„Feuer und Wut“ gegen „Asche und Finsternis“ – die Drohbotschaften zwischen den USA und Nordkorea wurden in den letzten Wochen in ihrer Bildhaftigkeit immer befremdlicher. Raketentests und Sanktionen begleiteten die martialische Rhetorik. Schon während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes empfand man Unbehagen angesichts der Vorstellung, Donald Trump könne eines Tages das Kommando über die US-Streitkräfte, mit ihrem Atomwaffenarsenal übernehmen. Neben dem Unbehagen gibt es aber auch die Nüchternheit. Anhänger der Abschreckungstheorie meinen, das Verhalten der beiden Atommächte sei völlig rational. Länder besitzen Atomwaffen, um Angriffe gegen sich abzuwenden – entscheidend ist die glaubwürdige Vermittlung des Eindrucks, man wäre bereit, die Waffen auch einzusetzen. Ob das jetzt mehr auf Donald Trump oder Kim Jong-un zutrifft – es kann sogar von Vorteil sein, das Bild des manisch-impulsiven Entscheidungsträgers nach außen zu projizieren, weil es signalisiert, dass man vor nichts haltmacht und die Bomben tatsächlich zum Einsatz kommen könnten. Insgesamt – so die Theorie – würde ein Krieg zwischen Atommächten dadurch aber unwahrscheinlicher, weil die Kosten eines derartigen Konfliktes einfach zu hoch wären.
Die Bundesregierung folgt dieser Doktrin und bezeichnet die „nuklearen Fähigkeiten“ der NATO als „ultimativen Garant der Sicherheit ihrer Mitglieder“. „Solange Nuklearwaffen ein Mittel militärischer Auseinandersetzung sein können, besteht die Notwendigkeit zu nuklearer Abschreckung fort“, liest man im Weißbuch des Verteidigungsministeriums.
Die Atomwaffen machen uns sicherer – das ist es, was viele beunruhigt. In den letzten drei Jahren gab es einen Aufstand im Stillen. Eine Bewegung aus humanitären Hilfsorganisationen, Wissenschaftlern und Vertretern der Zivilgesellschaft beriet in einem mehrjährigen Prozess über die inhärenten Risiken und Gefahren des Zugangs. Auf Konferenzen und in UN-Foren wurden die humanitären Folgen von Atomwaffen erörtert – am Ende stand der „humanitarian pledge“ von 120 Staaten, die sich für ein generelles Verbot von Atomwaffen einsetzen. Triebfeder war auch die Unzufriedenheit mit dem stagnierenden Fortschritt der nuklearen Abrüstung, wie sie durch den bereits existierenden Atomwaffensperrvertrag eigentlich vorgesehen wäre. Mit dem neuen Verbotsvertrag sollen die rechtlichen Rahmenbedingungen für das langfristige Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt geschaffen werden. Im Sommer 2017 wurde der Vertragstext zum Verbot von Atomwaffen ausverhandelt – er liegt ab 20. September zur Unterschrift auf und könnte innerhalb der nächsten zwei Jahre in Kraft treten. Er hätte weitreichende Folgen und weist dennoch Mängel auf.
Ein Schönheitsfehler der Initiative besteht vor allem darin, dass sich jene neun Staaten, die über Atomwaffen verfügen, nicht am Verhandlungsprozess beteiligten und diesen boykottierten – darunter die USA, Russland, Frankreich, China und Großbritannien. Die deutsche Vertretung bei den Vereinten Nationen kritisiert die Initiative deshalb als „verlockende Abkürzung, die aber leider ins Nirgendwo führt“. Verhandlungen über ein Nuklearwaffenverbot ohne die Atomwaffenstaaten seien ineffektiv. Manfred Mohr, Experte für humanitäres Völkerrecht und Mitglied der Anti-Atomwaffengruppe IALANA, sieht darin kein fundamentales Problem: „Auch ohne die Ratifikation des Vertrags, wäre die Substanz anwendbar“. Mohr argumentiert mit dem Völkergewohnheitsrecht, bei dem sich eine Gruppe von Staaten zu einer Rechtsüberzeugung bekennt und dadurch eine Norm etabliert. Beim Verbot von Streuwaffen hätten auch nicht alle Besitzerstaaten unterschrieben, dennoch wäre den Waffen dadurch die Legitimation genommen worden. Für Mohr ist das der entscheidende Punkt: „Wenn der Vertrag in Kraft tritt, gibt es einen viel höheren Rechtfertigungsgrund, warum Nuklearwaffen gebraucht werden“. Zivilgesellschaftliche Organisationen erhielten dadurch zusätzliche „Argumentationshilfe“. Die Atomwaffenfreie Welt sehen die Vertragsbefürworter nicht um die Ecke biegen. Vielmehr geht es um einen Prozess, der zu Stigmatisierung und öffentlichem Druck auf die Besitzerstaaten führe.
Ein Punkt, der für Deutschland von besonderer Relevanz ist: Neben dem generellen Verbot, Atomwaffen zu besitzen, zu entwickeln oder einzusetzen, verbietet das Dokument auch die Stationierung der Waffen im eigenen oder in fremden Ländern. Deutschland, das über die „nukleare Teilhabe“ amerikanische Atomwaffen beherbergt, wäre dadurch betroffen. Martin Schulz hat unlängst zum Thema Stellung bezogen und angekündigt, die Waffen aus Deutschland abzuziehen, sollte er Kanzler werden. Westerwelle hatte das bereits 2010 gefordert, musste aber nach irritierten Reaktionen der NATO und USA zurückrudern. Sascha Hach von ICAN, der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, hält die Forderung grundsätzlich nicht für unrealistisch oder naiv: „Es hat viel mit politischem Willen, Druck und öffentlicher Debatte zu tun“. Die nukleare Teilhabe sei für Deutschland jedenfalls nicht rechtlich verbindlich.
Dass aktuelle Entwicklungen, wie die Krise zwischen den USA und Nordkorea oder Russlands Außenpolitik unter Putin, das Fenster für Abrüstung eher weiter zugemacht hätten, sehen die an der Ausarbeitung des Vertrags beteiligten Anti-Atomwaffen-Gruppen auch. Xanthe Hall, Abrüstungsexpertin der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW dazu: „Seit Putin in der Ukraine interveniert hat und offen mit Atomwaffen gedroht hat, ist die Idee der Abrüstung in Deutschland politisch nicht mehr salonfähig. Wir sagen aber: Besser es gibt insgesamt keine Nuklearwaffen – sie sind eher gefahrbringend als deeskalierend“. Der Vertrag sei keine Ideallösung, aber eine „politische Bezugnahmemöglichkeit“. Die wird es noch längere Zeit brauchen.
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