Randa Ghazy, Tochter ägyptischer Einwanderer, besucht in Mailand ein humanistisches Gymnasium. Eine gläubige Muslimin ohne Kopftuch, die sich selbst "eher eine Feministin" nennt und den Islam wütend von bin Laden und Konsorten abgrenzt. Die, um ihre Motivation dieses Buch zu schreiben, in einem als eine Art Nachwort beigegebenen Interview Che Guevara zitiert: "Und ihr müsst vor allem jegliches Unrecht, egal wo es auf der Welt geschieht, erkennen: Das ist die schönste Eigenschaft eines Revolutionärs."
Ibrahim, die zentrale Figur ihres Romans, ist Sohn eines Muezzin. "Kein Frieden ohne Gerechtigkeit!", predigt der Vater. Was Krieg bedeutet. Denn die Juden, so der Vater, hätten den Palästinensern das Land genommen, schon vor langer Zeit und noch einmal 1948. Ibrahim sieht mit an, wie israelische Soldaten seinen Vater erschießen. Mit einundzwanzig Jahren, 1991, bricht er sein Studium ab und geht auf Wanderschaft, "den Koran in der Hand und einen Gedanken im Kopf: ein Mann sein."
In einem kleinen Ort in Gaza lernt er Nedal kennen. Er zieht zu ihm und seiner Familie. Diese Familie nimmt auch die Geschwister Riham und Gihad bei sich auf, Flüchtlinge. Irgendwann rollen Panzer ins Dorf und eröffnen das Feuer. Nedals Mutter und Schwester werden getötet, die anderen retten sich verletzt auf einen Lastwagen. Mohammed, der Fahrer des Krankenwagens, nimmt sie in seinem Haus auf. Dort wohnt schon der Krankenpfleger Ramy. Ein Christ unter Moslems, der sich in das jüdische Mädchen Sarah verliebt.
Eine unmögliche Liebe, zum Scheitern verurteilt, wie Ibrahim von Anfang an weiß. Ibrahim fühlt sich als Ältester für alle und alles verantwortlich. Diese Last drückt ihn wie der stets gegenwärtige Krieg, über den er immer wieder nachdenkt, reflektiert. Seinem Freund Nedal wird es eines Tages zu eng. Jetzt geht er auf Wanderschaft. Zurückgekehrt heiratet er Riham, die den ganzen Laden zusammen gehalten hat. Da sind wir schon im Jahre 1999.
Inzwischen lebt ein weiterer Flüchtling, Ahmed, in der Wohngemeinschaft. Etwas später kommt noch ein Straßenjunge dazu, Ualid, der nicht in die Schule gehen will, sich stattdessen danach sehnt, "Soldaten zu töten". Er wird, wie Ahmed und Riham bei einer Straßenschlacht der zweiten Intifada selbst getötet werden. Ibrahim aber "hasst jeden Israeli dieser Welt, es ist ein bedingungsloser Hass, irrational, den man nicht rechtfertigen kann, aber auch nicht kritisieren, nein, das kann man nicht."
Ausweglos endet der Roman, den Randa Ghazy sich mit fünfzehn Jahren buchstäblich von der Seele geschrieben hat. Es ist ein zorniger, Partei ergreifender Roman, geprägt von Emotionen, jugendlichem Pathos und einer oft überhöhten, lyrisch aufgeladenen Sprache, mit lebhaften Dialogen. Unbekümmert um handwerkliche Feinheiten und dramaturgisch "richtiges" Erzählen. Weniger Literatur als Dokument. Zeugnis einer aus den Fugen geratenen Zeit, in der die Menschen "sich dem Krieg unterwerfen" müssen, ob sie wollen oder nicht. In den Krieg hinein geboren werden und in ihm sterben. Und in denen die natürlichen Feinde sehen, die ihr Land besetzt haben und allen möglichen Übergriffen aussetzen.
Einmal schildert die Autorin ein der Verzweiflung geschuldetes Selbstmordattentat mit leidenschaftlicher Empathie. Und auch später wird Ibrahim es noch "heuchlerisch und ungerecht" finden, diejenigen zu verurteilen, die "Steine warfen oder sich umbrachten, um Shuhada, Märtyrer im Kampf um die Heimat, zu werden."
Dennoch ist Randa Ghazys Buch voll von Fassungslosigkeit und Friedenssehnsucht angesichts der immer sich erneuernden Spirale der Gewalt, die die Menschen zu Gefangenen macht, "von Schmerzen, vom Hass überwältigt. Wie konnte man sie verurteilen? Wie konnte man sie verdammen?" Und die Juden. Wie können sie angesichts des Holocaust selbst so viel Unrecht tun? Und andererseits: Haben nicht auch die Palästinenser Vorurteile? Müssen sie nicht unterscheiden zwischen den Politikern, den Soldaten und den Menschen, selbst denen in den jüdischen Siedlungen, Wohlstandsoasen inmitten grausamer Armut?
In ihrem Interview sagt Randa Ghazy, dem Gestus ihres Romans zum Trotz: "Ich träume von Palästina. Ich träume, dass es keine Gruppierungen mehr gibt wie Hamas oder die Al-Aksa und dass Sharon abgesetzt wird. Ich träume, dass palästinensische und israelische Kinder gemeinsam spielen. Ich träume von einem Palästina, das neben Israel existieren kann, und schließlich träume ich von einer Welt, die aufmerksamer und gerechter ist."
Ibrahim macht schließlich eine (überraschende, weil psychologisch unzureichend untermauerte) Entwicklung durch, an deren Ende er Nedal mahnen wird: "Wenn du willst, dass dein Kind nicht ein Klon all der anderen wilden Kinder wird, dann musst du ihm den Weg Gottes zeigen, den Weg des Friedens und des Glaubens und darfst vor dem Krieg nicht in die Knie gehen."
Dieses Credo kann man als Randa Ghazys Gegenentwurf zum allzu manifesten Bild eines militanten, fundamentalistischen Islam sehen. So wie die Wohngemeinschaft ihrer Helden (der "Gruppe", schreibt sie) eine fragile Utopie ist. Die Utopie praktischer Solidarität und eines - durchaus nicht konfliktfreien - Friedens inmitten des Krieges.
Randa Ghazy: Palästina - Träume zwischen den Fronten. Ravensburger-Verlag, Ravensburg 2002, 216 S., 9,95 EUR
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