Die Chance der Égalité

NÄRRISCHE ZEITEN IN FRANKREICH Bei dem neu eingeführten Partnerschaftsvertrag PACS in Frankreich bleiben nicht nur Rechtsprobleme, sondern auch die Frage nach dem offensiven Ausleben von Andersartigkeit offen

Karneval bezieht allen Reiz aus seinem subversiven Charakter. Endlich darf das Volk einmal öffentlich sagen und tun, was ihm für den Rest des Jahres verwehrt ist. Dieses Mal nun scheint der Karneval stattdessen gerade ein Spiegel dieser Ordnung und ihrer gesetzlichen Grundlagen. Am 11.11. eröffnete das erste schwule Prinzenpaar, Michael und Thorsten, in Wittenberg die närrische Saison. Einen Tag zuvor hatte das französische Verfassungsgericht das von der linken Regierung im Oktober gegen den Widerstand der Opposition verabschiedete und heftig umstrittene neue Gesetz über nichteheliche Lebensgemeinschaften für verfassungskonform erklärt. Damit wird unter anderem der Weg zur Anerkennung der rund 30.000 homosexuellen Paare in Frankreich ermöglicht.

Das Gesetz, das vor allem den veränderten Lebensverhältnissen Rechnung tragen soll - immerhin leben in Frankreich 2 Millionen heterosexuelle Paare in "wilder" Ehe - sieht vor, dass zwei Personen, egal welchen Geschlechts, einen "zivilrechtlichen Partner schaftsvertrag" (Pacte de solidarité civile sprich Pacs), abschließen können. Dieser Ver trag verpflichtet zur gegenseitigen Verantwortung und enthält bestimmte Rechte und Pflichten. Neben steuerlichen Vorteilen, (die allerdings erst nach einer gewissen Dauer des Zusammenlebens möglich sind), können die Vertragspartner einander unter ähnlichen Bedingungen wie Eheleute beerben und den Partner in der Sozialversicherung mitversichern lassen. Stirbt einer der beiden, kann der überlebende Partner den Mietvertrag übernehmen, was in Frankreich zwar bisher bereits für nichteheliche Gemeinschaften galt (die hier unter dem zweideutigen Begriff "concubinage" geführt wurden), nicht jedoch für homosexuelle Paare. Diese sind deshalb primär auch die Nutznießer der anvisierten Neuregelung. Ihre Anerkennung durch das neue Gesetz ist freilich vielen konservativen Familienverbänden und der Kirche ein Dorn im Auge.

Die acht Verfassungsrichter, die auf Antrag der rechten Opposition das im Oktober nach langem Tauziehen verabschiedete Gesetz überprüften, haben damit einer leidenschaftlich geführten politischen und parlamentarischen Debatte ein Ende gesetzt, die mehr als ein Jahr dauerte. Ihre Entscheidung begründen sie damit, dass die Institution der Ehe durch das neue Gesetz unangetastet bleibe. Und auch den von den Kritikern heraufbeschworenen, im Zivilrecht verankerten Schutz der Familie und der Kinder sehen die Verfassungshüter durch den Pacs nicht gefährdet. In der Begründung ihres Urteils bemängelten sie allerdings einige Formulierungen, die eine klare Auslegung und Handhabung des Gesetzes erschweren, wenn nicht sogar verhindern. Die Kritik der Richter zeigt das ganze Dilemma des Gesetzes, das die Erwartungen nicht erfüllt, die daran geknüpft waren. Mit Rücksicht auf die konservative Wählerschaft und auch wegen der Widerstände in den eigenen sozialistischen Reihen hat die Regierung nämlich auf eindeutige Aussagen verzichtet. Dabei ist ein halbherziger Text herausgekommen, in dem jede Festlegung vermieden wurde, um "niemandem auf die Füße zu treten". So wird beispielsweise die argumentative Grundlage für den Vertrag, das "Zusammenleben" (vie commune) zweier Menschen nicht näher definiert und damit eine klare Aussage über den sexuellen Charakter der Beziehung vermieden. Um Unterstützung aus den Reihen der Opposition und eine bestimmte Wählerschicht für das Projekt zu gewinnen, hatten die Sozialisten ursprünglich sogar erwogen, auch Geschwistern die nichteheliche Lebensgemeinschaft zu ermöglichen. Doch diese Idee wurde wieder zurückgenommen, um nur ja die Familie aus dem Spiel zu lassen. Ebenso wenig präzisiert der Text, welche Verpflichtungen sich genau hinter der "gegenseitigen materiellen Hilfe" der beiden Partner verbergen. Um eine Gleichstellung mit der Ehe zu vermeiden, gibt es für den Pacs im Gegensatz zu verheirateten Paaren keine Möglichkeit der Gütertrennung. Dadurch sind die materiellen Konflikte bereits vorprogrammiert. Zahlreiche Juristen hatten deshalb vor dem unausgegorenen Text gewarnt und prophezeit, dass sich der Pacs als "ménage à trois" mit dem Richter entpuppen könnte. Unklar bleibt, welche Konsequenzen die einseitige Kündigung des Vertrags für die Person hat, die gegen ihren Willen verlassen wurde, und ob sie eventuell Schadensersatzansprüche geltend machen kann. Nicht geklärt ist schließlich auch die Frage, wie das Paradoxon zu lösen ist, dass der Abschluß eines Pacs zum Schutze der Interessen Dritter öffentlich gemacht werden muss, die sexuellen Neigungen der Unterzeichner dabei jedoch nicht offengelegt werden dürfen. Auch die Tatsache, dass der Pacs im Amtsgericht und nicht - wie ursprünglich vorgesehen - im Rathaus vor dem Bürgermeister unterzeichnet wird, bringt in der Praxis administrative Komplikationen mit sich. Dieser Ortswechsel war nötig geworden, nachdem sich über 14.000 Bürgermeister in einer medienwirksamen Petititon eindeutig "Für die republikanische Ehe" und gegen den Pacs in ihren Räumen ausgeprochen hatten.

Begonnen hatte alles im vergangenen Oktober mit einer Schlappe für die Linksregierung. Denn in der ersten Sitzung nach der Sommerpause wurde der umstrittene Gesetzentwurf ganz unerwartet durch eine Initiative der bürgerlichen Rechten zu Fall gebracht. Diese hatte zunächst darüber abstimmen lassen, ob der Gesetzentwurf überhaupt verfassungskonform sei. Da die linken Abgeordneten durch Abwesenheit glänzten, war es für die Opposition - wider Erwarten - ein leichtes Spiel, ihren Antrag durchzusetzen. Nach ihrer Niederlage hatte die sozialistische Fraktionsführung in aller Eile einen neuen Gesetzentwurf zusammengezimmert, Pacs II, der nach ausführlichen Beratungen am 9. Dezember in erster Lesung angenommen wurde. Mit allerlei Taktiken und Verfahrensfinessen - darunter 1.000 Änderungsanträgen - hatte die Opposition versucht, die Annahme des Gesetzes wenn schon nicht aufzuhalten, so doch immerhin zu verzögern. Eine Abgeordnete aus ihren Reihen, Christine Boutin, die im Pacs den Untergang des Abendlandes sieht und inzwischen als Tugendwächterin der Nation gefeiert wird, sorgte mit einer flammenden Rede von fünf Stunden für Aufsehen im Palais Bourbon. Da am Ende über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes abgestimmt wurde, konnten die Parlamentarier das Haus erst im Morgengrauen verlassen.

Eine Anti-Pacs Demonstration am 31. Januar in Paris mobilisierte immerhin rund 100.000 Gegner, darunter auch erstaunlich viele junge Menschen. Die ideelle Nähe zu den mitmarschierenden Vertretern der rechtsextremen Front National schien sie weniger zu stören als die Möglichkeit einer offiziell sanktionierten Homosexuellen-Ehe und die Schreckensvision der Adoption eines Kindes durch ein homosexuelles Paar, auch wenn diese Möglichkeit im geplanten Partnerschaftsvertrag gar nicht vorgesehen ist.

Doch Kritik am Gesetz kommt nicht nur von rechts. Im Oktober bedauerte die Soziologin Irène Théry in der renommierten Zeitschrift Esprit, dass eine einmalige Chance vertan worden sei. Weder sei das Anliegen homosexueller Paare nach Gleichberechtigung mit verheirateten Paaren in all seinen Konsequenzen sachlich diskutiert, noch über alternative Formen des Zusammenlebens heterosexueller Paare nachgedacht worden. Irène Théry gehört einer Gruppe linker Wissenschaftler, Intellektueller und Juristen an, die als Alternative zum Pacs einen Gesetzentwurf zur sogenannten "Union Libre", einer vom Staat unabhängigen freien Beziehung zwischen Partnern, eingebracht haben. Um den sicher legitimen Anspruch homosexueller Paare nach offizieller Anerkennung und damit rechtlicher Absicherung zu gewährleisten, genügen ergänzende Regelungen, wie sie teilweise bereits für die "Concubins" gelten. So hat man schließlich in letzter Minute noch die Ausdehnung der - wenn auch beschränkten Rechte - der "concubinage" auf homosexuelle Paare in das neue Gesetz eingebaut.

Auffallend in der ganzen Diskussion ist die Abwesenheit einer kritischen Position zur Institution Ehe mit ihren gesellschaftlichen Implikationen und ihren kulturhistorischen Aspekten. Zugegeben, die flotten Bürgerschreckparolen von '68: "Wer zweimal mit der Gleichen pennt, gehört schon zum Establishment" zeugen im Nachinein mehr vom machistischen Charakter der Studentenbewegung als von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem systemstabilisierenden Charakter der monogamen Kleinfamilie. Aber hinter dieser provokativen Formulierung verbarg sich doch auch eine von ernstzunehmenden Historikern und Soziologen differenziert vorgebrachte Kritik an der gesellschaftlichen Instrumentalisierung der Institution Ehe und ihrem repressiven Charakter. Philippe Ariès, Edward Shorter und Arlette Farge beispielsweise haben mit ihren historischen Arbeiten deutlich herausgearbeitet, dass die Entwicklung der Kleinfamilie mit ihren affektiven Komponenten eine Strategie zur Disziplinierung und reibungslosen Einbindung des Arbeiters im Industrialisierungsprozeß des 19. Jahrhundert war. Das Ergebnis brachte auch eine klare Arbeitsteilung, sprich: Geschlechtertrennung mit sich und damit die Festlegung einer bestimmten Geschlechterordnung, die uns bis heute in Atem hält. Wie stark dieses Modell an der Reproduktion der bestehenden Verhältnisse beteiligt und wie sehr es auf Disziplinierung und Unterdrückung ausgerichtet ist (oder zumindest vor der Krise der Familie war), haben linke Theoretiker anschaulich analysiert. Bei Horkheimer findet sich allerdings auch schon 1936 eine Erklärung für die Faszination und die Zählebigkeit des Familienmodells: "Die Verdinglichung des Menschen in der Wirtschaft als blosse Funktion einer ökonomischen Größe, des Vermögens oder einer technisch geforderten Hand- oder Kopfarbeit setzt sich zwar auch in der Familie fort... Im Gegensatz zum öffentlichen Leben hat jedoch der Mensch in der Familie ... stets auch die Möglichkeit besessen, nicht bloss als Funktion, sondern als Mensch zu wirken. .. Dadurch entsteht der Gegensatz zwischen ihr und der feindlichen Wirklichkeit." Dies erklärt möglicherweise die aktuelle Tendenz (nicht nur der Homosexuellen), sich im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft mit Ehering und Treueschwur einen vor der krisengeschüttelten feindlichen Umwelt scheinbar geschützten Platz einzurichten. Vor den realen materiellen Problemen schwindet jeder subversive Wunsch nach offensivem Ausleben von Andersartigkeit. Unter diesem Aspekt aber blieb die Institution der Ehe bei der ganzen Debatte um den Pacs unangetastet. Es ging weniger um die Frage nach der Rolle der Familie in einer sich radikal verändernden Welt, ihren sozialen und ökonomischen Implikationen oder gar um alternative Lebensformen, sondern um die Forderungen der Homosexuellen nach der Gleichstellung ihrer Lebensform mit der Ehe und nach dem Recht auf Adoption und künstliche Befruchtung, was bisher nur für Verheiratete gilt. Die Leidenschaft und Hysterie, mit der diese Frage in der französischen Presse und Öffentlichkeit diskutiert wurde, zeigt, dass damit ein zentraler Nerv berührt wurde. Es geht um nichts Geringeres als das Fundament der christlich-abendländischen Zivilisation und die darin eingeschriebene symbolische Ordnung, die Geschlechterdifferenz.

Da es den Politikern an Argumenten mangelte, mussten die Anthropologen in die Bresche springen. Die schärfste Kritik kam allerdings von Seiten der Psychoanalytiker, die die Konsequenzen für Kinder aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften in den schwärzesten Farben malten. Erst die Erfahrung der Geschlechtsdifferenz von Vater und Mutter in der Familie ermögliche eine gesunde Entwicklung und bilde die Voraussetzung für die Ausbildung einer eigenen Identität. Viele Psychoanalytiker sehen in der Homo sexualität, wenn nicht den "Leibhaftigen", so doch zumindest pathologischen Narzissmus am Werk. Die Liebe zum Gleichen, die Leugnung der Differenz, führe zum Hass des Anderen und sei eine Form des Rassismus. In den Repliken auf die psychoanalytischen Kreuzritter der symbolischen Ordnung riefen aufgeklärte Therapeuten ihren Fachkollegen einige wenig angenehme Seiten der "symbolischen Ordnung" in Erinnerung: die tendenziell pathogenen Strukturen von totalitär gelebten Familienverhältnissen ebenso wie die Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Deutlich gemacht wurde dabei auch, dass die theoretischen Grundlagen der vehementesten Verfechter der Geschlechterdifferenz, die französische Psychoanalyse Lacanscher Prägung, ihre ideologischen Wurzeln in der von der katholischen Kirche bereits in den 30er Jahren geäußerten Sorge um den Autoritätsverlust des Vaters in der modernen Gesellschaft haben. Nicht zufällig stellt Lacan 1938 in seinem Buch über die Familie einen Zusammenhang zwischen der "großen zeitgenössischen Neurose" und der zunehmenden Bedeutungslosigkeit der Autorität des Vaters her. Und es war sicher auch kein Zufall, dass versucht wurde, diese Krise durch die Überväter Pétain und de Gaulle und ihre ikonographische Überhöhung zu kompensieren. Wie virulent dieses Muster auch heute noch ist, zeigt sich daran, dass Philosophen und Schriftsteller wie Sloterdijk und Houellebecq uns derzeit wieder weismachen wollen, der desolate Zustand der Gesellschaft läge am Rückgang der (väterlichen) Moral, an deren Stelle sie den Ersatzgott Wissenschaft setzen wollen. Die Forderung nach Aufhebung der Geschlechterdifferenz, wie sie im Zusammenhang mit dem Pacs aufgestellt wurde, weist dagegen in eine ganz andere Richtung. In der Utopie der damit verbundenen Dekonstruktion von Geschlechtszuweisungen und also auch von normativen Setzungen aller Art, liegt die Chance einer Gesellschaft, die dem republikanischen Prinzip der "égalité" näher käme. Und dies nicht nur im Karneval.

Für Sie oder Ihren Hasen

6 Monate den Freitag mit Oster-Rabatt schenken und Wunschprämie aussuchen

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden