Die üblichen Kampfhandlungen

TSCHECHIEN Seit 1990 durchkämmen reguläre deutsche Kampfverbände ohne offizielle Kriegserklärung lustbetont die Grenzregionen der kleinen slawischen ...

Seit 1990 durchkämmen reguläre deutsche Kampfverbände ohne offizielle Kriegserklärung lustbetont die Grenzregionen der kleinen slawischen Nachbarrepublik mit dem eindeutigen Primärziel, den niederen slawischen Lebensformen humanitär zur Seite zu stehen, sie auf eine dauerhafte Nato-Vollmitgliedschaft vorzubereiten, ganz ohne vorherige Luftschläge.

Von startrek-formatigen Basiscamps in Schönberg, Selb oder Reitzenhain machen privat motorisierte Kämpfer jeden Morgen mobil und verminen die Korridore zunächst mit Wohlstandsmüll und Verdauungsendprodukten. Ganze Busladungen rüstiger und mit Kleingeld aufgerüsteter Reservisten, sogenannte Vorruheständler, werden für friedensstiftende Kampfeinsätze vor den allgegenwärtigen Vietnamesenmärkten abgekippt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Armee der Tschechischen Republik, die sich standhaft weigert, die D-Mark als Hauptwährung einzuführen, ist fast aufgerieben, von nennenswerter Gegenwehr kann keine Rede mehr sein. Unsere Truppen fühlen sich bereits so sicher, dass sie sogar Kind und Kegel zum Marodieren mitnehmen.

Die alte Kaiserstadt Cheb bietet nach anfänglichen und in diesem Zusammenhang sicher kaum vermeidbaren Gräueln unter der Zivilbevölkerung endlich ein vertrautes Bild: Schon am Ortseingang Co op und Aral. Im historischen Ortskern stapeln sich Plus, Kaufland, Spar und Penny. Absatzmärkte für deutsche Produkte zu Spottpreisen für deutsche Kunden. Schilder auf Tschechisch prangen an den Türen: Ich muss draußen bleiben.

Die Truppenbetreuung erfolgt in hospoda oder restaurace genannten Kantinen: Schweinsbraten mit böhmischen Knödeln und eine Flasche Pilsner Urquell, fürs Offizierscorps gibt es auch ein Wahlessen, zum Beispiel Gulasch. Alles für den Bruchteil einer Mark. Die Stimmung in der Truppe ist famos. Und mit wichtiger Miene demonstrieren unsere tapferen Jungs ihren Frauen, Kindern und Großeltern militärische Lebensart, präferieren Klangerzeugung mit dem Schließmuskel, duzen die verstörten Kellnerinnen oder fassen sie an Stellen.

Nach den üblichen Kampfhandlungen und dem systematischen Leerkaufen aller Supermärkte, also gegen Abend, formieren sich die Truppenkontingente an den Grenztankstellen in Schützenkette, um bruttoregistertonnenweise billiges Böhmenbenzin zu bunkern. Ganz nebenbei werden noch Tausende versklavte "Zigeunerinnen" heimgesucht. Die Oberste Heeresleitung hat mit den Betreiberfirmen der örtlichen Damenhäuser moderate Flächentarife ausgehandelt: "Mit Hand 20, mit Mund 30, voll 50 Mark." Für Offiziere und Mannschaften.

Wir Journalisten sind da gar nicht gern gesehen. Dutzende meterhoher Gartenzwerge, palettenweise Becherovka-Fässer, kilometerlange Zigarettenstangen und Monatsproduktionen an Adidas- und Nike-Imitaten schleppen wir zur Tarnung mit uns herum und ziehen verkrustete Joggingkampfanzüge, Antik lederblousons und schlecht verheilte Kaltwellenhauben über. Tun wir es nicht, werden wir erbarmungslos aus der Schlange gewunken, mit jahrhundertealten (teils selbst gemalten) Fahndungslisten konfrontiert, mit fränkischen und sächsischen Gassenwörtern schlimm misshandelt oder einfach nur auf der Flucht erschossen.

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