Ironie der Geschichte oder reiner Zufall? Bemerkenswert ist es schon, daß ausgerechnet zwei deutsche Autoren, die über den Krieg philosophiert haben, in Frankreich derzeit Argumente für Gegner und Befürworter des NATO-Einsatzes im Kosovo liefern. Um seine Zweifel an der moralischen Begründung für den Krieg in Jugoslawien zu äußern, verteilte der französische Innenminister Jean-Pierre Chevènement bei einem Ministerratstreffen am 1. April einen Text mit Auszügen aus Hans-Magnus Enzensbergers Aussichten auf den Bürgerkrieg: »Die Idee der Menschenrechte erlegt jedermann eine Verpflichtung auf, die prinzipiell grenzenlos ist. Darin zeigt sich ihr theologischer Kern, der alle Säkularisierungen überstanden hat. Jeder soll
Jeder soll für alle verantwortlich sein. In diesem Verlangen ist die Pflicht enthalten, Gott ähnlich zu werden; denn es setzt Allgegenwart, ja Allmacht voraus. Da aber alle unsere Handlungsmöglichkeiten endlich sind, öffnet sich die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit immer weiter. Bald ist die Grenze zur objektiven Heuchelei überschritten; dann erweist sich der Universalismus als Falle.« Mit dieser Kritik an moralischen Allmachtsphantasien reagierte der frühere Verteidigungsminister Chevènement, der aus Protest gegen den Golfkrieg 1991 von seinem Amt zurückgetreten war, gezielt auf die Rede des Premierministers Jospin am 26. März vor der Nationalversammlung, der die Beteiligung Frankreichs am NATO-Einsatz mit dem Hinweis auf die Menschenrechte verteidigt hatte. Ein Befürworter des Krieges, der Sozialwissenschaftler Alain Joxe, beruft sich dagegen in einem Artikel in Le Monde auf Clausewitz und dessen berühmte Formel »Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln«.Zwischen diesen beiden Polen der totalen Ablehnung und der vehementen Verteidigung des Krieges bewegt sich derzeit in Frankreich die Auseinandersetzung um Legitimation, Ziel und Wirkung der Bombardements in Jugoslawien. Auch wenn in deutschen Medien teilweise ein anderer Eindruck vermittelt wurde: nur ein bestimmter Teil der französischen Intellektuellen ist bereit, »für das Kosovo zu sterben«. Diese selbsternannten Retter des Abendlandes wie Bernard Henry-Levy, Alain Finkielkraut, André Glucksmann und andere fordern schon seit Jahren eine eindeutige militärische Intervention des Westens auf dem Balkan. Damit standen sie jedoch lange Zeit im Widerspruch zur offiziellen, proserbischen Politik Frankreichs. Voller Genugtuung begrüßen sie jetzt den Gesinnungswandel der Entscheidungsträger und die wachsende Bedeutung ihrer eigenen Position. Die pharisäerhafte Arroganz, mit der sie die Welt in Gut und Böse einteilen und sich als die wahren Verteidiger der Menschenrechte aufspielen, macht einen Teil ihrer Popularität aus. Zum anderen sorgen sie für ständige Präsenz in den Medien und erzeugen so den Eindruck von Bedeutsamkeit. Aber repräsentativ für die Einstellung der französischen Bevölkerung zum Krieg sind sie nicht.Ebenso klar und eindeutig wie Innenminister Chevènement haben die kommunistischen Minister des Linksbündnisses, der »gauche plurielle« unter Premierminister Jospin die Bombardements kritisiert. Um der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen und eine Regierungskrise zu verhindern, trat Jospin die Flucht nach vorn an und bezeichnete die Unstimmigkeiten als legitime Differenzen, die in einer Demokratie offen ausdiskutiert werden könnten. Die Parole lautet: Zweifel dürfen geäußert, doch das Engagement Frankreichs darf nicht in Frage gestellt werden. Daran halten sich derzeit die Kritiker - auch die Skeptiker aus den eigenen Reihen - zu denen neben Fabius unter anderem der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und ehemalige Verteidigungsminister Paul Quilès gehört. Keiner der Minister ist an einem Scheitern der Regierung interessiert und so bleibt es beim freundlich-gelassenen Schlagabtausch. Die kommunistische Partei vollführt dabei einen Eiertanz zwischen der geforderten Loyalität und der proserbischen Einstellung ihrer Basis. Nach anfänglicher Des orientierung und Ratlosigkeit haben die französischen Grünen ihre pazifistischen Positionen revidiert. Die Umweltministerin Dominique Voynet sprach sich inzwischen sogar für die Entsendung von Bodentruppen aus und beklagte, daß Jospin diese Möglichkeit bisher explizit ausgeschlossen habe. Hinter dieser realpolitischen Wende, die sich mit dem Bosnienkrieg anbahnte, steht der Spitzenkandidat der Grünen für die Europawahlen, Daniel Cohn-Bendit. Zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechtes fordert er ein »europäisches Protektorat« im Kosovo.Bei Antikriegsdemonstrationen am 26. März und 1. April, zu denen die Kommunisten aufgerufen hatten und an denen neben linken Splitterparteien auch Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen teilnahmen, liefen auch einige Hundert Serben und Vertreter der »Neuen Rechten« mit, obwohl die Kommunisten eine Vereinnahmung der Aktion mit Parolen wie »gegen die ethnischen Säuberungen durch Milosevic´« zu verhindern suchten. Linke Befürworter des Krieges nahmen dieses problematische Bündnis zum Anlaß, ihre ehemaligen »Genossen« in hämischen Artikeln als »rote Faschisten« zu beschimpfen und zu diskreditieren. Ähnliche Irritationen löste die Tatsache aus, daß einer der beiden von französischen Intellektuellen lancierten Aufrufe gegen den Krieg von einer merkwürdig Mischung von Unterzeichnenden getragen wurde. Unter ihnen sind Vertreter der extremen Linken und Rechten aber auch sogenannte »souverainistes«, wie Max Gallo oder Régis Debray, republikanische Verteidiger nationaler Interessen und Euroskeptiker, ebenso wie Alain Benoist, der emblematische Führer der »Neuen Rechten« und seine Anhänger. Einige Vertreter kritischer linker Positionen haben deshalb in der Zwischenzeit ihre Unterschrift zurückgezogen.Bei einer solch zentralen Debatte fehlt natürlich auch nicht die Stimme des kritischen Soziologen und engagierten Intellektuellen Pierre Bourdieu. Er hat einen zweiten Aufruf mit der Forderung nach sofortiger Beendigung der Nato-Angriffe initiiert, der neben zahlreichen Wissenschaftlern auch von dem renommierten Historiker Pierre Vidal-Naquet unterzeichnet wurde. Zur Lösung der festgefahrenen Situation schlagen sie die Durchführung einer internationalen Konferenz unter der Ägide der UNO vor, an der alle Länder und Nationalitäten des Balkans gleichberechtigt teilnehmen sollen. Eine Debatte in der französischen Nationalversammlung über die Legitimität und Wirksamkeit des Krieges soll zur Offenlegung und Klärung der unterschiedlichen Positionen führen und damit den Weg für politische Lösungen öffnen.Die französische Bevölkerung steht diesem Krieg gespalten gegenüber. Umfrageergebnissen zufolge befürwortet ein großer Teil zwar die Angriffe. Dabei spielt die eigene historische Erfahrung sicher eine große Rolle. Das Scheitern der Appeasement-Politik gegenüber Hitler und das Nichteingreifen in Spanien unter dem Front Populaire werden gerade von den linken Kriegsbefürwortern immer wieder als abschreckende historische Vorbilder propagandistisch heraufbeschworen. Doch im Gegensatz zu Deutschland - wo der Krieg mit erschreckender Einmütigkeit hingenommen wird - regt sich in Frankreich zunehmend Widerspruch dagegen.