Politisch richtig oder Richtig politisch. Linke Politik im transnationalen High-Tech-Kapitalismus«, so der Titel einer Sammlung von Aufsätzen von Wolfgang Fritz Haug vornehmlich der Jahre 1996 bis 1998, die im Argument-Verlag erschien. So vertrackt, wie der Titel klingt, so vertrackt ist auch die Sache selbst. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage: »Was heißt und wie betreiben wir Politik im sogenannten Postfordismus?« Und der Mangel an linker Politik ist genauso offensichtlich wie dauerhaft. Bedeutungsvolles eingreifendes Sprechen und Handeln von links ist zur Rarität geworden. Vor allem aber fehlt ein linkes politisches Projekt mit der Fähigkeit zur Hegemonie. Dazu muß die Tagesordnung neu definiert werden.
Eine solche Tagesordnun
solche Tagesordnung hat einen doppelten Bezugspunkt. Es ist dies zum einen der Fordismus, begriffen als eine historische Formation, eine »Produktionsweise im umfassenden, Konsumtions-, Destruktions- und Lebensweise einschließenden Sinn, die dem 20. Jahrhundert ... ihren Stempel aufgeprägt hat«. Zum anderen ist dies der Neoliberalismus, ein Begriff für die umfassende wirtschaftliche, politische, kulturelle und sicherheitspolitische Umgestaltung der Welt, für theoretische und politisch-kulturelle Deutungen, staatliche und unternehmerische Praxen und - in diesem Buch eher am Rande erwähnt - Verschiebungen von Werten, individuellen und kollektiven Strategien großer Teile der Bevölkerung.Eckpunkte des Neoliberalismus sind ein radikaler Ökonomismus, Primat des Finanziellen, Orientierung am Markt als Modell für Gesellschaft schlechthin. Daraus sollen, so die Proponenten dieses Modells, neue Freiheit, neuer Wohlstand und eine neue Demokratie sowie ein neuer Frieden erwachsen. Die visionäre Macht und der hegemoniale Charakter des Neoliberalismus sind nicht zu übersehen. Er sucht durch aktive, ja aggressive Politik die Bedingungen des »reinen Marktes« herzustellen.Diesem Buch ist die Mühe des Suchens nach der Bestimmung von Kategorien, Diskursformen, Inhalten, nach der Sprache wie den Praxen einer neuen linken Tagesordnung abzulesen. Hervorgegangen aus verschiedenen Vorträgen, ist es wie schon zu Zeiten der Perestroika (Haugs Perestroika-Journal) fast ein Tagebuch der Erkundung und Vergewisserung. Pfade werden geschlagen in das Dickicht der Phänomene und wieder aufgegeben. Dazwischen werden dann tastend noch erste Gerüste - Orientierungspunkte und Aussichtstürme zugleich - errichtet.Verblüffende Einsichten kann man unter der Überschrift »Warenästhetik als Globalisierungsmotor« finden: »Gerade wo die ästhetischen Gebrauchswertversprechen der Warenwelt ohne Waren daherkommen (da die Armen dieser Welt sie nicht kaufen können - M.B.), verheißen sie eine andere Welt... Was die Bevölkerungen der vor- und halbkapitalistischen Zonen angeht, ist daher die Warenästhetik die stärkste Antriebskraft der Globalisierung, unwiderstehlicher Magnet der Anziehung.« Spannend auch die immer wiederkehrende Verbindung der Analyse des neozapatistischen Aufstandes in Chiapas mit den neuen Auseinandersetzungen in den Weltmetropolen. Es wird zusammengedacht, was zusammengehört.Wolfgang Fritz Haug stellt sich dem Thema der Wiedergewinnung von linker Politik »im transnationalen High-Tech-Kapitalismus« in drei großen Schritten. Er wendet sich zunächst Neoliberalismus und Globalisierung zu, analysiert dann Elemente der Dialektik linker Politik in der Gegenwart und überschreibt den dritten Teil mit der ambitionierten Frage: Was tun? Durchgehend sind die Aufsätze zugleich der Versuch, Marxismus auf der Höhe der Zeit zu betreiben, indem er in gewisser Hinsicht wieder entdeckt und zugleich neu erfunden wird. Eckpunkte sind einerseits »Manifest« und »Kapital« von Marx sowie andererseits die »Gefängnishefte« von Gramsci.Der Neoliberalismus hat eine Epoche »negativer Reformen« eingeleitet. Der Fordismus war wichtigen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Akteuren zur Fessel geworden. Und dies sind nicht nur die Großunternehmen. Chancen waren entstanden, die nun durch eine aggressiv zu nennende Minderheit genutzt werden. Andere gingen mit, da ein Zurückbleiben noch größere Gefahren heraufzubeschwören schien. Aus diesem Bündnis erwuchs dem Neoliberalismus seine Kraft zur Hegemonie.Eine neue Produktions- und Vergesellschaftungsweise ist im Entstehen. Und der Kampf dagegen ist ein Kampf gegen Windmühlen. Er ist genauso sinnlos wie lächerlich. Der Neoliberalismus verkörpert eine, aber eben auch nur eine der möglichen Varianten der Gestaltung dieser neuen Produktionsweise. Wie Haug bissig bemerkt: »Das heute vorherrschende Bewußtsein auf der Linken möchte damit nichts zu tun haben und neigt spontan dazu, Analysen widersprüchlicher, mit ambivalenten geschichtlichen Potentialen geladener Tendenzen unwillig abzutun. Zum Teil verharrt es unschlüssig vor der Aporie, nicht zurückzuwollen zum befehls administrativen Regime stalinistischer Prägung, aber auch nicht darüber hinauszuwollen, zumindest nicht in irgendeinem konstruktiven, die Gestaltung der geschichtlich-formativen Kräfte wagenden Sinn. Pontius Pilatus, nicht mehr Prometheus, ist der vornehmste Heilige eines Zeitgeistes, der, zumindest in den Zonen des Wohlstands, am liebsten seine Hände in Unschuld wäscht.«Damit ist der Anspruch dieses Buches markiert: Es geht darum, der mit oder ohne unsere Intervention, mit oder ohne unser gestaltendes Eingreifen sich formierenden neuen Produktions- und Vergesellschaftungsweise dadurch »einen menschlichen Sinn« zu verleihen, indem wir um ihre konkrete Gestalt, ihre soziale und ökologische Ausrichtung, ihre demokratische Gestalt, die Ausschöpfung ihrer Potentiale zur Durchsetzung emanzipatorischer Geschlechterverhältnisse kämpfen. Dies, und nur dies, ist die Alternative, vor der eine wirklich »neue« Linke steht.Will die politische Linke sich dieser Herausforderung stellen, dann muss sie eine doppelte Aufgabe lösen - sie hat sich zum einen zunächst einmal der Realität zu stellen, wie sie in den letzten 20 Jahren entstanden ist. Das jüngste Thesenpapier von Schröder und Blair ist ein solcher Versuch. Doch das Pathos dieser Entdeckung der Realität durch links ist bald vorbei, wenn nicht auch eine andere Aufgabe gelöst wird. Und diese ist wesentlich schwieriger. Sie ist nicht durch bloßen Nachvollzug des Neoliberalismus zu leisten. Es geht um die Erfindung von solchen institutionellen Bearbeitungsformen der neuen Probleme und Konflikte, die der Orientierung auf soziale Gerechtigkeit, auf Gleichheit in der Freiheit, auf freie Entwicklung eines jeden durch freie Entwicklung aller gemäß sind. Und es geht darum, dafür Mehrheiten zu gewinnen.Noch ist die Linke bestenfalls dabei, in die Startpositionen für ein solches Rennen zu gehen. Ihre parlamentarische Mehrheit in vielen Ländern Westeuropas könnte deshalb von kurzer Dauer sein. Wolfgang Fritz Haugs Aufforderung, endlich »richtig politisch« zu werden, ist daher von höchster Aktualität. Und es ist nicht nur »politisch richtig«, dieses Buch zu lesen. Das Buch ist einfach richtig gut.Wolfgang Fritz Haug: Politisch richtig oder Richtig politisch. Linke Politik im transnationalen High-Tech-Kapitalismus. Berlin, Argument 1999. ISBN 3-88619-317-9, 220 Seiten
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