Internet im arabischen Raum Westliche Erwartungen auf mehr Gegenöffentlichkeit und einen Emanzipationsschub durch das neue Medium haben sich bislang nicht erfüllt
Die arabische Medienlandschaft ist eine Wüste mit wenigen erfrischenden Flecken. Weil arabische Massenmedien nicht dazu da sind, den Bürger kritisch zu informieren, sondern ihm die offizielle Sicht zu verkünden, kommt Volkes Meinung dort nicht vor. Vom Internet erwarteten viele daher den Anfang vom Ende staatlich kontrollierter Medieninhalte - und irrten sich zum Teil. Wo regelmäßige Repräsentativbefragungen fehlen, werden allerdings Chaträume, Diskussionsforen und Abstimmungen zu Stätten der Psychohygiene, in denen sich Stimmungen und Interessensschwerpunkte ablesen lassen.
"Amerika" ist in diesen Abstimmungen von Israel als größte Gefahr für die Araber abgelöst worden, obwohl eine Mehrheit geglaubt hat, Bagdad würde nicht f
de nicht fallen. Eine große Mehrheit hält dort die "palästinensischen Märtyreroperationen" für die geeignete Antwort auf den "israelischen Terror", und meint auch, dass die Araber kein Volk seien, dass "die Wichtigkeit des Dialogs zu schätzen weiß", lehnt Frauen als Schiedsrichterinnen beim Männerfußball ab, ist mehrheitlich männlich und zwischen 20 und 30 Jahren.Als Entwicklungsfeld von den Regenten erkannt, registrierte die International Telecommunication Union (ITU) 1993 die ersten Internetuser in Kuwait und Ägypten. So gut es geht, will man im arabischen Raum den Anschluss halten, aber wie damit umgehen, dass mit dieser westlichen Erfindung nun auch allerhand liberaler Schmutz die Untertanen irritiert? Die Regierungen von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) zum Beispiel haben genau im Blick, welche Seiten des Internet sie ihren Bürgern öffnen, während Marokko und Jordanien keine Homepages blockieren. Etwas großzügiger sind die meisten Länder, was das Chatten oder die Diskussionsforen angeht. Bahrein beispielsweise will weder Kommunikation noch Inhalte zensieren, es sei denn, sie bedrohen das System oder kritisieren die Al Khalifa-Familie. Jedes Land hat eigene Varianten der Blockade, aber ein Prinzip scheint sich durch zu ziehen: Je seltener und teurer der Internetzugang, umso unbeschränkter ist er.Im Durchschnitt besaßen von Marokko bis Oman nur etwa zwei Prozent der Einwohner im Jahr 2003 einen Computer, annähernd drei Prozent gingen überhaupt online und nicht ganz neun Prozent der Haushalte hatten einen Telefonanschluss. Besonders viele Surfer zählen Bahrein und die VAE mit fast 30 sowie Qatar mit fast 20 Prozent. Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien, Tunesien und Oman liegen zwischen drei und acht Prozent, alle anderen darunter. Gemessen am Haushaltseinkommen ermittelte die ITU für das Jahr 2002 die teuersten Zugänge in Marokko mit drei fast Prozent und die preiswertesten für Kuwait mit unter 0,1 Prozent, wobei das Pro-Kopf-Einkommen in Kuwait viermal so hoch ist. "Vom Internetcafé aus", so Dr. Albrecht Hofheinz vom Zentrum Moderner Orient in Berlin, "zahlt man in Kairo heute etwa 70 Cent pro Stunde". Billig für europäische Portemonnaies, aber für eine Mittelstandsfamilie, die dort ein durchschnittliches Monatseinkommen von 100 Dollar hat, ist das Internet immer noch eher eine Verheißung als eine Ressource.Kann man es sich leisten oder surft man vom Arbeitsplatz oder von der Universität aus, besteht die tägliche Internetration von ein bis drei Stunden zum größten Teil aus Unterhaltung. Nachrichten aus unabhängigen Quellen lesen und E-Mails schreiben stehen an zweiter Stelle. Frauen ziehen langsam gleich und Teenager holen am stärksten auf. Aber alle wollen annähernd das Gleiche: "Ein Hauptgrund, warum Leute ins Internet gehen ist, Kontakt mit Personen aus einer Welt herzustellen, mit denen sie in ihrer unmittelbaren sozialen Umwelt nicht in Kontakt treten können," sagt Albrecht Hofheinz.Viel intensiver als in anderen Sprachen wird in arabischen Foren diskutiert und gechattet, vor allem über die "drei großen öffentlichen Tabus: Politik, Religion, Sexualität," so Hofheinz. "Die Tabu-Schranken werden natürlich auch woanders überschritten, aber immer in privaten Zirkeln." Dieses Gefühl der Privatheit wird in den Cyberspace mitgenommen, wo man sich frei über die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs austauscht, und ob es morgens und/oder abends erlaubt oder besser sei. Diese Seiten seien offiziell abgesegnet, so Hofheinz, denn man sei der Meinung, dass gesunder Sex zum Islam gehört. Pornographie, außer-, vorehelicher oder gleichgeschlechtlicher Sex wird in der Regel abgeblockt. Die Blockade trifft aber auch Seiten, die islamkritische Inhalte verbreiten, Anonymisierungssoftware anbieten oder Spiele, Witzseiten und die Homepage von Amnesty International oder Yahoo. Dann erscheint die Fehlermeldung: "Could not locate remote server" oder eine offizielle Site mit Klartext: "Diese Seite verletzt die islamische Ordnung." Für Normalsurfer ist hier Schluss, Aktivisten und technisch Kundige wählen einen freien Server im benachbarten Ausland an.In den politischen Foren kämpfen Liberale, Säkulare und Islamisten um ideologische Vorherrschaft. Liberale und säkulare Stimmen werden dabei immer wieder von Islamisten verdrängt. Diese versuchen nun eher die nationale Karte zu spielen, und jene wollen ihre eher nationale bis panarabische Position mit Hilfe islamischer Stereotype und Symbole stärken.Etwa zehn Prozent der beliebtesten 100 Sites haben einen religiösen Schwerpunkt. Den größten Zuspruch haben in Zeiten kultureller Verunsicherung moderate Prediger wie Yusuf al-Qaradawi. Von der Halbinsel Qatar aus, wo er Dekan des islamischen Rechtskollegs ist, bestreitet er im Nachrichtenkanal al-Dschasira die Reihe Sharia in the Life. Dort und auf seiner Homepage erteilt er vom islamischen Standpunkt moderaten und alltagstauglichen Rat für alle Lebenslagen. Seinem Kollege Amr-Khaled vertrauen besonders Teenies ihre Probleme an. Beide predigen moralische Aufrichtigkeit, geistige Präsenz beim religiösen Ritus und Verantwortung für das eigene Tun, damit durch fromme und reflektierte Moslems eine bessere Gesellschaft entsteht.Aber das Netz ist weit, und wer einmal beim Surfen gekostet hat, wie es ist, sich verschiedene Ansichten anzusehen, wird kaum davon lassen können. Dabei kann man auf einer Site landen, die die Region von allem Nichtislamischen säubern will. Kalaschnikow und Halbmond werden als Link zum Dshihad gestaltet. "Seiten, die dezidiert zum Dschihad aufrufen," so Dr. Hofheinz, "sind nach dem 11. September geschlossen worden oder ständig auf der Flucht." Ihre Beliebtheit sei im Ranking deshalb kaum zu erfassen.Zwar entsteht beim individuellen Surfen ein Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung und man diskutiert in Foren mit Fremden auf Augenhöhe, ohne dass Autoritäten dabei sind. Die Argumente und Meinungen werden aber in der Regel vorgegeben und wiederholen sich. Ein unbeteiligter Beobachter erkennt da ein Baukastenprinzip, "das zumeist von großen Portalen geliefert wird, die eifrig bemüht sind, an einer neuen Kanonisierung für das Internet zu arbeiten," so Hofheinz.Der Einfluss von Microsoft arabia.msn. com und google ist besonders in den Staaten zu merken, wo viele ins Netz gehen. Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien dominieren die Diskussionsforen allein durch ihre Nutzerzahlen. In Nordafrika und im Maghreb überwiegt das Französische. Diese sprachliche und kulturelle Teilung des arabischen Raums überträgt sich auf Internet, was von arabisch Sprechenden und von Islamisten beklagt wird.Arabische Diskussionsforen übernehmen oft Argumente und Sichtweisen westlicher Nachrichtenagenturen. Als der frühere malaysische Ministerpräsident Mahathir Mohammed in einer Rede im Oktober 2003 seinen moslemischen Brüdern Vergangenheitsfixierung und blindwütigen Aktionismus vorwarf, und dabei antijüdische Klischees wie "der erfolgreiche Feind" verwendete, verstärkten westliche Medien vor allem diesen Zungenschlag. Seine moslemkritischen Töne erreichten die Araber kaum, weil sie sich vor allem bei den großen Nachrichtenagenturen und -portalen informierten.Das Internet ist in Nahost und Nordafrika kein Massenmedium. So werden Demonstrationen und andere Aktionen von Mund-zu-Mund oder übers Handy organisiert, das im arabischen Raum viel verbreiteter ist als Festnetz und Internet - von 0,3 Prozent in Sudan und Algerien bis 62 Prozent in den VAE. Gesellschaftliche Aktivisten rechneten es sich als Erfolg an, eine Antikriegsdemonstration in Kairo im März 2003 per Handy und Internet mitorganisiert zu haben. Nach Beginn der zweiten Intifada 2002 wollen sie es ihren Aufrufen im Netz zuschreiben, dass Moslems weltweit McDonalds boykottierten und der Umsatz in manchen Ländern angeblich um 40 Prozent sank.Aber wie gesagt, der vom Westen erwartete Emanzipationsschub durch das Internet blieb bislang aus. "Ich hatte anfangs auch die Hypothese", sagt Dr. Hofheinz, "dass das Internet Gegenöffentlichkeiten stärker zur Geltung zu bringt. Das hing sicherlich mit der Interneteuphorie in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zusammen." Die letzten drei Jahre Feldforschung führten ihn zu der Einschätzung, dass Bedeutung und Präsenz von städtischen Jugendkulturen wächst, die sich global anregen lassen. "Das allein auf das Internet zurückzuführen, wäre Quatsch", sagt Dr. Hofheinz, denn was nutzt ihnen der größte Anteil an der Bevölkerung, wenn sie sich das Internet nicht leisten können. Aber das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft verändert sich: "Der Einzelne stärkt in sich zunehmend das Gefühl, selbst auszuwählen, was er vom - kommerzialisierten und sehr herkömmlichen - Informationsfluss rezipieren will."
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