Flügelkämpfe, die sonst die Konturen des Ganzen scharf zeigen, gab es nicht. Eintracht war angesagt. Das war aber gut so. Ein Gewerkschaftstag ist nicht dazu da, den Medien ein kribbelndes Spektakel zu bieten. Er vertritt die Interessen der Arbeitnehmer am besten, wenn er eine halbwegs einige Führungsgruppe wählen kann. Die Führung der IG Metall war vor vier Jahren stark zerstritten, als Jürgen Peters gegen den Willen des Lagers der "Modernisierer" Erster Vorsitzender wurde. Zugleich wurden damals die Weichen der Versöhnung gestellt, da Peters sich mit seinem Widersacher Berthold Huber, der Zweiter Vorsitzender wurde, auf den Amtswechsel 2007 einigte. Eine Phase relativer Erfolge machte es möglich, den damals eingeschlagenen Weg auch durchzuhalten. Denn in der guten Wirtschaftskonjunktur wurden deutliche Lohnerhöhungen erreicht. Da rückt man leichter zusammen, als wenn gerade ein Streik gescheitert ist.
Es ist offenbar nicht bloß eine Eintracht vor laufenden Kameras. Man sah das schon am Personalvorschlag des alten Vorstands für den neuen. Detlef Wetzel, der neue Zweite Vorsitzende, gehört demselben Lager wie Huber an. Es war also nicht notwendig, Gegensätze der Lager durch einen Personalkompromiss schon auf der Ebene der Vorsitzenden zu kitten. Dafür wurden zwei Peters-Vertraute neu in den Vorstand gewählt, darunter mit sehr hoher Delegierten-Zustimmung Hans-Jürgen Urban, der kämpferische Leiter der Grundsatzabteilung.
Wichtiger ist, dass die Gegensätze selber nicht von der Art sind, dass sie verbittern und auseinander treiben könnten. Es handelt sich um Nuancen, die nie so stark werden, wie es etwa die Gegensätze der SPD-Flügel sind. Alle IG Metaller würden in der SPD ausschließlich den linken Flügel stark machen, auch und gerade der neue Vorsitzende Huber, der in seinem "Zukunftsreferat" für die IG Metall das allgemeinpolitische Mandat beanspruchte, globalisierungskritische Töne anschlug und sich für ein Bündnis mit sozialen Bewegungen aussprach. Wir stoßen zwar gerade hier auf eine dieser Nuancen. Denn bei aller Kritik am "radikalisierten Kapitalismus" betont Huber mehr als andere den Zwang, sich auf die Globalisierung einzulassen. Sie könne nicht zurückgedreht, sie müsse "gestaltet" werden. Aber was daraus im Detail folgt, ist nicht grundsätzlich zwischen den Lagern umstritten.
Öffnungsklauseln werden von allen mitgetragen: Wenn die IG Metall sich der Behauptung, ein Betrieb sei ökonomisch bedroht, nicht verschließen kann, stimmt sie Ausnahmen vom Tarifvertrag zu. Differenzen und wechselseitige Verdächtigungen können sich nur um die Frage drehen, ob ein Betriebsrat mit Gewerkschaftszustimmung zu lasch verhandelt habe. Über die Kriterien ist man einig. Huber führt aus, was seit dem Pforzheimer Abschluss 2004 als "Zusammenspiel von Tarifautonomie und Betriebsverfassung" gilt: dass die Gegenleistung der Arbeitgeber in "Beschäftigungssicherung, tragfähigen Zukunftskonzepten, Ausbildungsplätzen, Investitions- und Innovationszusagen" besteht. Das Konzept der "betrieblichen Bündnisse" ohne Mitreden der Gewerkschaft habe man vereitelt, die "Hoheit über Abweichungen vom Tarifvertrag" liege bei der IG Metall.
Das kann man nicht kritisieren, obwohl es ein Problem gibt. Viele Unternehmer behaupten, sie müssten die Produktion ins Ausland verlagern, wenn man sich nicht zum Beispiel auf mehr unbezahlte Überstunden einige. Es ist sicher auch hiervon eine Folge, dass die Arbeitszeit durchschnittlich 39 Wochenstunden beträgt, obwohl 35 vereinbart sind. Da hat man den Schulfall dessen, was "die Globalisierung gestalten" in der Praxis heißt. Wenn nun Huber in seinem "Zukunftsreferat" sagt, heute gehe es nicht darum, für weniger als 35 Stunden zu kämpfen, sondern darum, sie selbst durchzusetzen, dann werfen ihm manche vor, er verlasse den grundsätzlichen Emanzipationspfad der Arbeitszeitverkürzung. Solcher Polemik muss man nicht zustimmen. Denn der Realismus in Hubers Äußerung ist schwer zu bestreiten. Und doch steht sie zur Praxis der Öffnungsklauseln in Spannung: weil man sich fragt, wie die 39-Stunden-Woche denn eigentlich bekämpft werden soll. Die Kritiker sollten eher dies von Huber wissen wollen als abstrakt über Grundsätze reden, denen er nie öffentlich widersprechen würde.
Wenn es in der IG Metall hervorhebenswerte Unterschiede gibt, betreffen sie weniger die eigentlich gewerkschaftlichen Fragen als die Frage der Parteipräferenz. Dass es da Unterschiede gibt, ist aber keine Katastrophe, sondern macht die Definition der Einheitsgewerkschaft aus. Kein Zweifel, das Lager von Huber ist stärker auf die SPD fixiert als das Lager von Peters. Dieser sagt in seiner Abschiedsrede, er sehe keinen Grund, die neue Linkspartei unter Quarantäne zu stellen. Huber hingegen meint betonen zu müssen, dass es nicht darauf ankomme, wie oft eine Partei das Wort "Gerechtigkeit" herunterbete,. Offensichtlich hat er nicht die SPD im Visier. Aber ist das so wichtig? Auch der DGB-Vorsitzende Sommer ist bekennender Sozialdemokrat. Er spricht trotzdem mit Gysi und Lafontaine, registriert öffentlich deren gewerkschaftsnahe Forderungen und unterstützt dadurch umgekehrt die Linke, ob er will oder nicht.
Die besondere Nähe zur SPD ist im übrigen keine Privatsache dieses oder jenes Gewerkschaftsführers. Sie ist strukturell wichtig, da sie für die Verteidigung der gewerkschaftlichen Vetomacht eine notwendige Bedingung darstellt. Jeder hat nämlich gesehen: Selbst eine SPD unter Gerhard Schröders Führung, die sich dem Neoliberalismus anpasst, schreckt davor zurück, das Band zu den Gewerkschaften zu kappen. In der Großen Koalition setzt diese Vorsicht dem immer vorhandenen Opportunismus der Genossen eine Grenze. Nur wenn sie nicht wäre, könnten Gewerkschaften völlig entmachtet werden, wie es in Großbritannien unter Thatcher geschah.
Gewiss spielt vor allem das Wahlrecht eine Rolle: Hätten wir Mehrheits- statt Verhältniswahlrecht, wäre Schröder als klarer Sieger aus der letzten Wahl hervorgegangen. Er hätte das vornherein abgeschätzt und daher auf Gewerkschaften wenig Rücksicht genommen. Man soll also den gewerkschaftlichen Grenznutzen fürs Rückgrat der SPD nicht mystifizieren. Aber er zählt. Er ist wichtig, weil Grenzen der SPD zugleich Grenzen der anderen Parteien sind. Und es kommt noch hinzu, dass selbst die neue Linkspartei vorerst nur als Korrektiv der SPD auftritt, indem sie beansprucht, zu deren Quellen zurückzukehren. Von dieser Haltung ist auch Huber nicht allzu weit entfernt.
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