Unglaublich, aber wahr: Mir wurde Audienz gewährt. Nicht irgendein Stein-/Herrenpilz, nein, »The King of the Woods« ließ sich höchstpersönlich herab. Das mit dem Buch über die Pilze sei ihm zugetragen worden, und da könne ja etwas Öffentlichkeitsarbeit vorab keineswegs schaden.
Ich werfe mich also in den Waldstaat. Brille nicht vergessen! Wegen der schnipsenden Zweige. Auf dem Weg Richtung Waldmühle sollte ich mich hinter der Abzweigung nach reichlich hundert Metern links halten und das Rad zwischen der gemischten Buchen-/Eichenschonung und dem schätzungsweise 15-jährigen Fichtenschlag verbergen. Der Rest würde sich dann von allein finden.
Aha. Eine gewisse Skepsis kann ich nicht verhehlen. Egal.
Automatisch führen mich die
sch führen mich die Füße hangabwärts, in die Fichten hinein. Entengang? Sieht ja keiner. Keiner? Doch! Eine müßige Schule Fliegenpilze lächelt verschmitzt und deutet nickend mit den Hüten in die richtige Richtung. Es scheint fast, als wollten ihre Kleinen mir Geleit geben. Schon lassen sich die ersten Perlpilze sehen, ein paar Pfefferröhrlinge hetzen geschäftig hin und her. Kann aber auch eine optische Täuschung sein. Die Zweige der Fichten sind fest und sperrig, dass der Entengang langsam beschwerlich wird. Der Waldboden ist mit Nadeln bestreut. Nur gelegentlich schimmert ein Steinsbrocken weiß oder marmoriert. Die Erregung steigt. Hier muss es wahrscheinlich gleich sein.Unter den immer niedriger werdenden Bäumen haben sich diverse Steinpilze versammelt, knäblich wie Fingerhüte, auch salzstreuer- bis cognacschwenkergroß. Knackig fest, dass sich die Hasen ihre Zähne daran schärfen könnten. Ein unmerkliches Spalier bilden sie. Man kann nur noch kriechen. Und jetzt sehe ich ihn ja auch schon: le Jardin du Roi - der Garten des Königs. Eine Miniaturlichtung, wo zwei Fichten vorzeitig den Kampf gegen ihren Selbsterhaltungstrieb gewonnen hatten. Vier mal vier Meter dürften das sein. Der Nadelteppich wird von weichen Moospolstern abgelöst. Grashalme zittern nervös im erstbesten Lufthauch, der hierher findet. Die Sonne hat ihren neuesten Farbkasten ausgepackt und hantiert verschwenderisch auf diesem Areal. Wo ein alter Stumpf des vormaligen Hochwaldes gemächlich zerbröselt, auf dem Wurzelstockpodest ist der Thron als Bühne hergerichtet. Da! Wow! Die Sommersonne richtet ihre Scheinwerfer auf IHN und lässt seine Majestät im golden strahlenden Ornat erscheinen. Flankiert von vier furchteinflößenden Fliegenpilzwächtern. Unzählige als Pfefferröhrlinge kostümierte Lakaien tun wichtig.Er ist es wirklich. Dreißig, Quatsch! vierzig Zentimeter hoch. Der Stiel vielleicht zehn Zentimeter dick und mit einer Farbe beglückt, die dem schönsten Mandelnougat auch gut zu Gesicht stünde. Darüber trägt er eine weiße grobmaschige und doch elegante Netzstrumpfhose. Der kolossale Hut so groß wie eine gute Bio-Eisenpfanne. Seine Oberfläche glänzt jetzt wie frisches Mischbrot. Als Schmuck hat er sich himbeerförmige Einstülpungen von Designerschnecken hineinfressen lassen. Die Röhren für sein reifes Alter immer noch erstaunlich weiß und fest wie feinster Zigarettenfilter, feinporig wie bester Pilsnerschaum. Alles an ihm strotzt vor Kraft und Willen.Eine kaum merkliche Geste: Ich möge sprechen. Beinahe hätte ich mein Anliegen über der Betrachtung vergessen. Hastig verlese ich die vorbereitete Huldigung. Selbst mein Kind wüsste, dass der frische Steinpilz gebraten, gekocht oder gedünstet eine erdballumtönende Mediokrität sei. Roh als Salat - darüber könne man reden. Er würde bei uns Menschen zwar als der schmackhafteste unter den europäischen Ständerpilzen verehrt, doch teile er nach Ansicht weniger Eingeweihter seine göttlichen Gaben nur in einem Aggregatzustand mit, dem konservierende Trocknung vorausgegangen sei. In Milch oder Sherry reaktiviert, als atombunkersichere Basis einer Sauce, einer Suppe oder als Füllung eingesetzt, verhülfe er uns Bedürftigen auf die luftigen Höhen seherischer Erhabenheit. Wir wüssten manchmal kaum, was wir sonst noch zum Glück brauchten. Punkt.Gespannte Ruhe. Offensichtlich macht das Eindruck. Hoffentlich den Richtigen.Ein Knistern geht durchs Unterholz. Sonst ist alles still. Die Sonne zieht sich kurz eine backige Wolke über die Ohren. Verstehe: Audienz beendet. Bei Menschenkönigen oder beim Christenpapst darf man ja zum Abschied den obligatorischen Siegelring oder so was küssen. Fehlt hier. Verlegen schaue ich mich um. Niemals jedoch hätte ich diese vollendete Dignität durch meine profane Berührung, in welcher Art auch immer, entweiht. Vorsichtig krieche ich rückwärts ins Dickicht.Geziemendes Verhalten wird generös belohnt. Am Steinpilzspalier, den kleinen bis mittelgroßen, scheint mir ein leicht verzettelt wirkender Maronenminister einzuflüstern, solle ich mich nach Herzenslust bedienen. Allerhöchster königlicher Erlass. Und streng geheim! Außerdem: Die warteten doch nur darauf, gepflückt zu werden. Nein, der Einwand ehrte mich, aber Sorgen um den Bestandsschutz brauchte ich mir keine zu machen. Morgen seien wieder ausreichend Neue da. Soviel mein Herz begehrte.Zwei Gallenröhrlinge werden, an mir vorbei, abgeführt. Sie hätten sich wiederholt als Steinpilze ausgegeben. Darauf steht hier lebenslängliche Verbannung in einen Kiefernhochwald mit Autobahnanschluss. Strenge Sitten, aber notwendig, zuckt der Minister mit den Achseln. Ganz im Vertrauen: noch lästiger seien diese flockenstieligen Hexenröhrlinge, die Tag für Tag hartnäckig beantragen, vom Blauwerden ihres Fleisches wenigstens teilweise befreit zu werden. Die Absicht, die dahinter steht, ist doch klar.Aber was anderes: Am neugierigsten hätte ja alle die Erwähnung meines Kindes gemacht. Ein Mädchen? Solle ich unbedingt mitbringen. Den kleinen Erntefinger könne man gar nicht erwarten.Mir ist, als ob da jemand sogar gekichert hätte.