Ob man es wahrhaben will oder nicht, die PDS hat keine Zeit zu verlieren und muss erneut zum Überlebenskampf antreten. Der Wahlkampf für die Entscheidung auf Bundesebene im Jahr 2002 ist faktisch schon in seiner Startphase. Eine der schlechtesten Varianten, die unter dem Label innere Umgestaltung eingeschlagen werden könnte, wäre es, lediglich "Personalentscheidungen" zu treffen und ansonsten nach dem Motto "Weiter so!" zu verfahren.
Augenblicklich wird vielfach von einer "zweiten Erneuerung" der PDS gesprochen. Dies gilt nicht nur wegen des angehäuften Krisenpotenzials, eines unproduktiv gewordenen Pluralismus innerhalb der Partei, der Verluste an integrierender Identität, der Widersprüche zwischen Parlamentariern und Mitgliedschaft sowie offenkundiger Führungs- und Kommunikationsdefizite. Nötig erscheint sie vor allem deshalb, weil eine kleine, linkssozialistische, gewissermaßen "von Natur aus" instabile Partei wie die PDS ständig dem Zwang ausgesetzt ist, sich veränderten Bedingungen zu stellen. Es ergäbe jedoch wenig Sinn, von einer "zweiten Erneuerung" zu sprechen, ohne nach der Gesamtstrategie zu fragen.
Geht man davon aus, dass - grob umrissen - das strategische Ziel der PDS darin bestehen könnte, neue Entwicklungspfade zu finden, um aktuelle "Großprobleme" (soziale Gerechtigkeit, Ökologie, Demokratie, Friedenssicherung) zu bewältigen, so stellen sich zwei Fragen: Wie ist dieser Weg beschaffen? Wer sind die Akteure?
Strategisch könnte man darauf orientieren, die Kräfteverhältnisse im politischen System zu verschieben und einen politischen Mitte-Links-Blocks zu etablieren. Eine andere Möglichkeit wäre es, eine Politisierung der Gesellschaft anzustreben, um Interessenkonflikte auf neue Art auszutragen. Beide Ansätze müssen sich nicht ausschließen, stehen aber in einem gewissen Widerspruch zueinander und sind keineswegs deckungsgleich. Aus den ihnen immanenten "Logiken" ergeben sich differente Strategie-Schwerpunkte und nicht zuletzt ein unterschiedliches Parteienverständnis.
Mitspieler, nicht Spielführer sein
Bei den in der PDS geführten Debatten dominierte bislang eher der mit dem Stichwort "Systemorientierung" zu charakterisierende erste Ansatz. Gestützt auf die bis 1999 erzielten Wahlerfolge wurden vorzugsweise Änderungen des parlamentarischen Kräfteverhältnisses thematisiert. Noch Anfang 2000 galten wie selbstverständlich nur Varianten parlamentarischer Verankerung als "Erfolgskriterium" für die Partei. Man hätte es getrost auch unverblümter ausdrücken können: Die PDS sollte im politischen System den Wettbewerb um Macht betreiben.
Beim zweiten Ansatz wäre stattdessen vom Stichwort "Lebensweltorientierung" und einer kritischen Wertung der Reformchancen im vorhandenen politischen System auszugehen. Bleibt dieses System Dreh- und Angelpunkt aller Aktivitäten, besteht die Gefahr, dass sich wechselseitige Blockaden der Akteure - besonders der Parteien - in einer Art "Patt" verfestigen. Ein Ausbruch aus diesem "Zirkel" scheint nur durch "Politisierung der Gesellschaft" möglich. Der Sozialforscher Rainer Land bemerkt dazu treffend: "Der Ausweg liegt nicht in einer anderen Politik, sofern darunter das Handeln innerhalb des politischen Systems verstanden wird. Er liegt in einer anderen Öffentlichkeit, die die Tendenz zur Selbstreferenz des politischen Systems punktuell aufbricht. Die politische Gesellschaft (oder zivile Gesellschaft) - sie ist das notwendige Gegenstück zum politischen System - beinhaltet neben Medien und Expertenkulturen auch die in Lebenswelten und Alltagskulturen wurzelnden Interaktionen der Bürger." (*)
Entsprechende Konsequenzen sind in der PDS wenig diskutiert. Der Ansatz, sich vor allem als "Partei für den Alltag" zu definieren, wurden zuletzt von der Sichtweise "Partei im und für das Parlament" überlagert. Mit der Debatte über die "Parteireform" waren indes Stimmen zu hören, die eine Modernisierung der PDS nicht nur als Befähigung zur professionalisierten Parteienkonkurrenz begreifen wollten.
Wenn über die Möglichkeiten einer "Politisierung der Gesellschaft" und die Rolle linker Akteure nachgedacht wird, sollte allerdings klar sein: Dies lässt sich weder durch eine Partei "organisieren", noch "gesetzlich verordnen". Denkbar wäre diese Politisierung durch eine "nichtplanbare" Selbstorganisation verschiedenster Akteure, wenn auch nicht ziellos, so doch spontan, widersprüchlich, "ungeordnet". Daraus folgt: Eine Partei, sei sie auch noch so gut mit Programm, Statut und hochqualifiziertem Personal ausgestattet, kann hier nur "mitspielen" - im Bourdieuschen Sinne des offenen Handelns auf verschiedenen Feldern. Sie kann Vorschläge, Ressourcen, Akteure und damit Handlungskompetenz in den gesellschaftlichen Bereichen einbringen, von denen die Lebenswelt vieler Menschen berührt ist.
Die Partei wäre unter diesen Umständen ein "Zwitter aus Partei und Bewegung" - gestützt auf einen Konsens sozialistischer Werte. Sie könnte parlamentarisch aktiv bleiben, indem sie günstige Rahmenbedingungen für Reformalternativen schafft (auch durch den Zugang zu Ressourcen) und sich mit außerparlamentarischen Akteuren vernetzt. Sie müsste in diversen soziokulturellen Milieus verankert sein - gefragt wäre die Fähigkeit zur Kampagne und zur kulturellen Artikulation bei Aktionen und Protesten. Über neue Formen "gesellschaftsoffener" Projekte zur Lösung sozialer und ökologischer Probleme wäre ebenso zu reden wie über die Selbstorganisation verschiedener Akteure oder soziale Hilfsangebote, die sich an der Lebenswelt möglichst vieler Menschen orientieren. Das provoziert notgedrungen "offene" Parteistrukturen und zwingt zu modernen Leitungs- und Kommunikationsformen.
"Ökonomie des Zwischenmenschlichen"
In diesem Kontext wäre auf Begrifflichkeiten hinzuweisen, die in origineller Weise die "Lebensweltorientierung" der PDS illustrieren und bereits verschiedentlich anklangen. Geht man nämlich von einer realen "Ökonomie des Zwischenmenschlichen" aus, so wäre zu fragen, welche "Tauschwerte" die PDS als moderne, lebensweltorientierte Partei anzubieten hätte. Zweifelsfrei besitzt sie durchaus ein stabiles Image mit der Prägung, sich in starkem Maße "für die einfachen Leute" einzusetzen. Daran anknüpfend wäre im Sinne von Selbstermächtigung ein Wirken in Zusammenschlüssen sinnvoll, das Menschen aus Ohnmachtsempfindungen heraus aktiv werden lässt. Die PDS hat dabei auch die Aufgabe, spezielle Ressourcen - Personen, Informationen, Geld, Ausrüstung - einzubringen, all das, was bisher unter dem Label "Dienstleistungspartei" diskutiert wurde. Schließlich: Emotionalität und Gemeinsamkeit, die Betonung eines solchen Punktes löst mitunter das Missverständnis aus, es ginge um nostalgische Nischen oder "linke Trotzecken". Äußerungen dieser Art zeugen nicht nur von latentem Zynismus, sondern auch von mangelnder Kenntnis auf sozialpsychologischem Gebiet. Gerade auf Grund radikaler Individualisierungstendenzen ist das Bedürfnis nach Gemeinsamkeit und emotionaler Entspannung heute extrem hoch.
Parallel zur programmatischen Debatte sollte daher eine zweite "Überlebensaufgabe" in der Suche nach einem alltagspraktischen Grundkonsens und einer wirksamen Organisationsweise der Partei bestehen. Der "lebensweltorientierte" Ansatz, der auch theoretisch weiter zu präzisieren wäre, bietet zahlreiche Chancen dafür, dass sich die PDS als linkssozialistische Volkspartei dauerhaft in der Gesellschaft verankern kann.
(*) Rainer Land: Reformpolitik in Zeiten der Depression; Berliner Debatte INITIAL, Nr. 4/5 1999, S. 17.
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