Portugal werde von einer linken Regierung geführt, die es geschafft habe, den von der EU auferlegten Sparkurs zu verlassen und die Wirtschaft anzukurbeln, heißt es dieser Tage oft. Dass die portugiesischen Sozialdemokraten nach den Wahlen 2015 die Rechte von der Macht verdrängen und eine Minderheitsregierung anführen konnten, liegt vor allem am Bloco de Esquerda, dem Linksblock, der in den Wahlen auf zehn Prozent der Stimmen gekommen war und nun die Regierung stützt.
Diese Konstellation wurde in Portugal anfangs als „Geringonça“ (etwa: Wackeldackel) belacht, hat sich seither aber als stabiles Arrangement erwiesen. Nur: Eine echte linke Identität habe die Regierung nicht, sagt die Bloco-de-Esquerda-Vorsitzende Catarina Martins. Sie nimmt sich Zeit für ein Gespräch zwischen einer langwierigen Haushaltsdebatte in der Assembleia da República, dem portugiesischen Parlament, und einer lokalen Bürgersprechstunde in Braga, 360 Kilometer von Lissabon entfernt.
der Freitag: Frau Martins, wie beurteilen Sie die Bilanz der letzten zwei Jahre?
Catarina Martins: Wir haben den Menschen einen Teil ihrer krisenbedingt verlorenen Einkommen und Gehälter zurückgegeben, und gezeigt, dass es möglich ist, die Rechte der Menschen zu verteidigen, mehr Gerechtigkeit zu schaffen und zugleich die Wirtschaft anzukurbeln. Überall hieß es, die wirtschaftliche Situation Portugals würde ein Ende der Austerität nicht zulassen, aber das hat sich als falsch herausgestellt. Und das war ja von Anfang an die Position des Bloco de Esquerda: Die Inlandsnachfrage der Familien ist notwendig, damit die Wirtschaft sich erholen kann. Anhand der letzten Kerndaten stellen wir fest, dass genau das passiert ist.
Was lief weniger gut?
In vielen Bereichen ist es sehr schwierig, gegenüber der Vorgängerregierung einen echten Kurswechsel durchzusetzen. Das betrifft all jene Bereiche, in denen eine informelle große Koalition des Zentrums weiter das Sagen hat, dieselbe, die auch den Rest Europas beherrscht: eine Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten.
Wie wirkt sich diese informelle „GroKo“ aus?
Wir haben in Portugal ein großes Problem mit der Wiederherstellung des öffentlichen Sektors. In einem Land, in dem zwei Millionen Menschen in Armut leben und wo noch vor vier Jahrzehnten viele Menschen weder lesen noch schreiben konnten, ist der öffentliche Dienst extrem wichtig. Portugal müsste mehr für die öffentliche Hand ausgeben als der Rest der EU und nicht weniger. Vor allem in den Bereichen Bildung und Gesundheit ist die Ausgangssituation hierzulande kompliziert. Anders als andere Länder der EU, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre öffentlichen Verwaltungen aufgebaut haben, fingen wir erst nach dem Ende der Diktatur in den 1980ern damit an. Unsere Möglichkeiten, etwas zu verbessern, sind aber sehr beschränkt: Wir müssen, trotz positiver Konjunktur und Niedrigstzinssatz der Europäischen Zentralbank, mehr Geld für das Bedienen der Staatsschulden ausgeben als für das gesamte öffentliche Schul- und Hochschulsystem. Es ist also sehr schwierig, die sozialen Defizite des Landes auszugleichen.
Zur Person
Catarina Soares Martins, 44, ist Vorsitzende des portugiesischen Bloco de Esquerda (Linksblock). Seit 2015 stützt ihre Partei eine sozialdemokratische Minderheitsregierung unter Premier António Costa. Martins, die aus Porto stammt, studierte Sprach- und Literaturwissenschaft und arbeitete – bis zu ihrer Wahl ins Parlament 2009 – vor allem als Schauspielerin. 1994 gründete sie die Companhia de Teatro de Visões Úteis mit, eine Avantgardetheatertruppe für „nützliche Visionen“ in Porto
Beschränkt sich die linke Identität der portugiesischen Regierung also auf den Versuch, die Kaufkraft der Portugiesen häppchenweise zu erhöhen?
Diese Regierung ist keine Linksregierung. Sie ist auch keine Regierung, die auf Grundlage des Parteiprogramms des Bloco de Esquerda regiert. Es handelt sich um eine Regierung, die in einer schwierigen Lage nach den Wahlen 2015 ihre Arbeit aufgenommen hat. Wir haben es nicht geschafft, eine wirklich linke Regierung zu stellen. Aber wir konnten die Mechanismen stoppen, die für die Verarmung der Menschen und die Schwächung der Demokratie verantwortlich waren. Obwohl strategische Bereiche der Wirtschaft schon fast vollständig privatisiert worden waren, stand die Privatisierung des Wassers, des Schienen- und des Straßennetzes noch an. Diesen Prozess haben wir aufgehalten. Auch die öffentlichen Verkehrsmittel in Porto und Lissabon und einige Kernfunktionen des Sozialstaates haben wir vor der Privatisierung bewahren können. Wir haben es jedoch nicht geschafft, die bereits vollzogenen Privatisierungen rückgängig zu machen. Das Regierungsabkommen, das wir mit dem Partido Socialista geschlossen haben, ist kein von linker Identität geprägtes Abkommen. Es ist ein Abkommen, um die Demokratie und die Souveränität in unserem Land, so weit es geht, zu erhalten.
In der internationalen Wahrnehmung wird Portugal links regiert. So, wie Sie es schildern, sieht die Sache etwas anders aus.
Austerität ist ein Prozess, der Einkommen von den Arbeitnehmern auf die Seite des Kapitals überträgt. Während der Jahre der Troika haben die Arbeitnehmer in diesem Prozess mehr als drei Milliarden Euro verloren. Es wurde wild privatisiert, ein Großteil des Bruttosozialprodukts ging verloren. Aber die Krise bestand nicht darin, dass das Bruttosozialprodukt schrumpfte, sondern vor allem darin, dass Einkommen, das früher den Arbeitnehmern zur Verfügung stand, auf die Kapitalseite geschafft wurde. Wir haben diesen Prozess angehalten, aber wir konnten ihn noch nicht umkehren.
Warum wurde nicht mehr erreicht? Weil die Regierung keinen Spielraum hat oder weil die Regierungspartei nicht weiter gehen will?
Die Sozialistische Partei, die in Portugal die Regierung stellt, ist gemeinsam mit den Konservativen Teil des europäischen Konsenses. 80 Prozent der Abgeordneten des portugiesischen Parlaments sind auf der Grundlage eines Programmes gewählt worden, das den europäischen Status quo vertritt – sei es in puncto Regulierung des Finanzwesens, sei es in Bezug auf das Staatsdefizit, oder hinsichtlich der Auffassung, dass Portugal jede europäische Entwicklung mittragen muss. Das verleitet Portugal zu gefährlichen Manövern, zum Beispiel wenn es um die gemeinsame Verteidigungspolitik der EU geht.
Der portugiesische Finanzminister und zukünftige Eurogruppenchef, Mário Centeno, ist also kein Botschafter der Linken in der EU?
(lacht) Kaum! Aber das ist ja auch allgemein bekannt.
Was stimmt denn am Portugal-Bild im Ausland?
Der portugiesische PS hat, um regieren zu können, ein Abkommen mit uns geschlossen, das drei rote Linien definiert: Erstens, es wird keine weiteren Privatisierungen geben; zweitens, der öffentliche Dienst und der Sozialstaat dürfen nicht weiter demontiert werden; drittens, es darf keine weitere Beschneidung der Einkommen der arbeitenden Bevölkerung geben, weder direkt noch indirekt. Portugal wurde so zum Beweis, dass die Austerität eine große Lüge ist. Eher als eine linke Regierung haben wir also eine Regierung, die das Narrativ der Rechten zerschlagen hat. Für eine linke Regierung bräuchten wir eine staatliche Kontrolle über strategische Wirtschaftssektoren, und wir müssten die Staatsschulden restrukturieren können. Dann wären wir in der Lage, zwei Millionen Menschen aus der Armut zu befreien. Dafür wären aber andere Bedingungen im europäischen Kontext notwendig.
Von der Krise in Portugal wird im Ausland so berichtet, als sei sie überwunden. Ist der aktuell verbreitete Optimismus also nicht gerechtfertigt?
Die Menschen sind tatsächlich optimistischer. Jahrelang haben sie jeden Morgen im Radio hören müssen, dass sie weniger Gehalt und weniger Rente bekommen würden. Oder mehr für lebenswichtige Waren und Dienstleistungen zahlen müssten. Seit zwei Jahren dagegen hören sie, dass sich etwas zum leicht Besseren wendet. Oder zumindest haben sie die Gewissheit, dass es nicht schlimmer werden wird. Das ist ein enormer Unterschied. Wer seit 2010 nur Kürzungen hinnehmen musste, kann jetzt wieder für die Zukunft planen und darauf vertrauen, dass wir alles dafür tun, dass es keine weiteren Kürzungen gibt.
Sind Sie also auch optimistisch?
Es wäre unverantwortlich, wenn wir die strukturellen Probleme ignorieren würden, nicht nur in Bezug auf die portugiesische Wirtschaft, sondern auf die gesamte EU. Nur die Hälfte der Menschen in Portugal hat Arbeit, eine halbe Million musste während der Krisenjahre auswandern. Die meisten neuen Arbeitsverträge orientieren sich am Mindestlohn, der unter 600 Euro pro Monat liegt. Die Staatsverschuldung ist weiterhin viel zu hoch, und es gibt nichts, was wir auf nationaler Ebene dagegen tun können. Über die Staatsschulden muss verhandelt werden, andernfalls werden sie unerträglich hoch bleiben.
Aber auch darüber gäbe es Gutes zu berichten, zuletzt wurden vier Milliarden Schulden getilgt. Ist das nicht ein positives Zeichen?
Wenn es eine Überschwemmung gibt, und jemand trägt einen vollen Eimer weg, ändert das nichts an der Überschwemmung. Auch wenn es ein sehr schöner Eimer ist. Wenn wir die jährlichen Zinszahlungen abziehen, liegt der portugiesische Haushalt mit gut fünf Milliarden Euro im Plus. Aber die Zinsen der bestehenden Schulden sind derart hoch, dass sich Portugal trotz des positiven Primärsaldos weiter verschulden muss. Das ist eine Plünderung unseres Landes, die aufhören muss. Jedes erneute Aufflackern der internationalen Krise könnte wegen der immensen Staatsverschuldung des Landes eine Katastrophe auszulösen.
Droht Ihre Partei wegen der Tolerierung der Regierung nicht an Unterstützung zu verlieren?
Wir versuchen konstant und in vielen lokalen Initiativen unsere Position zu erklären.
Wie beurteilen Sie eine mögliche Wiederauflage der Großen Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten in Deutschland?
Die Große Koalition war schlecht für Europa und sie wird es bleiben, denn sie bedeutet die Fortführung einer neoliberalen Politik in der EU. Auch die deutschen Arbeitnehmer sind Opfer dieser Politik.
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