"Schau mir in die Augen, Kleines"

KINOMYTHOS UND KRIEG "Casablanca", Pearl Habor und das Anti-Nazi-Kino made in Hollywood

Kaum ein anderer Kinostreifen ist so sehr zur Legende geworden wie Casablanca, das Melodram um Liebe, Krieg und Heldentum. Mit Dialogsätzen, die Millionen von Fans in aller Welt nacherzählen können. Doch es war nicht allein die anrührend inszenierte Liebesgeschichte zwischen der schönen Antifaschistin Ilsa Lund und dem aufrechten Barbesitzer Rick Blaine, die dem Film zu seiner Popularität verhalf - bis heute, 57 Jahre nach seiner umjubelten Uraufführung im New Yorker Stadtteil Manhattan.

Denn nach seiner Pre miere am 26. November 1942 wurde der Film erst einmal auf Eis gelegt. Aus gutem Grund kam Casablanca erst zwei Monate später in die US-Kinos. Nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten auf Seiten der Alliierten im Dezember 1941 hatten Filme, die sich gegen das nationalsozialistische Deutschland richteten, in Hollywood Konjunktur. Daher verlegte "Warner Brothers", eine der großen Filmgesellschaften, den Kinostart zeitgleich auf den Abschluss der "Konferenz von Casablanca" am 26. Januar 1943, jener Konferenz, auf der sich Winston Churchill und US-Präsident Franklin D. Roosevelt darauf verständigten, dass der Krieg nur mit der "bedingungslosen Kapitulation" Deutschlands, Italiens und Japans zu Ende gehen könne. Die PR-Aktion gelang, Casablanca hatte beim Publikum einen Riesenerfolg und erhielt drei "Oscars", darunter für den besten Film des Jahres 1943. Doch Politik und Kultur waren noch auf andere Weise miteinander verkettet.

Rückblende: 7. Dezember 1941, 7 Uhr 55. In Pearl Harbor rufen die Kirchenglocken zum Gottesdienst, als plötzlich Kampfflugzeuge der kaiserlich-japanischen Marine ihre Bomben über der Hawaii-Insel Oahu abwerfen. Der Angriff auf den US-Flottenstützpunkt brachte die Wende in der amerikanischen Außenpolitik. Der Prozess der politischen Isolierung vom europäisch-asiatischen Kriegsgeschehen war damit endgültig beendet. In den dreißiger Jahren noch und selbst nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte sich der US-Kongress durch rigorose Neutralitätsgesetze für eine Politik des "Sich-Raushaltens" entschieden. Umfangreiche wirtschaftliche Verbindungen zum nationalsozialistischen Deutschland taten ihr übriges. Die Bevölkerung gab sich gerade dem Slogan "America first" hin. Dem Gallup-Institut zufolge anworteten im September 1939 auf die Frage, ob die USA sich militärisch gegen Deutschland wenden sollten, 84 Pro zent der Interviewten mit "Nein".

Anders dagegen Franklin D. Roosevelt, seit 1933 Präsident der USA. Sein Ziel war es, das Land aus den Fesseln der selbstverordneten Neutralität zu befreien und seine politischen Gegner vor allen im Außenministerium, die Befürworter eines "apeasement", eines Ausgleichs mit dem NS-Regime, in den Hintergrund zu drängen. Der Überfall der Japaner besaß daher eine überragende innen- und außenpolitische Bedeutung. Die USA befanden sich von nun ab im Kriegszustand mit Japan. Hitler jubelte und erklärte wenig später den Vereinigten Staaten den Krieg. Pearl Harbor zwang die USA zum Eintritt in den Zweiten Weltkrieg. Das war am 7. Dezember 1941. Und auf den 8. Dezember datierte der Eingangsstempel bei den "Warner Brothers" für das Casablanca-Drehbuch. Die Warners wussten sofort, was sie in Händen hielten: den Plot des Films, der die Vereinigten Staaten in den Krieg begleiten würde.

Und in den Dialogszenen die versteckte Zeitkritik an der bis dahin geltenden US-ameri kanischen Politik des "Sich-Heraushaltens". Etwa wenn der skrupel lose Besitzer des örtlichen Konkurrenzunternehmens Senor Ferrari gleich zu Anfang des Films mit Visa und Menschenleben spielt. Als Inhaber des "Blauen Papageien" würde er gern mit Bogart ins Ge schäft kommen, um ihm seinen Pianisten Sam "abzukaufen":

Ferrari: Was verlangen Sie für Sam?

Rick: Ich betreibe keinen Menschenhandel!

Ferrari: Schade, Menschen sind in Casablanca die beste Handelsware. An Flüchtlingen allein können wir beide ein Vermögen verdienen, wenn wir auf dem Schwarzen Markt zusammenarbeiten.

Rick: Wie wärs, wenn Sie Ihre Geschäfte machen und ich meine?

Ferrari: Wie wärs, wenn wir Sam einmal fragen? Vielleicht will er sich verändern?

Rick: Na gut, wie wärs?

Ferrari: Mein lieber Rick, wann wird Ihnen endlich klar, dass in der Welt von heute der Isolationismus keine zweckmäßige Politik mehr ist.

Aus der Love-Story war damit ein Propagandafilm geworden. Es darf keine politische Neutralität geben im Schatten des Krieges, das war die antipazifistische, anti-isolationistische Botschaft an das US-Kinopublikum. Die Liebesgeschichte hatte sich mit dem Kriegspatriotismus vermählt.

"In Amerika läuft Casablanca jede Woche im Fernsehen. Ich finde den Film noch immer ungemein temporeich. Es gibt nie Langeweile. Der Film hat wirklich alles: Heroismus, Romantik und viele phantastische Schauspieler in den kleinen Rollen." Nicht zu Unrecht hebt die Schauspielerin Ingrid Bergman die Besetzungsliste des Films hervor. Nicht nur Humprey Bogart, eine Reihe bekannter deutschsprachiger Schauspieler wirkte in Casablanca mit: Peter Lorre etwa, der Kindermörder aus Fritz Langs erstem Tonfilm M -eine Stadt sucht einen Mörder, Curt Bois als zwielichtiger Schwarzmarktganove Ugarte, Konrad Veidt, der Hauptdarsteller aus dem Stummfilmklassiker Das Cabinet des Dr. Caligari, mimt den deutschen Major Strasser und Paul Henreid den Widerstandskämpfer Victor Laszlo. Von den 20 wichtigsten Filmrollen wurden nur vier mit US-Amerikanern besetzt. Gleichwohl spiegelte sich im "casting" eine bittere Ironie der Geschichte wider. Die Emigranten aus Europa, die vor den Schergen des NS-Regimes geflohen waren, spielten in Hollywood die Flüchtlinge und SS-Männer aus Deutschland.

Es sind die geschliffenen Dialoge, die anspielungsreichen Pointen, für die der Kinostreifen berühmt geworden ist. Und doch ist Casablanca ein Film voller Klischees und Ungereimtheiten. Seine Aura hat das bis heute nicht beschädigen können. Zum Beispiel tragen die begehrten Transitvisa für die Ausreise nach Lissabon die Unterschrift "Charles de Gaulle", also ausge rechnet des Mannes, der die französische Widerstandsbewegung ge gen die mit dem NS-Regime kollaborierende Vichy-Regierung anführt. Und Victor Laszlo, der gerade aus einem Konzentrationslager fliehen konnte, läuft ständig in einem gut gebügeltem Tropenanzug der Pariser haute couture herum. Bei Beginn der Filmarbei ten fehlte sogar ein fertiges Drehbuch. Daher musste der Regisseur und Unterhaltungsroutinier Michael Curtiz fortwährend improvisieren.

Der Kriegseintritt der USA brachte für Hollywood Riesengewinne. Während die Vereinigten Staaten Krieg gegen Japan und das NS-Regime führten, eröffnete auch die Traumfabrik in Hollywood eine zweite, eigene Front. Auf der Leinwand erlebten die US-Amerikaner die Kämpfe im fernen Europa mit, in Wochenschauen, in Dokumentar- und Spielfilmen. Casablanca war aber nur einer von insgesamt 180 soge nannter Anti-Nazi-Filme, die zwischen 1939 und 1945 produziert wurden, wenngleich der erfolgreichste und wohl bekannteste.

Über die politischen Ziele des Nationalsozialismus geben diese Filme indes nur ein unvollständiges Bild. Der europäische Holocaust tauchte im Anti-Nazi-Kino von Hollywood fast überhaupt nicht auf. Die Todeslager der SS waren kein Thema, von dem man sich einen fi nanziellen Erfolg versprach. Auch in den USA der vierziger Jahre gehörte der Antisemitismus zur Normalität. Vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte Hollywood keinen einzigen Film drehen lassen, der sich direkt oder auch nur indirekt mit dem Nationalsozialismus beschäftigte. Schließlich hielten bis Kriegsbeginn alle großen Produktionsgesellschaften ihre geschäftlichen Verbindungen zum NS-Regime aufrecht. "Metro-Goldwyn-Mayer" beauftragte sogar einen Angestellten damit, jüdische Namen aus den Titelvorspännen ihrer Exportfilme zu entfernen. Hollywood fürchtete den Verlust des europäischen Filmmarktes. Erst der japanische Angriff auf Pearl Harbor läutete das Ende des Isolationismus in der US-Außenpolitik ein und zwang die mächtige Film industrie zum Umdenken.

1952 gelangte Casablanca erstmals in die deutschen Kinos, allerdings von 102 auf 82 Minuten gekürzt und durch die Synchronisation bis zur Unkenntlichkeit verfälscht. Alle Hinweise auf den Nationalsozialismus und das mit ihm kollaborie rende französische Regime von Vichy wurden getilgt. Und die Figur des Widerstandskämpfers Laszlo hatte man flugs in den norwegi schen Atomphysiker Larsen verwandelt. Der Kalte Krieg während der Ära Adenauer hatte sich auf seine Weise der NS-Vergangenheit ideologisch bemächtigt. Doch es war der US-Verleih selbst, der Casablanca dieser Mutation unterworfen hatte. Schließlich sollte der Film auch in Nachkriegs-Deutschland Kasse machen.

Für Sie oder Ihren Hasen

6 Monate den Freitag mit Oster-Rabatt schenken und Wunschprämie aussuchen

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden