Als der israelische Premierminister Ehud Barak auf dem Weg zu einer der schicksalhaftesten Verhandlungen in der modernen Geschichte des Nahen Ostens einsam die israelische Airforce One bestieg, um im amerikanischen Camp David mit dem Palästinenserführer Yassir Arafat so lange zu ringen, "bis weißer Rauch aufsteigt", war er ohne Rückendeckung im eigenen Land. Einer nach dem anderen verließen die Koalitionspartner die Regierungsbank, wie die Ratten das sinkende Schiff.
Noch am Vorabend seiner Abreise nach Camp David hatte Barak die etablierte Friedensgruppe Shalom Achshav (Frieden Jetzt) aufgefordert, einen Organisationsstab aller Friedensbewegungen zu bilden. Dieser sollte während der Verhandlungen für die Präsenz der linken Kräfte auf den Strassen und Plätzen sorgen und Barak den Rücken in der Öffentlichkeit stärken. Doch von der euphorischen Bewegung aus der Zeit der israelisch-palästinensischen Flitterwochen unter dem später erschossenen Premier Yitzchak Rabin ist nicht viel übrig geblieben. "Seit dem Mord ist die israelische Linke in eine Art elegischem Weltschmerz versunken," sagt Uri Avnery, Kopf der radikalen israelischen Friedensbewegung Gush Shalom (Friedensblock), die seit 1993 für die Rückgabe aller besetzten Gebiete im Westjordanland und im Gazastreifen sowie für die Teilung Jerusalems eintritt.
Uri Avnery, eine der schillerndsten Persönlichkeiten in der politischen Szene Israels, kämpfte in den dreißiger Jahren in einer jüdischen Untergrundbewegung, die seinerzeit das gesamte Mandatsgebiet für den entstehenden jüdischen Staat beanspruchte; also neben dem heutigen Israel und dem Westjordanland auch noch Jordanien. In den achtziger Jahren war Avneri dann der Erste, der öffentlich das Verbot ignorierte, mit palästinensischen Persönlichkeiten zu verkehren. Im Jahre 1982 überquerte er sogar die Kriegsfront in Beirut, um sich mit Israels Erzfeind Arafat zu treffen. Seitdem tritt er offen für einen unabhängigen palästinensischen Staat ein.
"Die Friedensbewegung hat über ein Jahr lang geschlafen. Heute ist sie nicht mehr in der Lage, auch nur 10.000 Menschen auf die Strasse zu bringen." Sie sei der Arbeitspartei völlig untergeordnet und verfalle, so Avnery, regelmäßig in kritiklose Passivität, wenn Labour an der Regierung ist. "Jetzt kann man nicht einfach kommen und die Leute per Kommando auf die Straße befehlen. Sie bleiben zu Hause."
Die Kategorisierung von Links und Rechts verläuft in Israel ohnehin nicht an der herkömmlichen Grenze sozioökonomischen Verständnisses. In diesem Staat, dessen Tagesordnung seit seiner Gründung von der Außen- und Sicherheitspolitik bestimmt wird, ist eine gesellschaftliche Plattform im Wahlkampf kaum mehr als schmückendes Beiwerk. Wer Konzessionen an die arabischen Verhandlungspartner gutheißt, also die Formel "Land gegen Frieden" akzeptiert, gilt als Linker. Hierzu zählen unter den etablierten Parteien vor allem die Meretz, Bastion der populären Linken im israelischen Parlament, und die Arbeitspartei. Weitere kleine Parteien, wie zum Beispiel diverse arabische oder die kommunistische, werden trotz ihrer durchgehenden Präsenz in der Knesset von den Entscheidungszentren fern gehalten. Sie gelten bis heute als nicht koalitionsfähig.
Eine aktive kämpferische Linke ist weit und breit nicht zu sehen. Neben Uri Avnerys Friedensblock beteiligten sich schließlich noch die Arbeiterjugend, die beiden Kibbuzvereinigungen und sogar zwei religiöse Friedensgruppen an dem von Barak bestellten Organisationskomitee. Doch die Luft ist raus. Das Feld wurde den rechten Gruppierungen überlassen. Ausgerechnet dort, wo 1995 Yitzchak Rabin nach einer Friedenskundgebung von einem religiös-nationalen Jugendlichen erschossen wurde, veranstalteten diese während der Verhandlungen in Camp David eine Massendemonstration gegen die Friedenspolitik Baraks. Einzig ein Zelt, in dem Angehörige von Opfern terroristischer Anschläge ein stilles Sit-In für Baraks Mission veranstalteten, schmückte tagelang eine Ecke des Platzes.
Zielorientierte Gruppen wie Gush Shalom und die Menschenrechtsorganisation Betselem zeichnen sich durch parteipolitische Unabhängigkeit aus. Für sie ist ein Barak, der ohne Vereinbarung nach Hause kommt, nicht besser als ein Benjamin Netanjahu, der sich gar nicht erst auf ernsthafte Verhandlungen einlässt. "Barak", so Avnery, "hat nur noch eine Chance. Er muss während der Parlamentsferien einen Friedensvertrag zustande bringen. Mit diesem Vertrag kann er sich einer Volksbefragung stellen oder zu Neuwahlen antreten. Alle Umfragen deuten an, dass er sie wahrscheinlich auch bei weitgehenden Konzessionen in Jerusalem gewinnen würde." Barak hat noch sechs Wochen. Denn am 13. September will Arafat, mit oder ohne Zustimmung Israels, seinen Staat ausrufen. Ohne einen Vertrag, darin sind sich alle einig, kann Barak einen Tag nach Beginn der neuen Sitzungsperiode seinen Schreibtisch räumen.
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