Wie es scheint, markiert der Beginn der mit dem Parteitag im Januar 1999 ausgerufenen Programm-Debatte eine Art Scheideweg für die PDS - vielleicht in ganz anderer Hinsicht, als es schlagzeilenträchtige Mediendarstellungen vermuten lassen.
André Brie und Dieter Klein haben mit ihrem Auftakt unterstrichen, daß die eigenständige Suche nach einem neuen »Entwicklungspfad« bei der Behandlung aktueller »Großprobleme« - wie der ökologischen Umgestaltung und Schaffung humanorientierter Dienstleistungsfelder in breitem Umfang - den entscheidenden Schritt zur Profilierung der PDS darstellt. Sie werfen gleichzeitig die sehr komplizierte Frage auf, wie Ziele und Visionen mit den alltäglichen Aufgaben und Bestrebungen der Partei zu verbinden se
rbinden seien.In diesem Kontext wäre auf drei Aspekte hinzuweisen, die gleichermaßen Stärken und Schwächen der PDS dokumentieren.Die PDS könnte für sich in Anspruch nehmen, mit dem Ziel eines »sozialen und ökologischen Umbaus« den Gedanken der »Nachhaltigkeit« in neuer Weise mit der für das 21. Jahrhundert so entscheidenden »sozialen Frage« inhaltlich zu verknüpfen. Soziale Nachhaltigkeit - verstanden als Politik-Option zur verbesserten Reproduktion sozialer Standards und menschlicher Beziehungen - böte die Chance, sowohl regionale Initiativen aufzugreifen, als auch einen Werte- und Prinzipienwandel innerhalb der Gesellschaft zu befördern. Hier gäbe es - zumindest potentiell - einen Konsens in der Bevölkerung, der bis an Mehrheiten heranreicht.Nahezu unbeachtet in der PDS - so auch im Text von Brie und Klein - bleibt die »subjektive Seite« von politischen Zielen, Entscheidungen und Schritten. Gerade weil die Gesellschaft ausdifferenziert, komplex und unübersichtlich ist, bedeutet ein Ringen um Mehrheiten auch das Erlangen von subjektiver Zustimmung durch sehr verschiedenartige Akteure mit unterschiedlichen mentalen Haltungen. Die PDS muß - will sie nicht an Menschen vorbei Politik betreiben - die komplizierten Mechanismen alltagspolitischer Wahrnehmungen, Gefühlslagen und Urteilsbildungen berücksichtigen.Schließlich braucht es in der PDS den Mut, die nunmehr erweiterten Chancen von Politik nicht nur (möglichst gut) »funktional« zu nutzen, sondern gleichzeitig eine Änderung des »Politik-Stils« anzustreben. Dazu zählen schonungslose Transparenz (der Entscheidungen, des Verhaltens der Funktionsträger), Orientierung auf die Konsequenzen politischer Optionen, einschließlich der Erfahrungen »Betroffener«.Eine programmatische Debatte in der PDS besitzt jedoch noch eine andere Bedeutung - sie könnte lebenswichtig für Charakter und Zusammenhalt dieser Partei sein, denn allen Beschwörungsformeln des Januar-Parteitages zum Trotz befindet sich die PDS in einer krisenhaften Situation. Nicht als schlechter Witz, sondern durchaus mit ernsthaft theoretischem Sinn, macht das auf die Ergebnisse der Bundestagswahlen 1998 bezogene Wort vom »Pyrrhus-Sieg-Syndrom« die Runde.Dabei geht es nicht vorrangig um den scheinbar alles beherrschenden Dissens zwischen »Reformern« und »Traditionalisten«. Längst sind andere Konfliktlinien zutage getreten. Die durch die Wahlerfolge erzielten Positionsgewinne haben einen »Aufmerksamkeits-Kult« des Parlamentarischen befördert, der die Suche nach außerparlamentarischer Aktion und politisch-kultureller Hegemonie der Linken im Alltag eher abschwächt. »Die Bewegungen funktionieren ja doch nicht, also müssen die Apparate ran!« - so etwa drückt sich eine Denkweise aus, die ein neues »Oben« und »Unten« in der PDS entstehen läßt. Dies hat Folgen: Einer bereits existierenden (Selbst-)Versorgungsmentalität von Funktionsträgern und ihrem Anhang stehen ehrenamtliche Idealisten (in Größenordnungen) zumeist erstaunt und verbittert gegenüber. Ferner: In der PDS sind sehr schnell »Super-Realos« entstanden, die ihrem Pragmatismus mit der Überzeugtheit fundamentalistischer Muslims huldigen, und es gibt - eher zerplittert und mit wenig Deutungsmacht - Gruppen, die Wertorientierungen und Moral als etwas eigenständig zu Bewahrendes ansehen.Diese von der Führung oft verdrängten und paradoxerweise mit den Erfolgen der Partei verknüpften Konflikte erlangen im Kontext der spezifischen Zusammensetzung der PDS und ihrer Anhängerschaft ein besonderes Gewicht. Reißt der bereits bröckelnde »Vertrauens-Konsens« innerhalb der Partei und ihrer sehr gemischten Wählerschaft weiter auf, so bedeutet dies das »Aus« spätestens bei den nächsten Bundestagswahlen. Die PDS steht demnach vor der schmerzhaften Aufgabe, sich der Gefahr einer »funktionalen Spaltung« öffentlich zu stellen und Schritte von einer (heute eher noch) »positionsorientierten« zu einer »innovativ-bewegungsartigen« und »offenen« Partei zu vollziehen, die tatsächlich im Hinblick auf Ziele, Handlungsoptionen, innere Verfaßtheit und Moral »anders« bleibt als vergleichbare Organisationen. Es ist die besondere Schwierigkeit dieses Prozesses, daß sie dies nicht »in Konklave« klären kann, sondern gleichzeitig wie eine »normale« Partei tätig sein muß.Die neue Stellung, die von der PDS nunmehr im veränderten politischen Kräftespektrum Deutschlands eingenommen wird, läßt ihr wenig Zeit, sich mit der programmatischen Debatte hinsichtlich ihrer Grundwerte, ihrer Leitideen und ihrer inneren Beziehungen überzeugend zu verständigen. Aber, nur wenn sie unter diesen Bedingungen ihr Profil zu schärfen versteht, wird die PDS in zehn Jahren mehr als eine Episode deutscher Parteiengeschichte gewesen sein.