Nie mehr blühende Landschaften

KEHRSEITE Wie oft fahren wir gemütlich Bahn und betrachten die vorbeihuschende Kulturlandschaft mit wohlwollendem Verständnis, mindestens jedoch in einem ...

Wie oft fahren wir gemütlich Bahn und betrachten die vorbeihuschende Kulturlandschaft mit wohlwollendem Verständnis, mindestens jedoch in einem milden Licht der Klar- und Reinheit. Und finden Balance. Um so größer die Bestürzung, die von unserem in dieser Jahreszeit eh schon schwächelnden Gemütern Besitz ergreift, wenn wir die Totalität des Unheils präsentiert bekommen, das gewaltbereite Barbaren über die wehrlose Landschaft gebreitet haben. Millionen ungeklärte Sinnfragen okkupieren die letzten freien Hirnkapazitäten. Man möchte am liebsten wegsehen, doch die keineswegs abflauende Erschütterung und verkümmernde Reste von Verantwortungsgefühl halten unsere Augen offen. Knallrote und später kohlrabenschwarze Ränder sind es, mit denen sie sich schmücken. Schwer nur sind die Tränen zu halten.

Was war geschehen? Um der Arbeitslosenstatistik vor den Wahlen noch einen entscheidenden Kick zu verpassen, hatte der weiland Arbeitsminister Blüm den Deckel von der ABM-Hölle gerissen. Ganze Armeen von ABM-Kräften, vor allem im Osten, wurden übers Land gestreut. Um eine erhöhte Binnennachfrage anzutäuschen, hängte man jedem eine von frisch gedrucktem Steuergeld gekaufte Kettensäge, ein paar Spitzhacken, Harken und Laubsauger um und ließ sie über bisher ansehnliche oder bisweilen gar liebliche Landstriche hereinbrechen. Zeugen übertreffen sich seither in plastischen Schilderungen der Verheerungen, internationale Beobachter ziehen Windhosen und die Einfälle der Hunnen oder kinderreicher Familien zum Vergleich heran.

In meterdicke Asbestjacken gehüllte Mitvierziger bis Mittfünfziger sägen ab, was abzusägen geht, schreddern, was zu schreddern geht. Bahndämmen rupfen sie das schützende Buschkleid roh vom Leib, Parks werden "ausgeästet" (kein Menschen- und Naturfreund erahnt auch nur, was sich hinter diesem Euphemismus verbergen kann), Straßenbegleitgrün wird unter aufmunternden Zurufen geschändet, der letzte zage Halm zerlatscht von bunten Gummistiefeln. Diabolisches Gelächter hallt wider aus den noch dampfenden Kahlschlägen. "Wir sind zu was nütze. Wir sind wieder wer!" blökt das ABM-Volk wie rasend in den herbstlichen Wind. Während Mutter Natur verzweifelt darüber sinniert, wie viel Erdzeitalter sie brauchen wird, um die gröbsten Schäden zu beheben. Zersägte und zerschredderte Landschaften, die niemals wieder blühen werden.

Wenn's draußen schifft, verkriechen sich die meisten in die überall herumlungernden Bauwagen, rauchen wie die Stadtsoldaten, stopfen Kuchen und Eisbein in sich hinein, knacken mit leeren Bierdosen, weiden die Abfalleimer nach halbverfaulten Bratwürsten ab und liegen auch sonst toxologisch voll daneben. Äußerlich erschreckend maskulin veranlagte Damen thematisieren öffentlich ihre Klimakteriumsbeschwerden oder machen uns mit unsittlichen Angeboten die Entscheidung für diverse Kapitalverbrechen leicht. Die stets alkoholisierten Männchen assoziieren frei über den Weltuntergang, den sie sogleich mit ihren Gerätschaften auf die Sprünge zu helfen gewillt seien. Und niemand schreitet ein.

Verstehen Sie uns nicht falsch. Der ABM-Gedanke ist ein unmittelbar schlechter nicht. Doch Arbeit ist ein zweckmäßiger und bewusster Stoffwechselprozess mit der Natur, können Sie überall nachlesen.

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