderungsbedingte Erhöhungen der Einwohnerzahlen folgt die Ausweitung des Wohnungsangebotes erst mit einer Verzögerung von mehreren Jahren. Das liegt an der Unsicherheit potenzieller Investoren, wie dauerhaft die Nachfragesteigerung sein wird, am Mangel an Grundstücken und an begrenzten Kapazitäten von Bauwirtschaft und Baustoffherstellung. Während allerdings fehlende inländische Kapazitäten durch den Zukauf im Ausland ersetzt werden können, findet die Angebotsausweitung am Baulandmangel ihre Grenze.

Kurzfristig erfolgt der Ausgleich zwischen einem „starren“ Angebot und einer wachsenden Nachfrage in einem marktwirtschaftlichen System über den Preis. Die Preise steigen in Neubau und Bestand so weit an, bis ein neues Gleichgewicht gefunden ist. Zusätzlich gibt es flexible Reaktionen von Nachfragern und Anbietern auch jenseits des Neubaus: Kinder ziehen später aus dem Elternhaus aus. Man sucht sich kleinere Wohnungen oder reduziert die konsumierte Wohnfläche über das Zusammenleben in WGs. Bisher nicht angebotene Wohnungen werden aktiviert, Ferienwohnungen zur Dauervermietung umfunktioniert. Flüchtlinge werden in mehr oder weniger provisorischen Unterkünften dauerhaft untergebracht. All diese Reaktionen sind die Gründe dafür, dass es bislang nicht noch einen viel stärkeren Anstieg offener Wohnungslosigkeit gegeben hat. Denn immerhin hat nach 2010 eine hohe Zuwanderung eingesetzt – und das bei niedrigem Wohnungsbau.

Eine Fortschreibung des Versorgungsniveaus der Jahre 2010 bis 2017 ergibt, dass seit 2010 etwa eine Million Wohnungen zu wenig gebaut wurden. Allerdings hatte sich das Versorgungsniveau des Jahres 2010 auf der Basis der damaligen Preise und Einkommen eingestellt. Nun sind seitdem die Miet- und Kaufpreise für Wohnungen und Häuser vor allem in den Ballungsräumen weit stärker gestiegen als die Einkommen. Um das Versorgungsniveau des Jahres 2010 in den Ballungsräumen wieder zu erreichen, müssten entweder die Preise sinken oder die Einkommen steigen. Bleibt beides, wie es derzeit ist, so wird sich der Wohnkonsum auf dem erreichten, niedrigeren Niveau stabilisieren. Steigen die Preise weiterhin stärker als die Einkommen, wird sich der Wohnkonsum weiter vermindern.

Kleiner, schöner wohnen

Die Reaktionen der Marktteilnehmer in den vergangenen Jahren haben die grundsätzliche Funktionsfähigkeit der Wohnungsmärkte unter Beweis gestellt. Nur: Der Markt liefert ein Ergebnis; dessen Sozialverträglichkeit garantiert er nicht. An dieser Stelle kommt der Staat mit seinem wohnungspolitischen Handeln ins Spiel.

Mit dem sozialen Wohnungsbau, der Förderung von Wohneigentum, der Zahlung von Wohngeld bis hin zur Übernahme der Kosten der Unterkunft hat der Staat die hohe Bedeutung des Wohnens für seine Bürger anerkannt, auch wenn kein Recht auf eine Wohnung im Grundgesetz verankert ist. In dieser Dualität des Guts „Wohnen“ liegt das politische Dilemma. Als Marktgut kann es für den größten Teil der Bevölkerung dem marktwirtschaftlichen Ausgleich von Angebot und Nachfrage überlassen werden. Das Versprechen eines „Daches über dem Kopf“ für jeden Bürger im Rahmen der Daseinsvorsorge macht das Wohnen aber auch zu einem Sozialgut. Bei einem Sozialgut werden Bedarfe normativ definiert und politisch beschlossen. Wenn der Preis des Wohnens ansteigt, kann eine Situation eintreten, in der Haushalte sich nicht mehr selbst am Markt mit dem Gut Wohnen versorgen können, obwohl ihr Einkommen über der Subventionsschwelle liegt. Genau das ist aktuell in vielen Ballungsräumen erreicht.

Die Bundesregierung setzt auf eine Ausweitung des Wohnungsneubaus, um über zusätzliche Angebote die Preiserhöhungen einzudämmen. Da die Preisanstiege bisher nicht die gewünschte Steigerung des Neubaus ausgelöst haben, kann nur eine stärkere Wohnungsbauförderung für mehr Neubau sorgen. Die Verdopplung der vom Bund an die Länder gezahlten Kompensationsmittel von 518 Millionen Euro je Jahr auf eine Milliarde Euro im Jahr 2016 für den sozialen Wohnungsbau hatte bisher eine Steigerung des sozialen Mietwohnungsbaus um nur 10.000 Wohnungen zur Folge. Zur Wirkung der nochmaligen Erhöhung auf 1,5 Milliarden Euro in den Jahren 2017 und 2018 liegen noch keine Erkenntnisse vor. Ab 2019 soll der Betrag wieder auf eine Milliarde je Jahr reduziert werden.

Doch die geplanten Bundesmittel werden auch zusammen mit den Landesmitteln den Bestand an Sozialmietwohnungen nicht erhöhen, sondern nur den weiteren Rückgang mildern. Eine umfassende Wohngeldreform mit einer starken Ausweitung der Zahl der Begünstigten ist nicht vorgesehen. Das aber bedeutet, dass die Bundesregierung die Frage des Wohnens für Haushalte mit niedrigen bis mittleren Einkommen abgehakt hat.

Das geplante Baukindergeld stützt diesen Befund: Es sieht jedes Jahr vier Milliarden Euro für Haushalte mit mittleren bis höheren Einkommen vor. Eine Erhöhung des Neubauvolumens wird es nicht bewirken, da es auch Bestandskäufe fördert und die Subventionswirkung umso höher ausfällt, je niedriger der Anschaffungspreis ist.

Zuletzt sollten wir nicht vergessen, dass auch in der Wohnungspolitik Konflikte mit anderen Politikbereichen bestehen. Insbesondere die über die Jahrzehnte massive Ausweitung der Wohnfläche je Einwohner läuft den Zielen des Klimaschutzes entgegen. Dies gilt auch für die Ausweitung der Bautätigkeit im weiteren Umfeld der Zentren, die zu ständig wachsenden Pendlerströmen führte. Selbst jene Effizienzsteigerungen, die eigentlich dem Klimaschutz dienen sollten, wurden bisher über erhöhten Konsum weitgehend kompensiert. Wenn die Klimaziele des Jahres 2030 erreicht werden sollen, reicht die bisherige Modernisierungsrate im Wohnungsbestand jedenfalls nicht aus.

Wie könnten langfristig tragfähige Lösungen aussehen? Eine erhebliche Ausweitung des Bestandes an Wohnungen im öffentlichen Eigentum mit der Maßgabe „einmal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung“, wäre ein wichtiger Schritt, um Haushalten mit niedrigen Einkommen wieder eine Wohnperspektive zu geben. Nach den Erfahrungen der vergangenen 20 Jahre wäre eine Privatisierung dieser Wohnungen auszuschließen. Zusätzlich gälte es, den Kreis der Begünstigten beim Wohngeld deutlich auszuweiten.

Eine sinnvolle Wohneigentumsförderung würde bei jenen Einkommensgruppen ansetzen, die langfristig unterdurchschnittliche Wohneigentumsquoten aufweisen. Diesen Haushalten wäre mit langfristigen Zinsfestschreibungen und niedrigen Eigenkapitalanforderungen mehr geholfen als mit Zahlung eines festen Geldbetrages. Knüpft man die Kreditvergabe an die Einhaltung kleinerer Wohnungsgrößen, wäre das sogar ein Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele.

Matthias Günther ist Ökonom und Vorstand des Pestel-Instituts, welches Kommunen, Unternehmen und Verbände berät

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