Abenteurer wollte er werden

Teamarbeiter Fred Zinnemann, der Regisseur von "Verdammt in alle Ewigkeit" und "12 Uhr Mittags" wäre am 29. April 100 Jahre alt geworden

Die ersten zehn Minuten von Julia (1976), eine Montage von Bildern und Tönen durch Raum und Zeit, gehören mit zum Persönlichsten, das Fred Zinnemann je gedreht hat. Auf geheimnisvolle Weise korrespondieren Schauplätze des Films und der Biografie der Titelheldin mit wesentlichen Stationen im Leben des Filmemachers. Beginnend in den USA (wo Zinnemann einst Karriere als Regisseur machte) beschreibt der Film eine Reise zurück nach London (wo er zum Zeitpunkt der Dreharbeiten lebte), nach Wien (wo er am 29. April 1907 zur Welt kam), nach Paris (wo er an der Ecole Technique de Photographie et Cinématographie das Handwerk eines Kameramanns erlernte), nach Berlin (wo er bei einem Stummfilm mit Marlene Dietrich erste Erfahrungen sammelte) und schließlich in die Sowjetunion (wohin er seinen Mentor, Robert Flaherty, anno 1931 hätte begleiten mögen, um einen ethnografischen Film über einen Nomadenstamm zu realisieren).

Eigentlich wollte der Spross einer gutbürgerlichen, jüdischen Familie aus dem 3. Wiener Gemeindebezirk ja Abenteurer werden, ein Entdeckungsreisender des Kinos, der Expeditionen in entlegene Winkel der Welt mit der Kamera begleitet. Nur einige Straßen entfernt vom Franz-Josef-Gymnasium auf der Stubenbastei, an dem er 1925 die Matura ablegte, liegen das als "Revolver-Kino" verschriene Kreuz, das Gartenbau und das Burg-Kino. Dort bewunderte er Stroheims Greed, den Panzerkreuzer Potemkin und Die Passion der Jeanne d´Arc. Noch stärkeren Eindruck freilich machten ihm die Western, in denen Tom Mix durch die Wüste von Arizona galoppiert, oder Dokumentarfilme wie Turksib von Viktor Turin, der den Bau der Eisenbahnlinie von Turkmenien nach Sibirien zeigt. Zwei seiner Schulkameraden teilten diese Leidenschaft: Gunther von Fritsch, der sein Glück später gleichfalls in Hollywood versuchte, und Herbert Rappaport, der einer der bedeutendsten Regisseure des deutschsprachigen Exils in der Sowjetunion wurde.

Einer der ersten Filme, an denen Zinnemann mitgearbeitet hat, ist Menschen am Sonntag, 1929 in Berlin gedreht. Er machte Furore, begründet die Karrieren von Billy Wilder, Edgar G. Ulmer, der Gebrüder Curt und Robert Siodmak. Alle, mit Ausnahme von Zinnemann, rühmten sich in späteren Jahren damit, den Film praktisch im Alleingang gemacht zu haben. "Ich hab´ zwei Tage das Stativ getragen", sagte er, "das war eine schöne Arbeit."

Von solchem Understatement, einer speziell unter Filmemachern äußerst seltenen Qualität, zehrte sein gesamtes Schaffen. Selbst über sein berühmtestes Werk, High Noon mit Gary Cooper, dessen unerwarteter Erfolg ihn 1952 in die erste Reihe der Hollywoodregisseure katapultiert hat, sprach er stets nur als "Teamwork".

Redes, sein 1933/34 in Mexiko entstandenes Regiedebüt, ist beseelt von Ideen des sowjetischen Revolutionsfilms und der Kameraarbeit des Fotografen Paul Strand: ein Film über die Fischer von Alvarado, ein Dorf an der Küste des Golf von Mexiko, über ihr Leben und wie sie sich zum Streik gegen die Fischhändler formieren. "Er ist kein Spielfilm, er ist ein Documentaire im besten Sinne", schreibt die Pariser Tageszeitung als der Film drei Jahre später in Frankreich ins Kino kommt. "Die Fischer spielen mit, glänzende Gestalten, prachtvolle Charakterköpfe. Das Meer spielt mit, die Landschaft, und vor allem die Sonne. Das Wasser wird auf der Leinwand wieder flüssig, das perlt und schäumt und zieht Kreise."

Zu diesem Zeitpunkt, im Oktober 1937, begann Zinnemann seine Lehrjahre in der Kurzfilmabteilung von MGM. Zu seinen Kollegen gehörten Jules Dassin, George Sidney, Jacques Tourneur, Gunther von Fritsch. Er drehte 18 Kurzfilme. Der dritte, That Mothers Might Live (über Ignaz Semmelweis, den "Retter der Mütter"), erhielt den Oscar - eine hübsche kleine Pointe, wenn man weiß, dass der Vater des Regisseurs, Oskar Zinnemann, Arzt war in Wien. 1942 empfahl er sich mit dem smarten B-Picture Kid Glove Killer - und einem Sieben-Jahres-Vertrag in der Tasche - als Spielfilmregisseur.

Ein typischer Hollywoodhandwerker ist Zinnemann, allen Behauptungen seiner Kritiker zum Trotz, dennoch nie geworden. Nur einen Bruchteil der knapp sechs Jahrzehnte, die seine Karriere umfasst, hat er in Hollywood zugebracht. Auf die in den Studios gepflogene Fließbandproduktion von Filmen reagierte der sanfte Humanist schon bald mit Arbeitsverweigerung. Routine war seine Sache nicht, wovon schon die beeindruckende Liste der Schauspieler und Schauspielerinnen zeugt, die Zinnemann für das Kino entdeckt oder als Erster groß herausgebracht hat: Montgomery Clift, Marlon Brando, Grace Kelly, John Ericson, Pier Angeli, Rod Steiger, Julie Harris, John Hurt, Meryl Streep, Lambert Wilson.

Gibt es in seinem Oeuvre so etwas wie eine Kontinuität, so ist es Zinnemanns leidenschaftliches Interesse an der Realität. Die Kamera ist Mittel zum Zweck, sich Welt anzueignen. In seiner "Nachkriegstrilogie" aus The Search, The Men und Teresa, die method acting und Neorealismus auszusöhnen suchte, wird das am Deutlichsten. Weg von Hollywood, lautete die Devise, nix wie raus aus den Studios! Zinnemann plante einen Film über Israel (Arbeitstitel Sabra), drehte im zerbombten München, in Italien, auf Hawaii, in Arizona, in New York, später im Kongo und in Australien. Etliche der Bilder, die er auf diesen Reisen fand, sind geblieben: Deborah Kerr und Burt Lancaster beim Infight am Strand (From Here to Eternity), Audrey Hepburn in Nonnentracht (The Nun´s Story), Robert Mitchum beim Schafescheren (The Sundowners), Robert Shaw als Henry VIII., bis zu den Knien im Morast watend (A Man for All Seasons), oder zuletzt Jason Robards als sterbender Kriminalautor Dashiell Hammett (Julia).

Ein dokumentarisches Moment durchzieht sein Werk. Selbst in den späteren Großfilmen, in denen man das kaum vermutet, lassen sich noch Spuren davon ausmachen. "Fred Zinnemann hatte eine interessante Regiemethode, eine einzigartige Kombination des Vorausgeplanten und des Improvisierten", äußerte Walter Murch, der Editor von Julia, in einem Gespräch mit Michael Ondaatje. "Er mochte es, wenn Schauspieler an die Möbel stießen, wenn sie mit den Kulissen noch nicht vertraut waren und nicht wussten, wohin sie gehen sollten. Er liebte diese Art von Zufälle. Er sagte: ›Im Leben passieren die Dinge immer zum ersten, nicht zum siebten Mal.‹"

Wien, der Stadt seiner Geburt, war Zinnemann in Hassliebe verbunden. 1931, auf dem Weg von Berlin nach Hollywood, sah er seine Eltern zum letzten Mal; Anna und Oskar Zinnemann wurden Anfang der vierziger Jahre deportiert und ermordet. Wegzugehen sei ihm nicht allzu schwer gefallen, wegzubleiben nach dem Krieg schon gar nicht. "Es gab dieses starke Gefühl, nicht dazuzugehören, was einem überall mit typischem Wiener Charme deutlich gemacht wurde: Mir hamm´ ja nix gegen die Herrn Israeliten, wir möchten nur gern, dass sie woanders hingehn." Erst in den sechziger Jahren kam er kurz auf Besuch zurück.


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