Wo engagierte Westeuropäer einer geschundenen Zivilbevölkerung nach einem Krieg helfen, da gibt es, beispielsweise in einem kroatischen Frauenhaus, eine "angstfreie, herzliche Umgebung", in der "gegenseitiges Zuhören und Verständnis füreinander gefördert werden und Frauen und Kinder sich aufgehoben fühlen". Auch auf dem G 8-Gipfel in Genua begegnet man in einem Protestzug "jungen, jugendlichen, bunten und erfrischenden" Menschen, die rundum positiv sind. Diese und andere Gutmenschen westlicher, auch deutscher NGOs haben folgende Eigenschaften: Sie sind urban, flexibel, polyglott, weltoffen und tolerant. Einfach gute, liberale, demokratische Menschen, die natürlich keine "überholten" ethnischen oder nationalen Borniertheiten kennen. Sie lieben ei
ein Modefestival in Niger in Westafrika, denn dort sind die "Nächte wohlig warm und am Firmament glitzern Millionen Sterne", genauso wie die Menschen auf den Kap Verdischen Inseln, denn diese sind eine "intensive Vermischung von Afrikanern und Europäern", nämlich "Mulatten".Zugegeben: Diese Zitate aus der Friedenszeitschrift zivil und der Dritte Welt-Zeitschrift epd-entwicklungspolitik der Evangelischen Kirche sind ein wenig einseitig herausgesucht. Aber als Spitze eines Eisberges verweisen sie doch auf ein darunter liegendes und mehr als problematisches Bild, das die so genannten Alternativmedien vom Ausland verbreiten. Als wichtiger Bestandteil der neuen sozialen Bewegungen in den siebziger Jahren erkämpft und gegründet, hatten diese Publikationen die Aufgabe und den Anspruch, die Leerstellen in der Auslandsberichterstattung der Mainstream-Medien vor allem hinsichtlich der Dritten Welt zu füllen, Vorurteile abzubauen und uns ein wahrhaftigeres Bild von Vorgängen und Zuständen, vom Leben der Menschen jenseits unseres alltäglichen Wahrnehmungshorizonts zu vermitteln. Heute haben sich diese Medien dem Mainstream angepasst - das ist, knapp formuliert, das wichtigste Ergebnis einer soeben veröffentlichten Studie unter Leitung der beiden Innsbrucker Politikwissenschaftler Jörg Becker und Christian Flatz.Dieses ernüchternde und nüchterne Fazit ist methodisch gut fundiert: Analysiert wurde das Auslandsbild in drei Zeitschriften der Friedensbewegung (Zivil, Friedens-Forum, Et Cetera) und weiteren drei Blättern aus der Dritte Welt-Bewegung (Blätter des iz3w, epd-entwicklungspolitik, Inkota-Rundbrief) und zwar für die kompletten Jahrgänge 1988 und 2001 aller sechs Zeitschriften. In einer quantitativen Inhaltsanalyse wurden 881 Artikel untersucht. Insgesamt ergaben sich 16.006 Ländernennungen, die ausgewertet werden konnten.Zunächst halten die Autoren der Studie fest, dass die Anzahl der in diesen Zeitschriften behandelten Länder bei weitem größer ist als zum Beispiel im Spiegel oder in den allabendlichen TV-Nachrichtensendungen von ARD und ZDF. Sie resümieren des weiteren, dass sich die schiere Buntheit und Vielheit der in diesen Alternativmedien erwähnten Länder dem "UN-Ideal eines Mosaiks souveräner und gleichberechtigter Staaten" annähert. Doch nach dieser positiven Wertung ist es auch schon zu Ende mit dem Lob. Danach hagelt es erhebliche Kritik, und es werden mehr und mehr Mängel gerade bei den Zeitschriften sichtbar gemacht, die der Untersuchung mit den Worten zugestimmt hatten: "Ja, wir verstehen uns als Alternative zum Mainstream.""Die Alternativzeitschriften favorisieren eine Weltsicht aus Perspektive der Eliteländer." Und dazu passend: "Die Alternativzeitschriften nehmen viele Underdog-Länder nur sehr unzureichend wahr." Vom ursprünglichen Anspruch, den "Stummen eine Stimme zu geben", die "Verdammten dieser Erde" zu vertreten und Minderheiten zu ihrem Recht zu verhelfen, ist wenig bis nichts übrig geblieben. In den hier untersuchten Zeitschriften wiederholen sich die gleichen Strukturdefizite wie sie uns aus der "etablierten" Presse hinlänglich bekannt sind.Erst vor kurzem veröffentlichte die österreichische Sektion der Gesellschaft "Ärzte ohne Grenzen" eine Liste der in den österreichischen Medien am meisten und am wenigsten genannten Länder. Die Untersuchung zeigt, dass die Dritte Welt und kleine "unwichtige" Länder völlig im Abseits stehen. Auf der insgesamt 197 Länder umfassenden Liste taucht zum Beispiel als erstes afrikanisches Land Ägypten erst auf Rang 37 auf, gefolgt von Südafrika auf Platz 40, Marokko auf Platz 53 und Nigeria auf Platz 59. Aus diesem Grund startete "Ärzte ohne Grenzen" in Österreich gerade eine große PR-Aktion für seine eigene Arbeit unter dem Motto "Break the Silence". Man will all die kleinen Entwicklungsländer ins Rampenlicht der Öffentlichkeit rücken, über die niemand spricht.Nur: Wie kann man diese Zielsetzung erreichen, wenn selbst die Alternativmedien diese Länder "vergessen"? Als Ergebnis ihrer Analyse halten Becker und Flatz fest, dass die von ihnen untersuchten Zeitschriften vor allem folgende Länder und Ländergruppen nicht wahrnehmen: Klein- und Inselstaaten, die arabischen Emirate, Länder der ex-Sowjetunion und Zentralasiens und viele einzelne afrikanische Länder wie zum Beispiel Sierra Leone, Elfenbeinküste, Mauretanien, Liberia oder Burundi.Weitere Ergebnisse bei Becker und Flatz lösen noch mehr Verwunderung und Kopfschütteln aus. Waren die gesamten sozialen Bewegungen rund um die Themen Dritte Welt, Frieden und Abrüstung, Umwelt und Anti-Diskriminierung immer auf das aller engste mit der Frauenbewegung verknüpft, so zeigen sich deren Zeitschriften frauenfeindlicher als normale Tageszeitungen. Ausgezählt, wie viele der insgesamt 881 Artikel von Männern, wie viele von Frauen geschrieben wurden, blamieren sich die Alternativmedien: Mit rund 20 Prozent liegt der Anteil von Autorinnen dieser Publikationen weit unter dem in Deutschland für alle Medien durchschnittlich gültigen Prozentsatz von circa 36 Prozent und erst recht weit unter dem 55 Prozent-Frauenanteil bei der taz.Resümierend halten die Autoren fest: "Die Alternativzeitschriften sind bei weitem nicht so alternativ wie ihre Macher sich und anderen glauben machen wollen. Und: Ihr Auslandsbild ist dem der Mainstream-Medien strukturell eher ähnlich als unterschiedlich."Gut geschrieben, ausgestattet mit vielen Einzelergebnissen, Tabellen, Grafiken und Landkarten und mit bereits in diesen Sammelband eingebauten (teils wütenden) Repliken der untersuchten Alternativzeitschriften ist dieses preisgünstige Leseprodukt aus der Werkstatt der Evangelischen Akademie Iserlohn all jenen sehr zu empfehlen, die sich mit Jürgen Habermas nach wie vor Sorgen um den Strukturwandel der Öffentlichkeit machen.Jörg Becker, Christian Flatz; Emanuel Matondo und Uwe Trittmann (Hrsg.): Für eine Kultur der Differenzen. Friedens- und Dritte-Welt-Zeitschriften auf dem Prüfstand. Evangelische Akademie im Institut für Kirche und Gesellschaft, Iserlohn 2004. 155 S., 9,50 EUR