Entkernt, ermattet, ziellos", so charakterisiert Franz Walter in einem jüngst erschienenen Essay den aktuellen Zustand der deutschen Parteien (*). Die SPD im Generationenkonflikt, die Grünen ausgebrannt, die FDP substanzarm und stets auf der Jagd nach den "Hochdynamischen" der Gesellschaft, die Union durch Führungskonflikte erschöpft und ausgezehrt, die PDS ohne Identität - nach dieser Tabula rasa scheint das Parteiensystem endgültig auf den Hund gekommen zu sein. Aber der Autor macht es sich wohl doch zu leicht. Verkürzende Aussagen bleiben stets an der Oberfläche und schließen - vor allem im Kontext politischer Kontroversen - die Gefahr ein, Kontrahenten oder Partner zu unterschätzen.
Die PDS kann davon ein Lied singen, denn beim Umgang mi
Umgang mit ihr war es im vergangenen Jahrzehnt geradezu Mode, bei Wahrnehmungen oder Urteilen auf knappe Stereotype zurück zu greifen. "Nachfolge-", "Rentner-", "Einheitsverlierer-" oder "Ost-Partei", so lauteten einige der Kürzel, die scheinbar alles auf den Punkt brachten (und irgendwie auch das baldige Ende dieses seltsamen Vereins signalisierten). Und dann, nach einer Wahl, nach einer Regierungskrise, nach manchem Parteitag stellte man fest, dass die PDS doch "irgendwie anders" war. Nicht nur die West-Politologen, sondern auch die fundamentalistischen Insider-Kritiker der Partei haben sich auf diesem Terrain immer wieder verschätzt.Die Resultate der jetzt vorgestellten repräsentativen Mitgliederbefragung in der PDS bringen manche neue Erkenntnisse, aber sie geben weiter auch zahlreiche Rätsel auf. Die kürzeste Zusammenfassung dieser Studie lautet: Die PDS war und ist eine Partei der Widersprüche! Und einige meinen sogar, dass vielleicht gerade in dieser Tatsache ihr Geheimnis von Überleben und bisherigen Erfolgen begründet liegt. Widersprüche, wohin man blickt: Die 2001 feststellbare Wählerschaft der PDS und die Personen, die ein erschließbares Wählerpotenzial bilden, sind überdurchschnittlich jung (bis 30 Jahre: Wähler etwa 14 Prozent, Potenzial 28 Prozent) - die PDS kann aus der Alterszusammensetzung ihrer Mitgliedschaft (bis 30 Jahre: zwei Prozent, über 59 Jahre: 69 Prozent) wahrlich kein Geheimnis mehr machen. Sie erhält seit 1998 jährlich einen beachtlichen Zugewinn an neuen Mitgliedern (im Jahr 2000: 2.500), aber etliche von ihnen verlassen die PDS nach einiger Zeit wieder.Die PDS ist - in Ost und West - nach Meinung ihrer Mitglieder unverkennbar eine "Überzeugungspartei": Über 80 Prozent nennen sie "Wertegemeinschaft", "politische Heimat" oder die einzige Partei, der sich Linke (überhaupt) anschließen könnten. Es wäre zu erwarten, dass dies zu einem "Sektenwesen pur" führt. Aber mehrheitlich halten die Mitglieder der PDS ungemein praktische Dinge für wichtige Gestaltungsfelder - Mitwirkung in Kommunalparlamenten (92 Prozent), Kooperation mit Gewerkschaften (90 Prozent), Qualifizierung der Opposition (82 Prozent), Aktionen in der Öffentlichkeit (80 Prozent) oder gar das Mitregieren in den Ländern (71 Prozent). Der oft beschworene Politikspagat - Opposition und Gestaltung - findet nicht nur in der Hinterzimmern der Fraktionen, sondern auch in den (oft grauen) Köpfen zahlreicher Mitglieder statt.Ein weiterer Widerspruch: Verfolgt man den Ton etlicher Leserbriefe der vergangenen Wochen bezüglich aktueller Debatten (Programmentwürfe, SED-Gründung), so könnten Kritiker meinen, die Geister der Vergangenheit kehrten wieder. Schaut man genauer hin, so ist die PDS zwar "überaltert", aber in vieler Hinsicht "hochmodern": Mit 40 bis 50 Prozent Beteiligungsraten an politischer Bildung, von denen andere Parteien nur träumen können, mit intensiver Mediennutzung, mit einem hoher Ausrüstungsgrad an Kommunikationstechnik, einschließlich des Internet. In Nachbarschaft zur PDS- Mitgliedskarte sind selbst Aktienbesitz und Fondsbeteiligung nicht ganz verpönt. Noch ein Punkt: Die Medien suggerieren immer wieder den Eindruck, in der PDS fände ein permanenter Kampf zwischen "Basis" und "Führung" statt. Ausführlich zur Benotung ihrer Führungsorgane (Vorstände und Fraktionen aller Ebenen) aufgefordert, gibt die Mitgliedschaft klare Urteile ab: Politische und fachliche Kompetenz, aber auch "menschliche Qualitäten" werden in der Regel erstaunlich hoch geschätzt. Kritik bringt man dann zur Sprache, wenn es um Transparenz von Entscheidungen und um Rückkopplungen zur Basis geht. In ihrer überwiegenden Mehrheit votieren die PDS-Mitglieder eben nicht für innerparteilichen Krieg, sondern für engagierte Mitgestaltung.Einer der größten Widersprüche, mit dem die PDS gegenwärtig konfrontiert ist, liegt zum Teil außerhalb der Partei - er hat aber vieles mit ihrem inneren Zustand zu tun. Neben den Stammwählern der Linkssozialisten gibt es bundesweit mindestens einen Anteil von fünf (weit gefasst zehn) Prozent der Wahlberechtigten, der die PDS nicht ablehnt, ihr manches Positive zutraut und sie auch (irgendwie) in Regierungsverantwortung(en) akzeptieren würde. Dieses Potenzial müsste angesprochen und erreicht werden, denn bislang dümpelt die PDS in den Umfragen unvermindert zwischen fünf und sechs Prozent dahin, so dass ihr kühn erklärtes Ziel, den dritten Platz im deutschen Parteiensystem einzunehmen, noch immer den Anschein von Wunschdenken hat. Vielleicht verhelfen der genauere Blick in das Innere der Partei und das produktive Aufgreifen ihrer bemerkenswerten, oft kuriosen Widersprüchlichkeiten zu einem beschleunigten Start in den bevorstehenden Wahlmarathon.(*) s. Franz Walter: Die deutschen Parteien, in: Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. B 10/2001.Studie im Internet unter: www.sozialisten.de