Die PDS ist aus dem Zusammenbruch der DDR entstanden, sie war ihr Zerfallsprodukt und ebenso Teil der Transformation, den der zweite deutsche Staat mit seinem Beitritt zur Bundesrepublik erfuhr. Sie hat den Willen zur politischen Selbstbehauptung der reformorientierten, nachwachsenden politischen Elite der SED artikuliert, und sie hat die Ostdeutschen repräsentiert, die sich sozial und moralisch abgewertet fühlten als Leute mit der falschen Biographie im falschen Staat, mit der falschen Qualifikation, den falschen Bekannten. Gleichzeitig wurde die PDS im vergangenen Jahrzehnt zu einer Partei, die mehr als jede andere in Deutschland soziale Gerechtigkeit und Frieden sowie das Streben nach mehr Demokratie und weniger Privilegien zu verteidigen suchte. Über die dadurch mit gute
utem Grund entstandenen Maßstäbe hat sich Gregor Gysi selbst gestürzt. Nicht einmal seine schärfsten Gegner hätten dies vermocht. Noch in diesem Scheitern verkörpert er mehr als jeder andere diesen radikalen Anspruch. Hochachtung sollte ihm gerade jetzt zuteil werden. Die PDS wäre nun allerdings nicht die erste Partei, deren moralische Energie sowie politischer Geist einem einzigen Impuls und einer einzigen sozial geschlossenen Gruppe und Generation zu verdanken sind und deren Funktion nach einer gewissen Zeit erschöpft ist. Sie hätte dann ihren Zenit vielleicht mit der Berlin-Wahl vom Herbst 2001 - ihrem größten Erfolg - überschritten. Wie eine Kanonenkugel, die im Unterschied zu einer Rakete keine neue Triebwerke zünden kann, würde sie so - zumindest bundespolitisch - einem schnellen Ende entgegensehen. Denn Parteien können nur überleben, werden sie von relevanten Teilen der Bevölkerung gebraucht. Dieser Gebrauchswert für andere - für jene, die Gysi in seinem Rücktritt vor allem anspricht - muss immer wieder bestätigt werden. Parteien sind bei Strafe ihres Untergangs zur Erneuerung verdammt. Manche versuchen sich auch als bewunderungswürdige Überlebenskünstler, denkt man an die FDP, die vor wenigen Jahren schon klinisch tot und nur noch Fassade ihrer selbst schien. Für die PDS liegt der Gebrauchswert weiter zwischen der Anwaltschaft für ein sozialistisches Projekt und einer sozialeren Verwaltung der heutigen Gesellschaft. Bisher war die Partei dann stark, wenn sie es verstand, den Abstand zwischen beidem produktiv zu machen. Davon ist derzeit zu wenig spürbar. Wird von der PDS gerade jetzt das Engagement für soziale Gerechtigkeit, direkte Demokratie und Frieden erwartet, so ist doch gleichzeitig das Vertrauen, die Sozialisten könnten im Unterschied zu den Grünen einer Preisgabe fast aller wesentlichen Positionen entgehen, besonders im Westen nicht sehr hoch. Und der Bedarf nach einer weiteren Partei im Establishment tendiert gegen Null. Gebraucht wird, wer sich glaubwürdig, realistisch und konsequent sozialer Polarisierung, Privatisierung, Vermarktung und Militarisierung entgegen stellt. Viele wenden sich deshalb neuen sozialen Bewegungen zu. Es gibt beträchtliche Teile eines linken Protestspektrums, das ohne Partei auskommt und sich momentan etwa bei Attac gut aufgehoben fühlt. Gemessen am vorhandenen Parteiensystem gibt es daher für die PDS nur eine Möglichkeit, ihren Stellenwert zu behaupten und auszufüllen - sie muss sich bundesweit als demokratisch-sozialistische Partei (mit Zügen einer linken Volkspartei im Osten) profilieren. Ihre momentane Schwäche in diesem Parteiensystem sowie ihre programmatische Ferne zu allen möglichen Bündnispartnern zwingt sie dazu, sich hier als Macht zu etablieren. Sonst läuft sie nicht nur wie die Grünen Gefahr, als Bettvorleger der SPD zu landen, sondern gleich als deren Feigenblatt zu starten. Die PDS müsste sich im Bundeswahlkampf 2002 glaubwürdig neu erfinden, wollte sie eine langfristige Überlebenschance haben. Sie müsste die Widersprüche zwischen radikalem emanzipatorischem Anspruch und realem Kampf um veränderte materielle und geistige Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft, zwischen Protest und Einmischung, zwischen dem Versuch, den Kapitalismus zu überwinden, und der Teilnahme an seiner sozialeren, zivileren, demokratischeren Verwaltung produktiv machen. Sie müsste dadurch die Verhältnisse zum Tanzen bringen - die Selbstgewissheit der Machteliten offensiv wie subversiv ironisch unterwandern. Dafür wäre sie unersetzbar. Die PDS hat nach 1990 - gerade auch dank Gysi und seiner politischen Ausstrahlung - mehrfach gezeigt, dass sie dazu in der Lage ist. Sie müsste es heute auf neuen Feldern wieder tun. Bezogen auf den Kampf gegen den Neoliberalismus, gegen die Versuche, alle Bereiche des Lebens dem Markt zu unterwerfen, gegen die schamlose Selbstbereicherungssucht der neuen Eliten, gegen die Rücksichtslosigkeit denen gegenüber, die als überflüssig, als arm, als schwach angesehen werden. Da es dafür keine anderen Anwärter gibt, ist die PDS in der Pflicht. Sie sollte sich die Chance geben, dieser Pflicht nachzukommen.Der Autor ist Mitglied des Geschäftsführenden Vorstandes der Rosa-Luxemburg-Stiftung.