Spinspotting

Medientagebuch Wer kontrolliert die Medien im Netz: Die Abwehrkämpfe der Alten, eine neue Software und der intelligente Leser

Schon vor einer Weile betrieb Josef Joffe, Mitherausgeber der Zeit, in der gedruckten Ausgabe der Wochenzeitung ein gehöriges "Online-Bashing". Zielscheibe für Joffes Attacken war die einflussreiche amerikanische Webplattform HuffingtonPost, eine liberale Nachrichtenwebseite, die Beiträge von prominenten politischen Kommentatoren enthält und diverse Nachrichtenquellen zusammenführt. Die Schmähung des Journalisten alten Schlags machte einmal mehr deutlich, dass die Debatte über die Zukunft des Journalismus im Netz in Deutschland oftmals unter einem Misstrauen gegenüber dem Medium leidet, das sich bedroht fühlende "Alphajournalisten" befallen hat. Das hat auch etwas Gutes: Wo vordergründig über scheinbar mangelnde Qualität lamentiert wird, entsteht unterschwellig eine Debatte über die journalistische Ethik.

In seinem Blog (Indiskretion Ehrensache) hatte Handelsblatt-Redakteur Thomas Knüwer auf Joffes Artikel reagiert. Knüwer zeigte, wie voreingenommen und subjektiv Joffe die HuffingtonPost und ihren ethischen Kodex kritisierte. Joffe scherte nicht nur soziale Netzwerke wie Facebook, Videoportale wie Youtube und die Huffington Post über einen Kamm, auch der Vergleich der drei Jahre alten HuffingtonPost mit der 157 Jahre alten Institution New York Times hinkte gewaltig. Moniert wurde, die Huffington Post zahle für ihre Inhalte nichts, anstatt danach zu fragen, was sie richtig macht - denn die Strategie, guten Inhalten aus der Netzgemeinschaft zunächst einmal eine Plattform zu bieten, ist einer der größten Vorzüge, den das Internet ermöglicht.

Das nostalgische Jammern über das Verschwinden des gedruckten Wortes - und damit womöglich der eigenen Bedeutung in der publizistischen Landschaft - beschäftigt erfreulicherweise nicht alle Journalisten. Interessanter als Abwehrkämpfe gegen die Realität des Internets ist allemal die Frage, wie die Distribution von Nachrichten im Netz eigentlich funktioniert. Bestimmt wird diese vor allem durch die Suchmaschine Google, die damit eine bis dato dem Zeitungslayout vorbehaltene Definitionshoheit über die Relevanz von Information übernimmt. Dass man die eigenen Inhalte für die Augen der Google-Suchmaske "optimieren" kann, ist kein Geheimnis. Hans-Jürgen Jakobs, Chef des Internetauftritts der SZ, kritisierte die Praxis von Nachrichtenportalen, sich im Google-Ranking hochzukaufen, um die Reichweite ihrer Onlinepräsenz zu erweitern, als "journalistische Wettbewerbsverzerrung". Der Springer-Verlag etwa wies das Gerücht, wonach Welt-Online diese Form von Suchmaschinenoptimierung betreibe, als "kompletten Unsinn" zurück.

Dabei wird Google freilich immer besser darin, umgeschriebene Tickertexte zu erkennen und exklusiven Inhalten höhere Sichtbarkeit zu bieten. Realistisch betrachtet dürfte Suchmaschinenoptimierung, seit einigen Jahren gängige Praxis bei Informationsportalen, künftig genauso selbstverständlich werden, wie es heute eine gute Vertriebsstruktur für den Printbereich ist. Entscheidend wäre deshalb für eine Debatte, dass sich die Sortierung von relevanten Nachrichtenbeiträgen nach journalistischer Qualität richtet, anstatt zum PR-Werkzeug kaufkräftiger Verlage zu mutieren. Solche Vorgänge für den Leser oder Nutzer transparent zu machen, ist übrigens eine Möglichkeit, die sich im Netz viel eher bietet als in der gedruckten Zeitung.

Dass ethische Fragen auch technisch gelöst werden können, verspricht eine Software namens "Spinspotter", deren Testversion seit Kurzem zum Herunterladen zur Verfügung steht. Von einem amerikanischen Start-Up-Unternehmen mit dem Ziel entwickelt, den ethisch fraglichen spin oder Dreh von Nachrichtenbeiträgen zu offenbaren, lässt die Software sich auf Nachrichtenbeiträge anwenden. Dabei sollen Wörter oder Phrasen, die im Passiv geschrieben sind, das selektive Zitieren voreingenommener Quellen oder die Vernachlässigung des Kontextes markiert und mit einer Erläuterung versehen werden. Ob der "Spinspotter" damit zu einer automatisierten Variante von Knüwers kritischer Joffe-Lektüre gut wäre, bleibt zu bezweifeln.

Denn letztlich braucht das Internet vor allem den intelligenten und gut informierten Leser, dem es im Gegenzug zahlreiche Möglichkeiten bietet, selbst die Vierte Gewalt zu kontrollieren. Der Leser kann Quellen sofort überprüfen, eigene Recherchen betreiben und durch den Kanal der Kommentarmöglichkeiten sofortige Korrekturen und Ergänzungen anbringen. Er kann über Blogs eigene Reaktionen formulieren, welche oft in rege Diskussionen münden - wie etwa die Kommentare zu Knüwers Blogeintrag zeigen.

Vermutlich empfindet die alte Garde des Printjournalismus genau diese demokratische Kommunikationskultur als Bedrohung. Deswegen reitet sie, wie Joffe, Attacken, die genau das tun, was sie zu kritisieren vorgeben.

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