Logisches Denken bleibt erlaubt

Wenn aus Formulierungen Privateigentum wird Die EU-Kommission hat dem Betreiben der Microsoft-Lobbyisten nach Softwarepatenten vorerst nicht nachgegeben, doch die Auseinandersetzung um Patentierung und Urheberrechtsschutz dauert an

Man nehme ein halbes Brötchen, belege es mit einer Frikadelle, einer Scheibe Käse und einem Stück Tomate, packe das andere halbe Brötchen oben drauf und fertig ist das - Sandwich? Nein, fertig ist das Patent auf ein Sandwich. Unter der Nummer 6.004.596 gibt es ein amerikanisches Patent auf ein eingeschweißtes Sandwich, das - welch geniale Erfindung! - keine harte Kruste hat.

Ein Hersteller, der auf die Idee käme, ebenfalls in Folie verpackte Sandwichs zu verkaufen, müsste also auf der Hut sein, nicht versehentlich die "Erfindung" seines Konkurrenten zu verletzen. Ob da eine zusätzliche Scheibe Gurke wirklich ausreichen würde, um sich von der patentierten Erfindung deutlich genug zu unterscheiden?

Nun soll es hier aber gar nicht um patentierte Sandwichs, sondern um patentierte Software gehen, genauer gesagt um den EU-Richtlinienentwurf über die "Patentierung computerimplementierter Erfindungen". Das Europäische Parlament hat diesen Richtlinienentwurf bei der zweiten Lesung am 6. Juli in Bausch und Bogen verworfen: 648 Parlamentarier stimmten gegen die Richtlinie, 14 stimmten dafür und 18 enthielten sich. Was hat das mit patentierten Sandwichs zu tun?

Dazu muss man Folgendes wissen: Die Europäische Patentübereinkunft von 1973 legte in Artikel 52 fest, dass "Programme für Datenverarbeitungsanlagen" nicht als patentfähige Erfindungen angesehen werden. Dieser Ausschluss begründet sich in der Abstraktheit von Software: Im Prinzip lässt sich mit Software jeder Gedanke ausdrücken. Ein Patent auf Software käme demnach einem Patent auf Gedanken gleich. Patentschutz soll aber nur für technische Erfindungen erteilt werden.

In der Auseinandersetzung um den EU-Richtlinienentwurf stießen nun zwei völlig konträre Darstellungsweisen aufeinander: Die Gegner des Richtlinienentwurfs vertreten die Sandwich-Perspektive. Sie argumentieren, dass der Entwurf nicht nur Patente auf Software ermöglicht, sondern darüber hinaus auch Trivialpatenten Tür und Tor öffnet, die ein normaler Entwickler dann unwillkürlich verletzen würde, wenn er beim Programmieren strukturiert vorgeht. Letztlich, so die Kritiker, würde diese Art von Softwarepatenten die ganze europäische IT-Branche in Gefahr bringen. Niemand könne mehr sicher sein, beim Programmieren nicht versehentlich irgendein Patent zu verletzen. Außerdem sei Software ausreichend durch das Urheberrecht geschützt. Zusätzliche Patente seien gar nicht nötig.

Dem Europäischen Patentamt werfen die Kritiker vor, ohne rechtliche Grundlage bereits zahlreiche Patente auf Software erteilt zu haben, die Zahl 30.000 wird genannt. Als abschreckende Beispiele führen sie die Patente auf den Fortschrittsbalken und das Warenkorbprinzip von Online-Shops an. Diese zweifelhaften Patente lassen sich bislang aber nicht durchsetzen, weil sie gegen das momentan noch geltende Recht verstoßen. Die EU-Richtlinie hätte diese Patente aber nachträglich legalisiert.

Die Befürworter der Richtlinie weisen sämtliche Befürchtungen und Vorwürfe weit von sich. Sie seien ebenfalls Gegner von Trivialpatenten. Es gehe nur um solche Erfindungen, bei denen Computer eine steuernde Rolle übernehmen, etwa bei Messvorrichtungen, dem ABS-System oder einer Aufzugsteuerung. Die Patentierungsrichtlinien müssten einfach so angepasst werden, dass sich auch "computerimplementierte Erfindungen" problemlos patentieren ließen. Mehr sei mit dem Richtlinienentwurf gar nicht beabsichtigt. Zu den Befürwortern der Richtlinie zählen insbesondere solche Verbände, in denen sich die großen Konzerne wie Microsoft, IBM und andere organisiert haben.

Als Außenstehender fragt man sich, warum sich diese beiden Seiten eigentlich nicht einigen konnten. Man müsste doch lediglich festlegen: Patente auf reine Software bleiben verboten. Erlaubt hingegen sind Patente auf technische Erfindungen, bei denen ein Computer eine unterstützende Rolle spielt. Alle Erfinder von Messvorrichtungen, Aufzugssteuerungen und ABS-Systemen könnten dann ihre Apparate patentieren lassen. Und wer "reine" Software ohne zugehörige Apparaturen entwickelt, müsste keine Angst haben, versehentlich Patente zu verletzen.

Wieso kam es auf EU-Ebene zu keiner Einigung? Die Kritiker unterstellten von Anfang an den Befürwortern der EU-Richtlinie ein verborgenes Anliegen: Angeblich solle die EU-Richtlinie nur für technische Erfindungen mit einem gewissen Softwareanteil zuständig sein. Durch die Wahl vieldeutiger Formulierungen aber sollten durch die Hintertür Patente auf reine Software eingeführt werden. Wohin das führt und wem das nützt, das kann man in den USA deutlich sehen.

Hier schließt sich der Kreis zu dem eingangs erwähnten Sandwichpatent. In den USA kann man eigentlich alles patentieren, was sich ein Mensch ausdenken kann. Im Softwarebereich profitieren davon vorwiegend die großen Konzerne, die Tausende von Patenten angemeldet haben. Mit diesem Patentarsenal können die Unternehmen quasi jeden Konkurrenten zu Lizenzzahlungen verpflichten. Prozesse um Patentstreitigkeiten sind extrem teuer. Meist geht es um sechs- bis siebenstellige Summen. Kleinere Unternehmen können es sich kaum leisten, eventuell vorhandene eigene Ansprüche durchzusetzen, wenn sie nicht ihre eigene Existenz riskieren wollen. Mit anderen Worten: In den USA sind Patente zu einer Möglichkeit geworden, die Mitbewerber in Mafiamanier abzukassieren und den Markt unter sich aufzuteilen.

In Europa ist diese Vorgehensweise bislang nicht möglich. Das wurmt die großen Softwarefirmen aus den USA. Daher haben einige von ihnen durch massive Lobbyarbeit versucht, durch diesen Richtlinienentwurf in Europa amerikanische Rechtsverhältnisse einzuführen. Das Europäische Parlament hat ihn abgelehnt. Das Thema bleibt aber aktuell, weil es hier um die grundsätzliche Frage geht, wie öffentliche und private Güter voneinander abgetrennt werden.

Softwarepatente wären ein Mittel, das bislang öffentlich verfügbare Know-how der IT-Branche zu privatisieren. Das ist der ökonomische Sinn dahinter. Wo die Grenze verlaufen soll zwischen öffentlichen und privaten Gütern, kann nur der Staat entscheiden. Unternehmen würden aus ihrer Natur heraus am liebsten alles privatisieren. Das könnte absurde Folgen haben, wie ein simpler Vergleich deutlich macht.

Wenn ein Schriftsteller ein Buch schreibt, ist es durch das Urheberrecht geschützt. Dieser Schutz erstreckt sich aber nicht auf die einzelnen Wörter, die der Schriftsteller in seinem Buch verwendet. Auch ein einzelner aus dem Zusammenhang gerissener kurzer Satz ist nicht urheberrechtlich geschützt. Ein anderer Schriftsteller könnte in einem anderen Zusammenhang den gleichen Satz verwenden, ohne das Urheberrecht des ersten Autors zu verletzen.

Bei Software ist das ähnlich. Das gesamte Programm ist als Ganzes urheberrechtlich geschützt. Eine einzelne Anweisung ist es aber nicht. Patente auf Software würden eine Möglichkeit bieten, einzelne Programmbestandteile und Sequenzen in Privateigentum zu überführen.

Nun die Frage: Kann sich jemand vorstellen, beim Reden und Schreiben immer erst eine Patentdatenbank zu konsultieren, um zu überprüfen, welche Wörter oder Redewendungen patentgeschützt sind? Für den gesunden Menschenverstand ist das absurd. Unternehmen können aber in einer öffentlich verfügbaren Sprache kein bedeutendes Gut, sondern allein ein Markthindernis sehen und würden ihre Privatisierung fordern.

Man erkennt: Solche marktradikalen Ansichten fordern die Öffentlichkeit heraus. Das europäische Parlament hat sich dieser Herausforderung gestellt und im Sinne des gesunden Menschenverstands entschieden.


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