Nachdem jahrzehntelang unumstritten war, dass eine Demokratisierung der arabischen Halbinsel ohne dauerhafte Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes nicht zu erreichen sei, gilt plötzlich das Gegenteil als wahr. Ein Irak-Krieg werde den Weg ebnen zu einem "wahrhaft demokratischen palästinensischen Staat", so George Bush am 26. Februar vor dem Enterprise-Institut in Washington. Welchen vorteilhaften Einfluss das von vielen erwartete Chaos im Nachkriegsirak auf den Nahostkonflikt haben soll, erklärte der Präsident nicht.
Die US-Regierung möchte dem Engagement für einen palästinensischen Staat neues Leben einhauchen, bei genauerem Hinhören allerdings entstehen erhebliche Zweifel ob der Seriosität dieses Ansinnens. Die "Road Map"
s. Die "Road Map" des aus den USA, der EU, Russland und der UNO bestehenden Nahostquartetts sieht die Gründung eines "vorläufigen" palästinensischen Staates immerhin schon für Ende 2003 und ein Abkommen über die endgültigen Grenzen bis 2005 vor. Bush hat diesen Zeitplan in seiner Rede vor dem Enterprise-Institut mit keinem Wort erwähnt. Er reklamierte zwar einen Stop für den Vormarsch israelischer Siedler - aber erst, nachdem ein "Fortschritt in Richtung des Friedens erreicht wurde". Auch die Ermahnung an Israel, einen "lebensfähigen" Palästinenserstaat zu gewähren, gilt nur, wenn "die Bedrohung durch Terror aufgehoben und die Sicherheitssituation verbessert" sei. Zuvor müsse es ohnehin "umfangreiche Reformen" in der Struktur der Palästinenserführung geben, vor allem Yassir Arafat ersetzt werden. Ariel Sharon kann das mit Genugtuung quittieren - mit diesem Friedensplan der Amerikaner lässt sich leben. Eine von ihm installierte Kommission arbeitet seit Monaten an "Korrekturen" zur "Road Map", um den Einfluss der Europäer zu eliminieren und im Verbund nur mit den USA die ersten Schritte im Sinne dieses Planes allein den Palästinensern aufzubürden. Bush hat den zwischenzeitlich über 100 israelischen "Korrekturforderungen" schon einmal im Voraus nachgegeben.Man muss über keine prophetischen Gaben verfügen, um vorauszusehen, dass unter dem Label "Road Map" in naher Zukunft kein neuer Friedensprozess stattfinden wird. Sharon weiß das genau und hat bei den jüngsten Koalitionsverhandlungen die Siedlerfreunde und Extremisten von der Nationalen Union bis zur Nationalreligiösen Partei beruhigt: Keine Sorge, nach dem Irakkrieg würden die USA zunächst Druck auf die Palästinenser ausüben. Die Entscheidung über einen Palästinenserstaat aber, den er als Premier theoretisch unterstütze, läge in so weiter Ferne, dass sie seiner Koalition getrost beitreten könnten. Auch Tommy Lapid von der säkularen Shinui-Partei ließ sich von den gleichen Argumenten und fünf Ressorts an den Kabinettstisch geleiten. Sharons Konzept reduziert sich wie gehabt auf Lippenbekenntnisse und Verzögerungstaktiken.Die andere Seite der "Green Line"Yassir Arafat wird sich in den nächsten Wochen auf keinen Fall wie im Golfkrieg von 1991 auf die Seite des Irak schlagen. Seine Sicherheitsgardisten dürften spontan ausbrechenden Pro-Irak-Manifestationen in den besetzten Gebieten ein schnelles Ende bereiten, bevor fatale Bilder von rachsüchtigen Palästinensern wieder weltweit über die Monitore gehen. Retten wird ihn das nicht. Die Entscheidung, Arafat nicht mehr als Verhandlungspartner zu akzeptieren, ist in Washington und Tel Aviv längst gefallen und wird selbst von den Europäern nicht mehr mit der vormaligen Vehemenz angefochten. Dank einer zwielichtigen Terrorbekämpfung und oft angekündigter, aber nie vollzogener "Reformen" seiner korrupten wie autoritären Administration hat der PLO-Chef sich selbst diskreditiert. Zudem lässt sich unter den Palästinensern eine gewisse Kriegsmüdigkeit spüren. Im Gazastreifen macht sich vorsichtige Skepsis gegenüber der weiter erstarkten Hamas bemerkbar, längst nicht mehr jeder ist von der Weisheit einer bewaffneten Résistance überzeugt, auch wird lauter über den unvermeidbaren Regimewechsel nachgedacht. Sobald sich aber Israelis oder Amerikaner anerkennend zur aufkeimenden Opposition gegen Arafat äußern, stehen potenzielle Dissidenten wieder vereint hinter ihm. Schuld an der katastrophalen Lage sei die Okkupation und nicht Arafats Behörde, hört man dann, oder: "Die wirkliche Korruption ist die Besatzung", wie eine palästinensische Tageszeitung jüngst titelte. Sobald ein palästinensischer Politiker mit Komplimenten aus Amerika oder Israel bedacht wird, kann er seine Karriere - vorerst - beenden. Nur Marwan Bargutis Popularität vermochten die Israelis einen wahren Höhenflug zu verschaffen - indem es ihn in eines ihrer Gefängnisse sperrten.Quartett für den "Tag X" Vor zwei Wochen hat Yassir Arafat heftigem internationalen Druck nachgegeben und verkündet, einen Premierminister ernennen zu wollen. Sein Finanzminister Salam Fayyad galt lange als aussichtsreichster Kandidat, hatte der doch das chaotische Finanzsystem der Autonomiebehörde in nur wenigen Monaten annähernd in Ordnung gebracht, um sich dann aber an anderen Vorhaben die Finger zu verbrennen. Noch immer warten Tausende Palästinenser wöchentlich vor dem Finanzministerium und bekommen anhand persönlicher Anweisungen Arafats Gelder ausgezahlt, die aus PLO-Vermögen stammen, auch Sicherheitsbeamte werden fortgesetzt in bar honoriert. Fayyads Versuch, dieses korruptionsfreundliche System abzuschaffen, hat Arafat persönlich unterbunden. Als daraufhin auch noch die Fatah zu verstehen gab, nur einen Premier aus ihren Reihen zu dulden, zog sich der einstige Weltbanker Fayyad aus dem Kandidatenkreis zurück. Als Alternativen gelten jetzt der ehemalige Sicherheitschef von Gaza, Mohammed Dahlan, Parlamentssprecher Abu Ala oder der bewährte Unterhändler Abu Mazen. Gerüchten zufolge wollen sie gemeinsam mit Fayyad ein Regierungsquartett bilden, das Arafat - ganz im Sinne der israelisch-amerikanischen Erwartung - in eine nur mehr symbolisch-repräsentative Position abschiebt. Der wird sich dagegen zu wehren wissen. Einen ersten vorsichtigen Putschversuch hat er im September bereits offensiv abgewehrt - auf das Haus von Abu Mazen wurden Schüsse abgefeuert, Dahlan verschwand für eine Weile in Europa, und Abu Ala fuhr zur Herzoperation nach Jordanien. Selbst wenn ein Umschwung überraschenderweise gelingen sollte, rückt ein Abkommen dadurch keinen Zentimeter näher. Sharon hat Arafat geschickt als Vorwand benutzt, um eine Verständigung zu sabotieren und seiner Bevölkerung vorzugaukeln, in einer Zeit ohne den Palästinenserführer würden sich alle Friedenshindernisse spielend aus dem Weg räumen lassen. Tatsächlich werden dann die wirklichen Differenzen wieder in den Vordergrund treten. Aus israelischen Armeekreisen heißt es bereits, Gespräche seien sinnlos, solange die Palästinenser von einem Staat in den Grenzen von 1967 träumten. Aber weniger als den 67er Grenzen und einer Teilung Jerusalems wird auch der moderateste palästinensische Politiker nie zustimmen können. Und auf der Unteilbarkeit Jerusalems als Hauptstadt des jüdischen Staates besteht Sharon ebenso wie auf der völligen Kontrolle aller Grenzen eines möglichen Palästinenserstaates. Er spricht zwar von "schmerzhaften Konzessionen", doch die Evakuierung von Siedlungen und ein angemessener Landtausch fallen mit ziemlicher Sicherheit nicht darunter. Im neuen Regierungsprogramm genießt ein Ausgleich mit den Palästinensern bezeichnenderweise keine Priorität: die Konsolidierung der Wirtschaft ist das Hauptmotiv der neuen Rechtskoalition. Dass die stagnierende Ökonomie untrennbar mit der Al-Aksa-Intifada zusammenhängt, ist eine jener Wahrheiten, die Israelis lieber ignorieren.n