"Der Schutz und die Achtung der Menschenrechte einer jeden Person müssen zum zentralen Anliegen der Arbeit aller internationalen Organisationen werden", schreibt UN-Generalsekretär Kofi Annan in seinem Grußwort zum gerade erschienenen "Bericht über menschliche Entwicklung" des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen", und zwar in einer Deutlichkeit, die die UNO in der Vergangenheit oft vermissen ließ. Dazu gehört für Annan auch die Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft, in Fällen schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen nicht einfach zuzuschauen, sondern entschieden zu reagieren und zu intervenieren. Weitreichende Worte, die an der Substanz einer auf der Souveränität des Nationalstaats aufgebauten Nachkriegsordnung rütteln.
Seit einem Jahrzehnt versucht das Entwicklungsprogramm (UNDP) der Vereinten Nationen sich als Trendsetter der internationalen Entwicklungspolitik einen Namen zu machen. Jährlich veröffentlicht es einen Bericht über menschliche Entwicklung, der nicht nur in der Form, sondern auch inhaltlich ein Gegenstück zum Weltentwicklungsbericht der wesentlich einflussreicheren Weltbank sein soll. Bekannt geworden sind diese Dossiers vor allem durch einen Index menschlicher Entwicklung, den die Autoren von Beginn an entwickelt haben. Statt ausschließlich die Wirtschaftskraft pro Kopf der Bevölkerung als Maß zu nehmen, fasst UNDP Lebenserwartung, Bildungsstand und die Kaufkraft in Vergleichszahlen. Die Ergebnisse sind oft erstaunlich, da manche Länder im Index menschlicher Entwicklung sehr gute Werte erreichen, auch wenn ihre Wirtschaftskraft nicht besonders groß ist, z. B. Costa Rica oder Polen. Andere Länder verlieren, da sie ihre Wirtschaftskraft nicht entsprechend einsetzen, um bessere Lebensbedingungen zu gewähren, z. B. Dänemark oder die Schweiz. Wird dieser Index noch zusätzlich auf die Situation von Frauen bezogen, stürzen manche Länder regelrecht ab, wie verschiedene arabische Staaten oder Japan.
Jedes Jahr beleuchtet die UNDP unter Mithilfe zahlreicher Experten ein besonders aktuelles Thema der Entwicklungspolitik, diesmal die Situation der Menschenrechte. Zentrale Botschaft des Textes ist die Einsicht, dass Entwicklungspolitik, definiert man sie als Zunahme der Gleichheit an Chancen und Wahlmöglichkeiten jeder Person, durch einen Menschenrechtsansatz, der konkrete Verpflichtungen für staatliche und nichtstaatliche Akteure benennt, erheblich gestärkt werden kann. Menschenrechte machen staatliche Akteure rechenschaftspflichtig und sind ein wichtiges Instrument für die Bevölkerung, ihren berechtigten Anliegen auf soziale Entwicklung einen Anspruchs-Charakter zu geben. Unter Menschenrechten verstehen die Autoren dabei alle in der "Bill of Rights" 1993 in Wien vertraglich festgelegten Menschenrechte, das heißt sowohl bürgerliche und politische, wie auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle.
Gleichzeitig machen die Autoren deutlich, dass im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr allein die Nationalstaaten auf die Menschenrechtsnormen verpflichtet sind, sondern in wachsendem Maße auch andere machtvolle Akteure in den Blick zu nehmen sind, z. B. internationale Finanzinstitutionen (Weltbank und Währungsfond) und die Welthandelsorganisation WTO. Hier kritisiert der Bericht besonders die fehlenden Partizipationsmöglichkeiten für die Betroffenen bei der Entwicklung von Strukturanpassungsprogrammen. Mehrfach betonten die Autoren auch die Verantwortlichkeiten der Privatwirtschaft bei der Förderung und Achtung von Menschenrechten.
Dennoch: An vielen Stellen scheint die Autoren der Mut verlassen zu haben. Sie erwarten, wenn alle Akteure an einem Strang ziehen - Staaten, zwischen- und nichtstaatliche Akteure, wie auch die Wirtschaft -, könne menschliche Entwicklung in den nächsten Jahren spürbar vorangetrieben werden, vergessen dabei aber die unterschiedlichen Zielsetzungen der verschiedenen Interessengruppen beispielsweise zwischen nationalen Eliten, Minderheiten und Oppositionsbewegungen, oder zwischen Agrarkonzernen und Landarbeitern.
Das Verständnis von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten ist immer noch sehr geprägt durch ökonomisches Entwicklungsdenken. "Begrenzte wirtschaftliche Ressourcen müssen dazu führen, Prioritäten bei der Umsetzung von Rechten zu setzen, da arme Staaten nicht gleichzeitig die Rechte Bildung und Wohnung, Nahrung und Gesundheit garantieren können", heißt es im Bericht. Ein solcher Ansatz geht am Kern eines umfassenden Menschenrechtsansatzes vorbei, nämlich der Erkenntnis, dass soziale und wirtschaftliche Rechte an erster Stelle auch negative Rechte sind, die einen Schutz vor staatlichem Fehlverhalten nötig machen. Der Staat soll gerade nicht Kleinbauern entschädigungslos von ihrem Land vertreiben, um Straßen zu bauen, er soll gerade nicht Frauen vom Bildungssystem ausschließen, sondern Pachtverträge schützen, traditionellen Landbesitz von Indigenen Völkern absichern.
Der UNDP-Bericht zeigt, dass Entwicklungspolitik im nächsten Jahrzehnt ohne einen Menschenrechtsansatz nicht mehr auskommen wird. Zu deutlich ist die Erkenntnis, wie wenig Regierungen oft tun, um besonders benachteiligten Gruppen in der Gesellschaft zu helfen, und wie viel Geld in falsche Bereiche investiert wird. Neu ist vor allem, dass UNDP diesen Rechtsansatz auch auf andere Akteure und Institutionen ausdehnt: auf die Außenwirtschaftspolitik der Industrieländer, auf die Verantwortung internationaler Organisationen und auf private wirtschaftliche Akteure - hier vor allem multinationale Konzerne. Der Report versucht bewusst, alle konfrontativen Stellungnahmen zu vermeiden und einen möglichst konsensfähigen Text zu erstellen. Dies führt zu den benannten Schwächen, ist dennoch vielleicht eine berechtigte Methode, um die genannten Adressaten überhaupt zu erreichen.
Michael Windfuhr ist Executive Director der FIAN-International (Food First Information and Action Network), www.fian.org
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.