In meiner Küche hängt eine Kinderzeichnung. Eine blonde Prinzessin lächelt vom Blatt den Betrachter an - die geschlechtsneutral erzogene 10-jährige Künstlerin ist eine meiner Nichten und liebt Barbies über alles, vielleicht weil sie so lange auf ihre erste warten musste. Ich hingegen liebe Kinder, vielleicht weil ich keine eigenen habe und schon lange nicht mehr auf welche warte. Wissenschaftlich gesprochen darf ich mich damit zu der Untergruppe der so genannten "Frühentscheider" zählen, also zu denjenigen, die schon relativ früh in ihrem Leben eine Entscheidung gegen eigene Kinder treffen, und befinde mich damit in der schönen Gesellschaft der gewollt Kinderlosen.
Nun handelt es sich bei mir um einen Mann, der verschärft auf die 40 zugeht, und damit um einen Vertreter eben der Hälfte der gewollt Kinderlosen, den die Biologie schamlos bevorteilt, wenn es darum geht, eine endgültige Entscheidung in Bezug auf die Kinderfrage zu treffen. Die männliche biologische Uhr tickt ja bekanntlich bis zum ultimativen Einschlafen. Auf meine Freundinnen und die anderen Frauen trifft das natürlich nicht zu.
Als gewollt Kinderloser sollte man sich beizeiten ein dickes Fell zulegen. Wie sonst sollte man je die jährlich wiederkehrende Tantenfrage kontern: "Wann ist es denn endlich bei dir so weit?" oder aber das indiskreteste mir jemals untergekommene Small-Talk-Sujet: "Warum hast du eigentlich keine Kinder?" Damit will ich gar nicht bestreiten, wie hilfreich es wäre, der Umwelt endlich einmal erklären zu dürfen, warum es bei mir so kinderlos aussieht, aber eben keinesfalls trostlos ist. Ich kann mich allerdings weder darauf besinnen, jemals jemanden gefragt zu haben: "Warum hast du eigentlich Kinder?", noch bin ich der Überzeugung, dass uns so grenzverletzende Diskussionen wirklich weiter brächten. Ich akzeptiere die Schlafzimmertür meiner Gesprächspartner für gewöhnlich als die Begrenzung ihrer Intimsphäre. Vom Chor derjenigen, die auf der vermeintlich anderen, sicheren, auf jeden Fall aber kinderreicheren Seite stehen, wird diese borderline der Gürtellinie gerne mal unterschritten.
Der "Egoismus"-Vorwurf ist dabei der wohl populärste und dennoch nur das erste Glied in einer langen Kette von Vorurteilen und Vor-Verurteilungen, denen sich die Kinderlosen ständig ausgesetzt sehen. Wohl denen, die da wenigstens alleine sind, greift doch bei ihnen das double-income-no-kids-Argument nicht sogleich, wenn die Gegnerschaft auch nicht müde wird zu betonen, dass Steuern zahlen allein den Generationenvertrag ja wohl nicht retten könne. Jetzt sind wir also auch noch Schuld an der Unsicherheit der Renten. All denen, die daran glauben, sei hier mitgeteilt, dass auch unsere Altvorderen vom Beginn bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts es nicht zum, für einen funktionierenden Generationenvertrag entscheidenden, Reproduktionsniveau schafften. Heißt, schon vor 70 Jahren wurden nicht genügend Kinder geboren, um das Bevölkerungsniveau konstant zu halten.
Ein anderes Vorurteil, das sich so hartnäckig hält wie vermeintliche Eisenanteile in Spinat, ist die Einsamkeit der Kinderlosen im Alter. Ein echtes Ammenmärchen. Schließlich ist alles andere als bewiesen, dass Kinderreiche per se im Alter besser dran wären, was die Quantität und Qualität ihrer Sozialkontakte oder die Bereitschaft ihrer Kinder zur Versorgung und Pflege anginge. Längst ist nicht mehr selbstverständlich, dass die eigenen Kinder im Alter für Betreuungsaufgaben zur Verfügung stehen, und in den wenigsten Familien leben mehr als zwei Generationen dauerhaft unter einem Dach.
Schätzungen besagen, dass der Anteil der kinderlosen Frauen der Jahrgänge 1956-1960 bei 25 Prozent liegt, bei den 1965 Geborenen sogar bei 32 Prozent. Kinderlose sind nicht allein, aber eine ihrer Größe angemessene Lobby hat diese Gruppe freilich nicht. Denn es scheint gesellschaftlich nicht akzeptiert, was ein Viertel einer ganzen Generation lebt.
In den letzten Jahren gab es etliche reißerische Medientitel wie "Zurück zur Familie" (Spiegel) oder "Sind Kinderlose jetzt Sozialschmarotzer"? (Stern). Eine sachliche Diskussion aber, statt emotional getränkter Tiefschläge, ist das, was wir zuallererst brauchen. Eine pluralistische Gesellschaft lebt schließlich von ihrer Toleranz der Individuen. Demagogische Demografen und moralinsaure Geburtenregler sind da nicht wirklich hilfreich. Vielmehr sollten sich die Verächter der gewollten Kinderlosigkeit einfach daran gewöhnen, dass da von einem Teil der Gesellschaft ein neuartiger Lebensstil gelebt und geprägt wird, der alles andere als bedrohlich ist. Wir haben es doch schließlich auch geschafft, die wilde Ehe nicht mehr als gefährlich einzustufen und Homosexuelle in Ämtern und Nachbarschaft als Normalität zu begreifen.
Für Gewollt Kinderlose gilt vor allem: Entspannt euch eurerseits! Auch ich versuche mit Gelassenheit auf die immer wiederkehrende Frage des "Warum du nicht?" zu reagieren, und habe aufgehört, mich ständig zu rechtfertigen. Ich habe auch nichts Schlimmes getan. Ich bin einfach ein Kind meiner Zeit. Als junger Erwachsener Ende der achtziger Jahre waren meine Mitmenschen und ich in der Tat noch umzingelt von bedrückenden Kriegs- und Untergangsszenarien. Nicht, dass sich die Zustände wirklich gebessert hätten, aber damals verbot es sich für mich von selbst, unter solchen Umständen einen Kinderwunsch zu entwickeln. Meine heutige Kinderlosigkeit fußt auf dieser Erinnerung, ist aber mittlerweile gänzlich anders motiviert. Ich lebe mein Leben, fülle die Zeitnischen, die ich mit Kindern möglicherweise nicht hätte oder anders empfinden würde, und glaube einfach nicht daran, dass es ein "besser" oder "schlechter" in dieser Frage geben kann. Man sollte sich vielmehr darum bemühen, diese Frage offen zu gestalten und zu halten.
In meiner Küche sitzen zwei kinderlose Freunde, sie sind übrigens die typischen Aufschieber: Fast zwei Dekaden Beziehung, Hauptaugenmerk auf ihre wunderbaren Karrieren, Freude an gemeinsamen Urlauben und zweisamen Wochenenden und bislang nicht gewillt, diese erprobte Zweisamkeit für ein Leben mit Kindern einzutauschen. Aber während wir da unter der Kinderzeichnung an meinem Single-Tisch sitzen, erzählen sie mir, dass sie gerade doch über ein Kind nachdenken. Vielleicht also werden sich diese beiden noch aus meiner Gruppe verabschieden. Man kann das als ein Sinnbild begreifen einer sich immer wieder verändernden Welt und der Fähigkeit, offen über die Fragen des Lebens zu reflektieren und möglicherweise ältere Überzeugungen auf den Haufen der Geschichte zu werfen. Ich kann mir zum Abschied der beiden die kleine Spitze nicht verkneifen und rufe ihnen nach: "Bis bald ihr drei!" Sie dreht sich um und lächelt nur: "Open Question!"
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