Rückkehr der Rebellenfrauen

Uganda Brenda war 19, als sie entführt wurde

Das erste, was Brenda* von ihren Eltern nach neun langen Jahren sieht, sind ihre lachenden Gesichter. Mit feierlicher Miene hat ihr Paul, einer der Sozialarbeiter im Aufnahmezentrum der Caritas, zwei Fotos überreicht. Ungläubig, mit pochendem Herzen kann sie nicht aufhören, die Bilder anzustarren. »All die Jahre dachte ich, meine Eltern leben nicht mehr. Dass sie im Krieg getötet wurden oder an der Ebola gestorben sind.«

Mit der Machete

Brenda ist gerade 19 Jahre alt, als sie am 17. Dezember 1993 von Rebellen der LRA, der Widerstandsarmee des Herrn, verschleppt wird. »Ich erinnere mich an diese Nacht, als wäre es gestern gewesen«, erzählt die heute 28-Jährige, »es passierte eine Woche vor Weihnachten.« Brenda hat gerade die neunte Klasse beendet und verbringt die Ferien bei ihrer Familie in einem kleinen Dorf im Norden Ugandas. Sie liegt in ihrem Bett und schläft. Plötzlich nähern sich schwere Schritte der Hütte. »Ich versteckte mich unter dem Bett und hielt die Luft an.« Stimmen rufen ihren Namen. Lautes Hämmern an der Tür, dann wird sie aufgebrochen. Zwei Männer stürzen herein, ziehen sie unter dem Bett hervor. »Warum gehorchst du nicht, wenn man dich ruft?« brüllen sie. Ein Junge mit einer Maschinenpistole soll ihre Kleidungsstücke und Schulbücher zusammen suchen. Dann setzt sich die Gruppe in Bewegung.

Brenda versucht zu fliehen. Doch die Rebellen haben bereits das Dorf umstellt, so kommt sie nicht weit. »Sie fesselten meine Hände mit einem Seil und brachen mir dabei das linke Handgelenk, ich musste mitgehen.« Ein anderes Mädchen versucht ebenfalls zu entkommen, als es zurückgebracht wird, gibt der Kommandant mit ruhiger Stimme den Befehl, die 17-Jährige zu töten. Fünf Kinder in Uniform werden bestimmt, den Befehl mit der Machete aufzuführen. Einer nach dem anderen. Wer zögert oder sich weigert, dem wird klargemacht, dass ihn das gleiche Schicksal treffen kann. Das Mädchen wimmert, bettelt und fleht, doch die anderen Kinder schlagen zu, bis es vorbei ist.

Wie die halbwüchsigen Jungen in den LRA-Camps wird auch Brenda in den folgenden Monaten an der Waffe ausgebildet. Sie lernt zu töten. Mit einer AK-47, mit Knüppeln oder Macheten, in Kämpfen mit den Regierungssoldaten oder bei Überfällen auf Dörfer in ihrer Heimat Acholiland. Aber die Mädchen und Frauen kennen noch weitere Pflichten. Als besondere Auszeichnung werden sie an ranghohe Rebellenkommandeure vergeben, um ihnen als »Ehefrauen« zu dienen. Das heißt, sexuell gefügig zu sein, wann immer der Kommandeur es will. Wer sich weigert, stirbt.

Brenda wird mit einem Major verheiratet und bringt zwei Söhne zur Welt, den heute fünfjährigen Salan und den inzwischen dreijährigen Ocung. Über das Verhältnis zu ihrem Ehemann und die Vergewaltigungen spricht sie nicht. Sie erzählt lediglich, dass die Männer den Befehl hatten, ihre Kinder gut zu behandeln und dafür zu sorgen, dass sie niemals hungerten. »Der Vater hat sich um seine Söhne gekümmert, wann immer er Zeit hatte.«

Klotz am Bein

Im August 2002 lässt die LRA Brenda, Salan und Ocung laufen. Ugandische Regierungstruppen greifen um diese Zeit LRA-Camps im Südsudan massiv an und treiben die Rebellen vor sich her. »Wir waren ständig unterwegs, den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch«, erinnert sich Brenda an die Wochen im Busch. Ocung, den Kleineren, trägt sie in einem Tuch auf dem Rücken, manchmal auch den Älteren. »Salans Füße waren fürchterlich angeschwollen. Ich hatte Angst, ihn zu verlieren.«

Brenda mit ihren beiden Söhnen, aber auch die anderen Frauen werden schließlich zu einem Klotz am Bein der panisch fliehenden Rebellen. So nehmen die Kommandeure Kontakt auf zum Aufnahmezentrum der katholischen Mission in Pajule, etwa 80 Kilometer von der sudanesisch-ugandischen Grenze entfernt, und lassen die Mitarbeiter wissen, wo sie die Gruppe der Freigelassenen finden würden. Die Sozialarbeiter brechen mit Pickups sofort auf, um bald darauf 103 Frauen und Kinder in ihr Quartier zu holen.

Während der ersten Tage im Zentrum fürchtet Brenda, man könnte sie vergiften. Sie weigert sich, das Essen anzurühren, im Hospital beißt sie die Zähne fest zusammen, um keine Tabletten gegen die Infektionsgefahr schlucken zu müssen. »Die Schwestern standen vor mir und sagten: ›Wir probieren das Essen vor deinen Augen und schlucken auch die Medikamente, um dich zu überzeugen, dass nichts passiert‹ - erst danach habe ich ihnen geglaubt.«

Die LRA-Frauen fühlen sich nicht wirklich frei. »Als die Leute in der Mission plötzlich zu verstehen gaben, dass sie uns entlassen wollten, haben sich viele mit Händen und Füßen gesträubt«, erzählt Brenda, »denn im Busch hieß es immer, wer den Regierungssoldaten in die Hände fällt, egal wo, wird sofort erschossen.«

So bleiben sie mit ihren Kindern fast vier Monate im Zentrum der Caritas. Während dieser Zeit beginnen die Mitarbeiter mit der Suche nach den Familien, vor allem den Eltern der jungen Frauen. Keine leichte Mission in einem Kriegsgebiet, in dem jährlich drei von vier Menschen ihr Zuhause verlieren. Doch es gelingt, das Haus zu finden, aus dem Brenda Ende 1993 entführt wurde. Man trifft auf ihren Vater, der inzwischen mit einer neuen Frau zusammenlebt. Der ist fassungslos, als ihm die Nachricht überbracht wird und kann es nicht glauben, dass seine Tochter wohlbehalten aus dem Busch zurück gefunden hat. Eine Heimkehr mit zwei Kindern. Er schreibt Briefe, in denen er Brenda willkommen heißt, später schickt er Fotos, die entstanden sind, als er gerade vom Überleben seiner Tochter erfahren hat. »Mein Vater schrieb mir alles, was ich über die Familie wissen wollte«, schildert Brenda den ersten Kontakt nach vielen Jahren. »Sie waren alle noch da, sogar meine Großmutter lebte weiter bei ihnen. Ganz allmählich verlor ich diese schreckliche Angst und wollte nach Hause.«

Die Kinder des Bruders

Brendas Schicksal stellt eine glückliche Ausnahme dar. Häufig stoßen die Mitarbeiter aus der Mission in Pajule bei ihren Recherchen auf erschrockene und ablehnende Reaktionen, wenn sie in den ugandischen Grenzorten Nachrichten wie die von Brenda und ihren Söhnen überbringen, obwohl jede Großfamilie in Acholiland oft mindestens ein Kind an die LRA verloren hat. Doch die Furcht vor den Rückkehrern, die nicht selten an Plünderungen und Entführungen in ihrem eigenen Dorf beteiligt gewesen sind, bleibt groß.

»Es ist trotz allem leichter, wenn die Eltern noch leben«, meint einer der Missionare, »bei anderen Familienmitgliedern fehlt es oft an Verständnis.« Christine zum Beispiel wird als 16-Jährige entführt und kehrt nach acht Jahren mit drei Kindern zurück. Ihre Eltern sind gestorben. Als einem Bruder von Christine Fotos ihrer Kinder gezeigt werden, ist der verärgert. »Wie soll ich die jetzt auch noch durchbringen? Wer ist der Vater und wo steckt er?« Eine müßige Frage, denn der Vater lebt im Busch und könnte, wenn überhaupt, nur unter größten Gefahren zurückkehren - er befände sich sofort im Visier der Regierungsarmee.

Die beschriebene Reaktion ist nur zu verständlich, denn durch die Opfer von Krieg und AIDS gibt es Zehntausende von Waisen in Uganda. Der Bruder von Christine hat bereits acht Kinder seiner verstorbenen Schwester aufgenommen, als er von Christines Rückkehr erfährt. Hinzu käme ein kulturelles Problem, erläutert Schwester Margret, Beraterin bei der Caritas: »In der Acholi-Gesellschaft gehören die Kinder zur Familie des Vaters. Die Familie der Frau tut sich schwer, sie ohne Väter aufzunehmen.« Nachbarn würden sie sofort als Bastarde beschimpfen, aus denen ja doch nur Rebellen würden.«

Die Caritas-Beratung in Gulu-Stadt ist ein Anlaufpunkt für Frauen, die wieder in ihren Heimatgemeinden leben. Schwester Margret betreut Mädchen wie die 17-jährige Betty, die schwanger aus dem Busch zurückkehrte. Betty nannte das Neugeborene Arach - »das Schlechte« - und wollte es zu ihrer Schwester geben. »Immer, wenn ich das Kind sehe, blicke ich in das Gesicht seines Vaters. Ich werde es deshalb noch umbringen«, drohte sie. Doch die geduldige Ordensschwester sprach oft mit ihr, lud sie immer wieder zu Treffen ein, die von der Caritas für die jungen Mütter angeboten werden. Inzwischen ruft Betty ihre Tochter Abe Charity, was so viel wie »große Wohltat« heißt.

Brenda selbst lebt heute mit Salan und Ocung in einer Rundhütte aus Lehm in der Siedlung um das Lacor-Hospital, fünf Kilometer von Gulu-Stadt entfernt. Ihr Vater hat die Hütte für sie und die Großmutter gemietet, weil er glaubt, dass die kleine Gemeinschaft hier in Sicherheit ist. In Sicherheit vor erneuter Entführung, aber nicht sicher vor dem Gedächtnis, vor der Last der Erinnerungen. Brenda nennt die Zeit bei den Rebellen einen langen Albtraum, aus dem viele Mädchen auch nach ihrer Rückkehr nicht aufwachen können.

(*) Namen von der Redaktion geändert.


Bürgerkrieg in Norduganda


Der Konflikt in Norduganda begann 1986, kurz nach der Machtübernahme durch die Nationale Widerstandsarmee (NRA) unter Führung des heutigen Präsidenten Yoweri Museveni. Bewaffnete Korps der Vorgängerregierung unter Tito Okello Lutwa flohen nach Norduganda und in den Südsudan, um die Uganda People´s Democratic Army (UPDA) zu bilden. Viele Soldaten stammten aus den drei nordugandischen Bezirken Gulu, Kitgum und Pader und gehörten zumeist der ethnischen Gruppe der Acholi an.

Die UPDA bekämpfte die Zentralregierung bis 1988, aber bereits seit 1986 hatte sich eine weitere Gruppe herausgebildet, das Holy Spirit Movement unter Alice Lakwena, der sich auf christliche und traditionelle Religionen berief. Ein Jahr später wurde diese Formation von dem charismatischen Joseph Kony übernommen, der die Bewegung in Widerstandsarmee des Herrn (LRA) umtaufte. Kony behauptete, mit Gottes Stimme zu sprechen, die ihn beauftragt habe, die Macht zu erobern, um Uganda im Sinne der »Zehn Gebote« zu regieren. Obwohl er zunächst vorgab, für alle Acholis zu sprechen, führt er genau genommen einen Krieg gegen sein Volk. Seit 1986 hat die LRA bei Überfällen auf Dörfer und Schulen mehr als 12.000 Kinder und Jugendliche entführt, die zu Kampfmaschinen gedrillt wurden. Bis 2002 war die LRA vorrangig im Südsudan stationiert und wurde mit Nahrungsmitteln sowie Waffen von der sudanesischen Regierung unterstützt. Im März 2002 dann starteten die ugandischen Streitkräfte im Südsudan die Operation Eiserne Faust. Infolge der Kampfhandlungen flohen bis September 2002 große Teile der LRA zurück nach Uganda. Seitdem sind nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch erneut über 5.000 Kinder entführt worden, mehr als je zuvor innerhalb eines Jahres.

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