Ariel Sharon hat sich zwar nach seinem Treffen mit Premier Mahmud Abbas in Akaba formal zur Road Map und einem Staat der Palästinenser bekannt. Doch schon seine Weigerung, nicht nur "unerlaubte Außenposten", sondern schrittweise alle israelischen Siedlungen im Westjordanland aufzulösen, lässt vermuten, dass auf Drängen der Amerikaner eher ein Lippen-bekenntnis abgelegt wurde. Sharon könnte auf die strategische Schwäche von Abbas spekulieren, den bewaffneten palästinensischen Widerstand nicht wirklich eindämmen zu können, solange Israels Armee ihr Besatzungsregime in der Westbank aufrechterhält.
Man merkt den Demonstranten ihre Unsicherheit an. Nur 20.000 haben sich auf dem Jerusalemer Zionsplatz eingefunden, um gegen den Gipfel von Aka
en, um gegen den Gipfel von Akaba und die Road Map zu protestieren. Für die Organisatoren eine herbe Enttäuschung, man hatte auf mindestens 50.000 gehofft, wie damals, vor acht Jahren, als es gegen Rabin und das Abkommen von Oslo ging. Doch seinerzeit war alles einfacher, meint Ayala, eine Siedlerin aus Nokdim, mitten im Westjordanland: "Dass Rabin uns an die palästinensische Terrorregierung verkaufen wollte, war ja kein Wunder. Aber Sharon? Er hat uns schließlich hierher gebracht! Viele von uns wissen einfach nicht mehr, was sie glauben sollen." Darum finden sich neben Transparenten mit den Aufschriften "Stoppt den Fahrplan nach Auschwitz!" und "NEIN zu einem palästinensischen Terrorstaat" auch Poster mit einer aus tiefer Unsicherheit erwachsenden Frage: "Arik, meinst du es wirklich ernst?" Nicht nur die Siedler tun es, ganz Israel fragt sich derzeit, wohin ihr Regierungschef sie führen wird. Sollte derselbe Sharon, der noch 1998 als Infrastrukturminister in Benjamin Netanyahus Regierung die Siedler aufforderte, jeden Hügel als Außenposten zu besetzen, jetzt tatsächlich dieselben Außenposten räumen lassen, was teilweise schon geschieht? Der Mann, von dem Yoel Marcus in der liberalen Tageszeitung Ha´aretz schreibt, er täte immer das Gegenteil von dem, was er sage, und sage das Gegenteil von dem, was er tue, hat seine Anhänger und Feinde gleichermaßen verwirrt.Als Sharon vor zwei Wochen sein Kabinett dazu bewegte, mit knapper Mehrheit die Road Map zu akzeptieren, waren Israels Rechte noch davon überzeugt, es handele sich nur um ein weiteres Manöver des gewieften Taktikers, und der Likud-Minister Uzi Landau konnte abends beruhigend verkünden, das Kabinett werde alles tun, um die amerikanische Initiative zu sabotieren. Doch als Sharon am nächsten Tag vor laufenden Kameras behauptete, die "Besatzung" sei schlecht für Israel und die Palästinenser, sie müsse deshalb beendet werden, bekamen es die Anhänger eines "jüdischen Judäa und Samaria" langsam mit der Angst zu tun. Seitdem häufen sich die Zeichen dafür, dass Sharon nicht nur auf den nächsten Vorwand wartet, den fragilen Friedensprozess scheitern zu lassen, sondern auch bereit ist, mit der neuen palästinensischen Regierung ernsthaft zu verhandeln.Auf einem Kongress der Likud-Partei ließ sich der Vorsitzende während seiner Rede dann auch von lautstarken Zwischenrufen nicht aus dem Konzept bringen. Im Saal war Sharon kaum zu verstehen, zu Hause, vor den Fernsehgeräten, bekamen die Zuschauer hingegen einen bestimmt auftretenden Premier zu Gesicht, der immerhin als einziger Likud-Redner die Road Map erwähnte, von "sehr schmerzhaften Konzessionen" sprach und sich davon überzeugt gab, dass die Mehrheit der Bevölkerung hinter ihm stehe. Selbst nach zwei Anschlägen, die fünf israelische Soldaten das Leben kosteten, war von Sharons Vertrautem Ehud Olmert nur zu hören, der "historische Prozess" gehe unbehindert weiter. Das erinnert an Yitzhak Rabin, der nicht bereit war, sich durch Terroranschläge von seinem Weg abbringen zu lassen. Doch wodurch könnte Sharons Sinneswandel bewirkt worden sein? Wer oder was steht hinter der jähen Metamorphose vom Bulldozer zur "Friedenstaube"?Die Antwort scheint einfach: Es ist George W. Bush, der nach einem gewonnenen Krieg im Irak den israelisch-palästinensischen Konflikt lösen möchte. Als ein israelischer General vor einigen Wochen in Washington anfragte, wie ernst es dem Präsidenten damit sei, hätte die Antwort deutlicher nicht ausfallen können: "Geh und frag Saddam Hussein, wie ernst es Bush ist!" Ein israelisches Regierungsmitglied berichtete außerdem, die Amerikaner hätten gedroht, Israel den Gebrauch amerikanischer Waffen in den besetzten Gebieten zu untersagen, sollte Jerusalem der Road Map nicht zustimmen. Der diplomatisch dezente Clinton hätte solche Druckmittel nie eingesetzt, der brachiale Bush hat weniger Hemmungen. Insofern ist es völlig egal, ob Sharon zum überzeugten Befürworter des Friedensprozesses mutiert ist oder nur sein Verhältnis zu Amerika nicht gefährden will und darauf hofft, die Palästinenser werden ihren Verpflichtungen nicht nachkommen können.Sollte Bushs Engagement den anstehenden Wahlkampf in den USA überstehen, könnte Sharon sich zu Zugeständnissen gezwungen sehen, die er jetzt möglicherweise noch gar nicht überblickt. Sein langjähriger Parteifreund, der Parlamentspräsident Ruwen Riwlin, ließ in einem Gespräch mit Ha´aretz wissen, die Regierung sei bereit, für ein endgültiges Abkommen 17 Siedlungen im Westjordanland zu evakuieren. Das wird den Palästinensern zu Recht nicht genügen. Der am rechten Rand seiner Partei stehende Riwlin befürchtet dennoch, Sharon könne auf einen Weg geraten, der kein Zurück mehr erlaubt. In der Tat ist es denkbar, dass amerikanischer Druck und die Eigendynamik eines einmal begonnenen Prozesses Sharon das Ruder aus der Hand nehmen. Darin liegt - aller berechtigten Skepsis zum Trotz - eine Chance für den beginnenden Friedensprozess im Nahen Osten.
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