Es ist ein weiter Weg, wegen ein paar Steinen. Selbst wenn die Bruchstücke von einem Bauwerk der Weltgeschichte stammen. Mit Bus und Bahn geht es hinaus nach Lankwitz, ganz im Süden Berlins. Das Ziel ist ein von außen verwitterter, alter Kasernenbau aus der Kaiserzeit, der heute das Institut für Mineralogie und Petrologie der Freien Universität Berlin beheimatet. Ein überdimensionierter, orangener Plastik-Torbogen weist einem den Weg zum Eingang. Freundlich begrüßen einen Studenten an der Kasse.
Nachdem man ein Ticket gelöst und die Kasse hinter sich gelassen hat, erblickt man im Hof des Geländes ein Gerät, das an ein geschrumpftes Raumschiff erinnert. Auf dem Platz stehen Kisten voller Steine mit exotisch klingenden Namen wie „Rhyolitischer Ignimbrit“. Kinder tragen Schutzbrillen, rennen herum, hämmern voller Inbrunst auf Steine ein. Willkommen in einer Welt, in der sich alles um Felsbrocken und Mineralien dreht.
„Bringt uns die Mauer!“
Ralf Milke, Doktor der Mineralogie, kennt sich in dieser Welt aus. Der Wissenschaftler der Freien Universität Berlin hatte die Idee für die Pilgerreise der Mauerspechte und Souvenirkäufer nach Lankwitz. Mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden will er Bruchstücke der Berliner Mauer auf ihre Echtheit überprüfen. „Berliner, bringt uns die Mauer“, heißt die Losung für die „Lange Nacht der Wissenschaften“ – einer Veranstaltung, die komplexe Forschung auch dem Normalbürger nahebringen soll.
Der Zustand des Raumes, indem die Untersuchung stattfindet, steht in krassem Gegensatz zum heruntergekommenen Äußeren der ehemaligen Kaserne. Computer, wissenschaftliche Apparaturen und Diagramme an den Wänden geben ihm ein modernes Ambiente. Mehrere Wissenschaftler mit Namensschild an der Brust wuseln herum.
„Es wird ja viel darüber gemunkelt, dass an den Souvenirständen und am Checkpoint Charlie mehr Beton verkauft wird, als jemals in der Berliner Mauer drin war“, erzählt Milke. Auf die Idee zu seinem Beitrag für die „Lange Nacht“ kam der Wissenschaftler, nachdem eine ältere Dame ihn gebeten habe, er solle doch bitte die Echtheit des Mauer-Erbstückes für die Enkel bestätigen. Daraufhin habe er sich erst die Frage gestellt: „Ist es überhaupt möglich ein Stück ‚Mauer‘ zu identifizieren“?
Wer ein Stück der Berliner Mauer in Händen hält, kann sich längst nicht sicher sein, ob es auch authentisch ist. Einst das Wahrzeichen des „Sozialismus in einem Land“ ist die Berliner Mauer inzwischen in Bröckchen über den ganzen Erdball verteilt. Die Stücke sind begehrte Tauschobjekte. Geschätzte 180.000 Tonnen Beton wurden in dem 106 Kilometer langen Objekt verbaut. Waren es 1989 noch tausende Mauerspechte, die sich jeweils ihr eigenes Stück Weltgeschichte für das heimische Wohnzimmer sicherten, kamen in den Jahren danach Hunderttausende kaufwillige Souvenirjäger hinzu. Seitdem existiert der Markt mit gefälschten Mauerstücken.
Manche der Fälschungen sind dabei besonders dreist, wie Milke zu berichten weiß. Einige Proben habe er von fliegenden Händlern am Checkpoint Charlie gekauft. „Kleine Brösel, die in schön dekorierten Flaschen mit DDR-Emblem verkauft werden. Die Sachen sind zu großem Teil selbst angerührt. Die haben nie die Umwelt gesehen“, sagt Milke. Wenn der Beton nach einigen Stunden hart sei, würden die Händler ihn ansprayen und anschließend klein klopfen. Abgefüllt in eine verzierte Flasche koste das dann 4,50 Euro, erzählt Milke. Für die Händler ein gutes Geschäft.
Die erste Besuchergruppe an diesem Abend ist ein Paar mit zwei Kindern. Während Milke den Gästen erklärt, dass jedes echte Mauerstück eine 5 bis 10 Millimeter breite Verwitterungsschicht hat, blicken die Kinde abwesend umher. Nach kurzer Informationsaufnahme beschließt die Mehrheit der Familie dezent den Rücktritt anzutreten, während der Vater nicht aufhören kann, den Wissenschaftler beharrlich zu löchern.
Wie genau das denn jetzt funktioniere mit der Bestimmung der Echtheit? Während der Wissenschaftler die Methode erklärt, deutet er auf eine große Apparatur, die den kleinen Raum fast ausfüllt. Die Bestimmung der Echtheit geschehe mittels Röntgenbeugung, erklärt Milke dem interessierten Vater. Zuerst würden die Mauerproben zu einem Pulver zerkleinert, bevor sie in die Apparatur kämen. Anschließend könne man auf dem Röntgendiagramm sehen, ob der spezifische Ausschlag, der bei echtem Mauerbeton immer vorkomme, auch vorhanden sei.
Eine unbestechliche Methode
Unter Schmunzeln erzählt Milke, dass die Methode nicht bestechlich sei und nur fehl liege, wenn der gleiche Zement zum Testen gebracht werde. Die Mauer wurde während ihrer Existenz einmal komplett ausgetauscht. Man könne fest davon ausgehen, dass alle Teile der Mauer aus dem gleichen Zement stammen. Alles hergestellt in den Rüdersdorfer Zementwerken. Nur Stücke, die auf dem Mess-Diagramm den spezifischen Ausschlag des Rüdersdorfer Zements zeigen, sind authentische Mauer-Stücke.
Der Ausflug nach Lankwitz hat auch etwas angenehm Unideologisches. Im Labor der Mineralogen geht es nicht um politische Interpretationen. Kurz bevor die Gedenktage-Industrie zum 50. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August anspringt, erlebt man die Mauer hier als rein wissenschaftliches Problem – welchen Ausschlag hinterlassen ihre Überreste auf dem Diagramm?
Zum Abschluss zeigt der Mineraloge noch eine besonders schöne Fälschung. Ein vermeintlich buntes Stück Mauer, verpackt in Plastik und eingebettet in ein Lesezeichen. Zur Sicherheit hat der Hersteller aber noch „die Mauer“, „the wall“ und „le mur“ darauf geschrieben. „Das Lesezeichen kann man wohl aus Hongkong für acht Cent beziehen. Auf jeden Fall kein echtes Mauerstück“, betont Milke. Das Lesezeichen trägt zudem noch den Aufdruck „Fight your misery“ – bekämpfe dein Elend.
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