Italiens Premier Silvio Berlusconi, auf dem politischen Parkett ohnehin nicht als Leisetreter bekannt, steigert sich augenscheinlich in ein wahres Delirium. Schuld daran sind die geringen Erfolgsaussichten seiner rechten Koalition bei den im April anstehenden Parlaments- und Senatswahlen.
Um das Ruder doch noch herumzuwerfen - oder, wie er selbst verlautbart, "um Italien vor dem kommunistischen Verderben zu bewahren" -, hat Berlusconi seine Landsleute in den vergangenen vier Wochen einer regelrechten medialen Gehirnwäsche unterzogen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit dringt seine Stimme über Funk und Fernsehen in die Haushalte ein. Keine Talkshow, keine Unterhaltungssendung lässt er aus und betet sogar in der Sportschau und im Verkehrsfunk endlose Monologe herunter.
Dick geschmink
Dick geschminkt, gepudert und mit frischem Haarimplantat hält er sein Perlweißlächeln in jede Kamera. Und da er zugleich die landesgrößte Werbeagentur besitzt, unterbricht man seine Einmannshows auf den eigenen Fernsehkanälen nicht durch störende Werbeblöcke.So offenbart sich im bel paese am Ende der Legislaturperiode das erschreckende Ausmaß der Medienkontrolle: Niemand verwehrt dem Padrone einen Auftritt, weder im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, noch im Privatfernsehen; kein Kontrollorgan schickt sich an, ihn in die Schranken pluralistischer Demokratie zu weisen; kein Moderator stoppt seinen Redefluss.Um das im Wahlkampf verbindliche Pluralismusgesetz der par conditio zu umgehen, hat Berlusconis Regierungsmehrheit die lange anvisierte Auflösung des Parlaments kurzerhand um zwei Wochen verschoben - 14 Tage, die der milliardenschwere Regierungschef für ein gutes Dutzend weiterer Auftritte nutzen konnte. Ein einmaliger Vorfall in der Geschichte der italienischen Demokratie. Aber Berlusconi empfindet den Medienpluralismus ohnehin als Zwangsjacke, als "illiberale Marx conditio", die seine Freiheit beschneidet.Bei alledem scheint der Premierminister immer tiefer in seiner eigenen Phantasiewelt zu versinken; andere Deutungen lassen seine - teils unfreiwillig komischen - Statements kaum zu: So gibt er sich allen Ernstes als Propagandaopfer und prangert die "kommunistisch unterwanderten" Landesmedien an, die absichtlich die "enormen Leistungen" seiner Regierung verschweigen würden. Die Landesjustiz wähnt er in den Händen "geistig anormaler Roter", die ihm nach Leib und Leben trachteten. Glaubt man seinen Worten, droht die ganze Apenninenhalbinsel einem neuen Stalinismus zum Opfer zu fallen. Dementsprechend bauscht er den Urnengang auf zu einer "Schicksalswahl zwischen liberaler Freiheit und kommunistischer Unterdrückung". (Dabei unterscheidet sich die Wahlagenda des farblosen Herausforderers Romano Prodi vom Wahlbündnis Unione in ihren Grundzügen kaum von Berlusconis Regierungsprogramm.) Die "Hetzkampagne der Medien" gegen den Premier beweise zugleich, dass er der liberalste Unternehmer der Welt sei: Auf seinen Sendern herrsche absolute Meinungsfreiheit, überhaupt habe er niemals einen Angestellten entlassen.In Italien, so fährt er unermüdlich fort, sei eine arglistige Pessimismuskampagne im Gange. Die neue Armut sei reine Erfindung der Opposition. In Mailand habe "die Linke" sogar eigens Rentner angeworben, die gegen Bezahlung in Bussen und Straßenbahnen auf die Regierung schimpfen müssten. In Wahrheit gehe es der Bevölkerung blendend, es herrsche lediglich zu viel Unsicherheit bei den Verbrauchern. Und wo wirklich einmal Geld in der Privatschatulle fehle, sei die Hausfrau meist selber schuld, weil sie nicht genug auf Sonderangebote achte.Die gelifteten Gesichtszüge spannen sich freilich, wenn der Premier auf die Wahlprognosen zu sprechen kommt, die dem Mitte-Links-Bündnis weiterhin einen satten Vorsprung attestieren: Es könne kein Zufall sein, dass die oppositionelle Unione in allen Umfragen um fünf Prozent vorne liege. Dies beweise lediglich das "abgekarterte Spiel der links indoktrinierten Meinungsforscher". Er, Berlusconi, sei im Besitz "seriöser Umfragen eines amerikanischen Instituts", aus denen der "deutliche Vorsprung der Regierungskoalition" klar hervorgehe. Quellenangaben werden tunlichst vermieden.Parallel zu dieser recht eigenen Weltsicht nimmt auch das ohnehin nicht ganz gesunde Selbstbewusstsein des Forza-Italia-Frontmannes immer groteskere Züge an: Während das italienische Wahlvolk Berlusconis Selbstvergleiche mit historischen Persönlichkeiten wie Julius Cäsar, Napoleon oder Churchill längst gewohnt ist, sorgt seine jüngste Äußerung, er sei der "Jesus der Politik" besonders beim christdemokratischen Koalitionspartner UDC für Missmut.Bis zum 9. April darf man auf neue Offenbarungen gespannt sein: Ist Berlusconi am Ende der Heilige Geist des Spätkapitalismus? Der Gottvater des Privatfernsehens? Der Weinstock des modernen Unternehmertums? Allmächtiger! Man will es gar nicht wissen ...