DER NEUE BERLINER SENAT IM BUNDESTAGSWAHLKAMPF Wegen Gregor Gysi und Harald Wolf wird der Kanzler noch lange nicht aus der "politischen Mitte" vertrieben
Die Beteiligung der PDS am Berliner Senat gehört zu den Ereignissen, die das Wahljahr 2002 bestimmen werden. Soll man sagen, sie komme überraschend? Seit 1990 wurde über das rot-rote Bündnis gesprochen, zuerst lange Zeit je nach politischem Standort anklagend (CDU), dementierend (SPD) oder warnend (Kommunistische Plattform). Seit einem halben Jahrzehnt beteuert die SPD, Koalitionen mit der PDS doch nur in Ostdeutschland eingehen zu wollen. Es ist schon ein qualitativer Sprung, wenn nun auch Westberlin insofern als Hälfte einer ostdeutschen Stadt behandelt wird - was es ja tatsächlich ist. Und weil Berlin die deutsche Hauptstadt ist, wirkt die Teilnahme der PDS an der Stadtregierung trotz aller Dementis wie ein Vorlauf zum Mitregieren im Bund.
Es ist schwer zu s
s ist schwer zu sagen, ob die SPD eine solche Konstellation geradezu angestrebt haben könnte. Dagegen spricht ihre Politik unmittelbar nach dem Berliner Wahlsieg. Schnell legte sie sich auf den Versuch fest, eine Ampelkoalition zustande zu bringen. Mit der PDS wolle man nicht zusammenarbeiten, hieß es, weil sie die Teilnahme der Bundesregierung am Anti-Terror-Krieg nicht billige. Wie zur Bestärkung dieser Behauptung wurde lanciert, der Kanzler sei gegen die Koalition, während Klaus Wowereit, der Berliner Regierende Bürgermeister, ihr weniger abgeneigt sei. Der habe sich aber Gerhard Schröders Druck gebeugt, zumal auch ihm einsichtig sei, dass die SPD im Bundestagswahlkampf nicht mehr als die Kraft "der Mitte" auftreten könne, wenn sie Gregor Gysi in Berlin, der Hauptstadt, zum Bürgermeister mache. Allerdings habe Wowereit dann mit hilflosem Ärger dem "ideologischen Streit" der Ampel-Partner in den Koalitionsverhandlungen "zugesehen" und sei zu dem Schluss gekommen, dass es so nicht gehe; daraufhin habe auch Schröder einem rot-roten Bündnis nichts mehr entgegensetzen können.Wer weiß. Immerhin hatte Franz Müntefering, der Generalsekretär der Bundes-SPD, diese Koalition schon vor Monaten als Schritt zur Konsolidierung der innerdeutschen Vereinigung gepriesen. Kann er das ohne Kenntnis und Zustimmung des Kanzlers getan haben? Dessen Widerwille mag ein Täuschungsmanöver sein. Kritiker seiner Anti-Terror-Politik erträgt er in der eigenen Partei und bei den Grünen, warum also nicht auch in der Berliner Stadtverwaltung. Die dortigen Ampelverhandlungen hatte vielleicht von vornherein nur den Sinn, die Unvermeidlichkeit des rot-roten Bündnisses zu erweisen. Am schwächsten in der obigen Erzählung wirkt Klaus Wowereits "hilfloses Zusehen" dem Treiben zweier kleiner Parteien gegenüber, deren Berliner Ableger doch nicht wirklich als bedrohliche, von den Genossen nicht steuerbare Schwergewichte verkauft werden können. Kurzum, die SPD ist schlau und man kann es nicht nachweisen. Aber der innerdeutschen Vereinigung wird durch das Hauptstadt-Gespann Wowereit-Gysi tatsächlich genützt.Auch das reibungslose Zustandekommen eines Koalitionsvertrags spricht eher für Absicht. Jedenfalls wird die PDS durch die in ihm beschlossene Politik noch mehr Punkte sammeln. Auf den ersten Blick meint man zwar, sie habe sich in eine Zwickmühle manövriert. Sie muss ja nun mitsparen. Proteste von sozialen Gruppen, die betroffen sind, werden sich auch gegen sie richten. Eine mittelschwere Konfrontation zwischen dem neuen Senat und der Gewerkschaft Verdi bahnt sich bereits an. Doch jeder, der das Sparkonzept angreift, wird nach seinen alternativen Vorschlägen gefragt werden. Und die PDS kann darauf verweisen, dass der Bildungsbereich verschont bleibt. Es soll sogar 20 neue Ganztagsschulen geben. Die Zwickmühle könnte sich geradezu in einen Vorteil verwandeln, wenn der derzeitige Franktionsvorsitzende der PDS im Abgeordnetenhaus, Harald Wolf, tatsächlich Finanzsenator werden sollte. Er gilt seit langem als guter Haushalter, und er würde eine ganz andere Rolle spielen als einst die Sozialdemokratin Fugmann-Heesing im Diepgen-Senat. Vergleichbar ist zwar, dass es ihm wie ihr darum gehen müsste, Regierungsfähigkeit auf einem schwierigen Terrain unter Beweis zu stellen. Aber Frau Fugmann-Heesings Problem war, dass sie wie eine gelehrige Schülerin der Finanzpolitiker der CDU auftrat und wahrgenommen wurde und in dieser Rolle als Speerspitze der gesammelten Modernität ihrer Partei. Das war schlicht peinlich gewesen. Harald Wolf würde nur zeigen, dass auch die PDS haushalten kann, während grundsätzlich nicht er, sondern Gregor Gysi die Hauptakzente zu setzen hätte.Dass die PDS nicht alles zu "lernen" bereit ist, nur um mitregieren zu können, war schon bei den Koalitionsverhandlungen zu sehen. Es gab echte "Paketlösungen". Zum Beispiel werden gegen die Absicht der PDS die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit der S-Bahn fusioniert, aber die SPD willigt ein, die Hochhaus-Pläne am Alexanderplatz zu überprüfen. Oder: Während die SPD auf eine Bewerbung Berlins für die Olympischen Spiele verzichtet, nimmt die PDS den Ausbau des Flughafens Schönefeld hin. Bei Koalitionsbildungen zwischen SPD und Grünen hatte man niemals den Eindruck, es sei auf gleicher Augenhöhe verhandelt worden. Hier hat man ihn. Das liegt nicht nur am hohen Stimmenanteil der PDS in Ostberlin, sondern auch an ihrem Politikstil. Von den Grünen hieß es immer nur, sie müssten Kröten schlucken. Hier ist es vorgekommen, dass eine Zeitung die SPD als krötenschluckend abbildete. Ihre Kröte war nicht dieser oder jener ungewollte Beschluss, sondern der Koalitionspartner selber.Für die PDS war das Mitregieren in der Hauptstadt so wichtig, dass sie notfalls wohl auch größere Zugeständnisse gemacht hätte. Doch es scheint, als ob die SPD ihr mehr Rücksichtnahme entgegenbringt als den Grünen. Das ist gar nicht erstaunlich, haben doch eigentlich beide Parteien einen "sozialdemokratischen" Charakter. Der Pfad des Demokratischen Sozialismus, den die PDS im Parteinamen führt, mag von der SPD längst verlassen sein, das ändert aber ja nichts daran, dass sie ihn einst gebahnt hat. Die Nähe der beiden Parteien wird durch die geplante Präambel des Berliner Koalitionsvertrags eher noch unterstrichen - paradoxerweise, weil die SPD wohl an die gegenteilige Wirkung glaubt. In der Präambel wird sich die PDS noch einmal ausdrücklich distanzieren vom Mauerbau, von der Zwangsvereinigung zur SED und von der Niederschlagung des Arbeiteraufstands 1953. Roland Claus, der Fraktionsvorsitzende der PDS im Bundestag, bezeichnet das als "Klarstellung vor allem an den Westteil der Stadt". Um eine "Unterwürfigkeitsadresse" handele es sich nicht. Die SPD mag es so betrachten, aber zeigt eine solche Präambel nicht vor allem, dass eine Koalition zwischen ihr und der PDS mehr ist als bloß eine Koalition - vielmehr ein "historisches" Bündnis, wie schon die SED es sein wollte, aber nicht wirklich war?Da das auch andere so sehen werden, stellt sich die Frage, ob die SPD nicht mit einer schweren Hypothek in den Bundestagswahlkampf zieht. Schon jetzt heißt es, die Wähler wendeten sich wegen der Berliner Koalition von der SPD ab. Da muss man aber genau hinsehen, es ist nicht überzeugend. Wahr ist, dass die Bundesregierung zur Zeit in Allensbach-Umfragen keine Mehrheit hat. Die Zurückführung dieser Augenblickslage auf die Berliner Konstellation ist nur das, was die Allensbach-Chefin Elisabeth Noelle-Neumann, eine überzeugte Christdemokratin, gern denken möchte. Natürlich gibt es auch "warnende Stimmen der Wirtschaft". Zum Beispiel sieht Hanns-Eberhard Schleyer, der Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, im Mitregieren der PDS "ein problematisches Signal". Doch wenn man auch hier genau hinsieht, sagt er im einzelnen, das Schlimme, das zu erwarten sei, hänge "weniger mit dem Koalitionsvertrag zusammen als mit der Politik, die der neue Senat tatsächlich betreiben wird" - will sagen, er findet nichts, was er kritisieren könnte.Die Union wird der SPD pausenlos vorhalten, sie plane eine Koalition mit der PDS auch im Bund. Doch zum einen wird das nicht viele überzeugen, weil die SPD nach aller Erfahrung im Bund nicht mit einer Partei regiert, die sich gegen die NATO stellt. Und zum andern hat die CDU es ihrerseits schwer, den Verdacht zu entkräften, sie plane im Bund die Wiederholung des Hamburger Spiels, eine Regierungsübernahme an der Seite der Schill-Partei. Da hat sie schlechte Karten, Gerhard Schröder aus der "politischen Mitte" zu vertreiben. Denn ein Gregor Gysi macht viel eher als ein Roland Schill den Eindruck, dieser Gegend zumindest benachbart zu sein. Die Prognose, die von der FDP zu hören ist, klingt weniger unplausibel: dass Gerhard Schröder das Experiment einer rot-grünen Minderheitsregierung wagen könnte, um sich außenpolitisch mehr auf die Parteien der früheren Kohl-Regierung, innenpolitisch mehr auf die PDS zu stützen. Eine kleine Revolution wäre das schon, aber eine machbare. Wir hätten dann wirklich die "andere Republik", vor der uns unsere Väter immer gewarnt haben. Ob Schröder das auf den Samtpfötchen seiner "Konsenspolitik" tatsächlich anstrebt? Es ist mindestens ein schöner Wunschtraum.
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