Sorge dich nicht, schlucke

Cognitive Enhancement Smarte Pillen, die die geistige Leistungsfähigkeit erhöhen sollen, sind im Vormarsch und lassen die Grenzen zwischen Medikament und Droge verschwimmen

"Und Sie sind ganz, ganz sicher, dass es mir helfen wird?" Enid Lambert ist noch ein wenig verunsichert. Doch Dr. Hibbard zerstreut jeglichen Zweifel: "Ich garantiere es." Der smarte Arzt hält sich nicht lange mit Fragen auf, wenn Passagiere wie Enid Lambert zu ihm kommen. Für die Luxuskreuzfahrt haben die meisten Passagiere lange gespart. Sie sollen die Zeit auf dem Schiff mit dem Medikament ASLAN-Kreuzfahrt unbeschwert genießen können. Und solange die Pillen reichen, ist Enid Lambert begeistert von ASLAN. Erst später wird uns in Jonathan Franzens Roman Die Korrekturen erzählt, dass ASLAN nichts weiter als eine bekannte Clubdroge ist. Franzens Korrekturen handelt von den Korrekturen, die wir in unserem Leben vornehmen wollen. Und Franzen beschreibt auch, dass neuartige, auf das zentrale Nervensystem wirkende Medikamente wie das fiktive ASLAN in Zukunft dabei eine bedeutende Rolle spielen könnten.

Die renommierte medizinische Fachzeitschrift Lancet hat kürzlich auf eine bedenkliche Entwicklung des Cognitive Enhancements, also der Verbesserung der geistigen Leistungsfähigkeit, aufmerksam gemacht. Da viele der Medikamente, die der Gedächtnisleistung von Patienten mit Demenz auf die Sprünge helfen, auch Gesunden zu verbessertem Erinnerungsvermögen verhelfen, kam es zu einem wahren Boom beziehungsweise erhöhtem Missbrauch dieser Psychopharmaka.

Ritalin für den Zappelphilipp

Insbesondere in den USA ist die Nachfrage nach solchen Medikamenten, die die Hirntätigkeit korrigieren, sprunghaft gestiegen. Methylphenidat zum Beispiel, besser bekannt unter dem Namen Ritalin, wird schon lange nicht mehr nur von Kindern mit Aufmerksamkeits-Defizitsyndrom eingenommen, wofür es eigentlich gedacht ist. Es wird geschätzt, dass in einigen US-amerikanischen Schulen bis zu einem Drittel der Schüler Ritalin schlucken. Und auch bei den US-amerikanischen Studenten ist Ritalin als "Brain Booster" weit verbreitet.

Entscheidende Anstöße zur Entwicklung dieser Medikamente stammen aus Studien zur Alzheimerkrankheit, die unter den Demenzen wohl am besten erforscht ist, auch wenn viele Fragen ungeklärt sind. Die Krankheit, die 1907 von Alois Alzheimer erstmals beschrieben und nach ihm benannt wurde, äußert sich in einer langsam fortschreitenden Zerstörung des Gedächtnisses und der Identität. Physiologisch lassen sich im Gehirn dieser Patienten so genannte Amyloidplaques (Klumpen degenerierender Nervenzellen) nachweisen. Auch ist bekannt, dass Alzheimer-Patienten unter einem Mangel an Acetylcholin leiden, einem wichtigen Botenstoff im Gehirn.

Viele der gegen Alzheimer entwickelten Wirkstoffe versuchen nun nicht, die Krankheit direkt zu bekämpfen - einfach deshalb, weil man zu wenig über sie weiß. Erfolgreicher ist man in der Entwicklung von Wirkstoffen, die allgemein die Gedächtnisleistungen steigern, um so die Folgen der Hirnschädigung zumindest für einen gewissen Zeitraum auszugleichen. Es werden dabei unter anderem Stoffe verwendet, die jene Enzyme hemmen, die für den Abbau des Acetylcholins verantwortlich sind. Ziel ist es dabei, die Funktion der verbleibenden Nervenbahnen zu verbessern. Ein solcher Wirkstoff ist zum Beispiel Donepezil, das unter dem Namen Aricept vertrieben wird.

Grundsätzlich können derartige Substanzen auch die Leistung der entsprechenden Nervenbahnen bei Gesunden erhöhen. Und tatsächlich konnte Jerome Yesavage von der Stanford Universität in Kalifornien nachweisen, dass auch das Gedächtnis von Gesunden durch Aricept profitiert. Yesavage ließ Piloten ein Trainingsprogramm am Flugsimulator durchführen. Piloten, denen vorher das Mittel Aricept verabreicht wurde, waren deutlich besser. Noch hat Aricept unangenehme Nebenwirkungen, die vom Durchfall bis zur Übelkeit reichen, was die Verwendung dieses Stoffes als neue Lifestyle-Droge bisher verhinderte. Doch nach Yesavage ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir die Möglichkeit haben, unsere Erinnerungsfähigkeit medikamentös zu verbessern.

Glücksbote Serotonin

Doch nicht nur unser Gedächtnis lässt sich manipulieren. Bei Depressionen wird oft ein Mangel am Botenstoff Serotonin festgestellt. Sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, wie das in den USA weit verbreitete Antidepressivum Prozak, führen zu einer Erhöhung des Serotoninspiegels. Neuere Studien zeigen nun, dass diese Stoffe auch Gesunden zu mehr Selbstbewusstsein und kooperativerem Verhalten verhelfen. Die genaue Wirkungsweise ist dabei, wie bei vielen Psychopharmaka, noch unbekannt. Man verwendet sie, weil man um die Wirkung weiß. Mehr Serotonin im Gehirn führt offenbar zu Glücksgefühlen. Auch der Ecstasy-Wirkstoff MDMA erhöht den Serotoninspiegel - und eben auch Ritalin. In den USA mussten sich bereits zahlreiche Erwachsene einer Entziehungstherapie unterziehen, nachdem sie das Ritalin ihrer Kinder geschluckt hatten. Die Grenzen zwischen Medikamenten und Drogen scheinen zu verschwimmen.

Doch die Entwicklung solcher "Smart Pills" beginnt gerade erst. Und die Firmen versprechen sich enorme Gewinne, da der Markt hierfür kaum abzusehen ist. Pharma-Firmen wie Cortex Pharmaceuticals in Kalifornien arbeiten unter Hochdruck an neuen Wirkstoffen wie den Ampakinen, die den wichtigen Botenstoff Glutamat verstärken. "Es ist wie bei einem Verstärker einer Stereoanlage, sie können quasi die Lautstärke ihrer Gehirnaktivität durch diese Stoffe erhöhen", so Roger Stoll, Chef von Cortex Pharmaceuticals. Und Eric Kandel, Nobelpreisträger und Gründer von Memory Pharmaceuticals, glaubt, dass innerhalb von fünf Jahren sichere Medikamente gegen normale Altersvergesslichkeit entwickelt würden.

Falls das zutrifft, werden die Cognitive Enhancers viele Fragen aufwerfen. Denn wenn dadurch das "normale" Leistungsniveau angehoben werden kann, was passiert dann mit denen, die sich die neuen Pillen nicht leisten können? Werden Arbeitgeber in Zukunft erwarten können, dass man zu leistungsfördernden Medikamenten greift, wenn man im Berufsleben der Arbeit nicht gewachsen ist? Die gesteigerten Möglichkeiten der Selbstkontrolle führen womöglich auch zu einer neuen Dimension Foucoultscher Selbstdisziplinierung - so wie auch mit dem umstrittenen Ritalin unruhige und zappelige Kinder diszipliniert werden.

Jeffrey Schwartz, US-amerikanischer Autor mehrerer Ratgeberbücher, hat da offenbar wenig Bedenken: "Machen Sie sich keine Sorgen, das sind nicht Sie, es ist nur Ihr Gehirn. Sie leiden nur unter ein paar biochemischen Ungleichgewichten, die Sie aber beeinflussen können." Dabei werden gerade die Neurowissenschaften nicht müde, uns zu überzeugen, dass wir doch nichts anderes sind als eben diese biochemischen Prozesse im Gehirn, mehr sei da nicht. Und wenn wir unser Selbst korrigieren können und sollen, geraten wir da nicht in einen Widerspruch, da das Selbst hier Objekt und Subjekt gleichzeitig ist?

Vielleicht werden die Cognitive Enhancers einmal einen ähnlichen Status wie andere Drogen haben - mit den üblichen Begleiterscheinungen wie Sucht und Kriminalität. Jedenfalls aber werden wir individuell und kollektiv Formen des Umgangs mit ihnen finden müssen. So wie Enid Lambert, die der Droge ASLAN-Kreuzfahrt schließlich doch widersteht und die Pillen in den Abfallzerkleinerer wirft.

Michael Schaefer ist Fellow am National Institute of Health, Bethesda, USA.


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